TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Mit anderen Augen" (WDR)

TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Mit anderen Augen" (WDR)
Zunächst ist Hauptkommissar Tauber alles andere als erfreut über den hellsichtigen Kollegen, dem allerdings der Ruhm vorauseilt, zur Aufklärung diverser unlösbarer Fälle beigetragen zu haben.
25.06.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Polizeiruf 110: Mit anderen Augen", 1. Juli, 20.15 Uhr auf WDR

In einem „Tatort“ wäre so was vermutlich nicht drin, doch die Krimi-Reihe „Polizeiruf 110“ soll ja ausdrücklich auch mal andere Wege gehen: Der Titel „Mit anderen Augen“ bezieht sich auf die Hellsichtigkeit eines „Profilers“. Zunächst ist der einarmige Münchener Hauptkommissar Tauber (Edgar Selge) alles andere als erfreut über den Kollegen, dem allerdings der Ruhm vorauseilt, zur Aufklärung diverser unlösbarer Fälle beigetragen zu haben. Taubers Chef (Gregor Bloeb) besteht jedoch auf der Kooperation, denn Tauber und Kollegin Obermaier (Michaela May) sind bei ihrer Suche nach einem mehrfachen Frauenmörder, der es auf ältere Damen mit körperlichen Handicaps angelegt hat, in einer Sackgasse gelandet.

Und tatsächlich: Sobald Heinrich Zermahlen an einem Tatort eintrifft, sieht er vor seinem geistigen Auge, wie sich die Tat zugetragen hat. Anders als in aktuellen amerikanischen Mystery-Serien („Medium“, „Ghost Whisperer“) ist Zermahlens Gabe jedoch eher ein Fluch. Der Mann lebt einsam in einem Wohnmobil und leidet unter einem Trauma, dem er seine Fähigkeit verdankt: Als er ein Kind war, tötete sein Vater die gesamte Familie; der kleine Heinrich überlebte zwar, lag aber lange im Koma. Udo Kier ist wie geschaffen für diese Rolle, selbst wenn er darstellerisch scheinbar kaum gefordert wird: Zermahlens „zweites Gesicht“, die überfallartig über ihn hereinbrechenden Erinnerungen, braucht er ja nicht zu spielen. Gerade deshalb funktioniert die Rolle nur mit einem Darsteller, dessen Charisma man die unerhörte Begabung auch abnimmt.

Natürlich braucht der ungewohnte Stoff eine angemessene Verpackung. Der amerikanische Regisseur Buddy Giovinazzo setzt die Geschichte (Buch: Christian Limmer) effektvoll um. Schon der Einstieg entwickelt einen Sog, der einen direkt in die Geschichte zieht. So packend die Figur des medial begabten wortkargen Profilers auch ist: Eingeschränkt wird der Reiz des Films durch eine vor allem anfangs mutwillig fahrige und ruckelnde Bildgestaltung (Kamera: Roman Nowocien), die dramaturgisch nicht im Mindesten motiviert ist und auf Dauer sogar nervt. Das dramatisch-tragische Finale, in dem es der Killer auf Obermaiers Tochter abgesehen hat, entschädigt allerdings für Einiges.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).