evangelisch.de: In regelmäßigen Abständen wird bei Deutschlands Schülern das Wissen geprüft. Das Ergebnis ist immer das gleiche: Der Süden liegt vorn, der Norden hinkt hinterher. Werden wir je andere Ergebnisse erleben? Oder: Müssen wir überhaupt andere Ergebisse erleben?
Ernst Elitz: Die Schwaben haben sich als Meister der Ironie geoutet. Sie werben mit dem Slogan: "Wir können alles außer Hochdeutsch!" Und beim neuesten Schultest stellt sich heraus, sie stehen mit den Bayern im Fach Deutsch ganz obenan. Beide Länder fördern das klassische Gymnasium, aber auch die Schüler der Haupt- und Realschulen schneiden in diesen Ländern bestens ab. Das muss alle verunsichern, die in der ständigen Umsortierung und Neubenennung der Schulformen den Königsweg zu einer besseren Bildung sehen. Kaum bildet sich irgendwo eine neue Koalition – wie jetzt in NRW – schon wird das Schulsystem zum Opfer der Erneuerungswut. Bayern und Baden-Württemberg haben kontinuierlich eine – zugegebener Maßen konservative – aber für alle erfolgreiche Bildungspolitik betrieben. In diesen Ländern herrscht eine bürgerliche Bildungstradition und eine – manchmal unangenehme – soziale Kontrolle. Da schämt man sich noch vor den Nachbarn, wenn das Kind sitzen bleibt. Also strengen sich alle an: Kinder, Eltern und Lehrer. Unabhängig von der Schulform gibt es drei Massnahmen, die das deutsche Bildungsdesaster beheben könnten: 1. Verpflichtende Vorschulkindergärten, 2. Ganztagsschulen, in den am Nachmittag gezielt gefördert wird und 3. systematische Hilfe für bildungsferne Elternhäuser, nicht durch Geldzahlungen, sondern persönlichen Einsatz von Sozialarbeitern, Pädagogen und Ehrenamtlichen. Wenn die Politik in diesem Sinne endlich bis drei zählen lernt, könnten wir den Bildungsnotstand ohne ständige groß herausposaunte Schulreformen überwinden.
evangelisch.de: Ist es richtig, den angesehen US-General McChrystal in Afghanistan wegen abschätziger Äußerungen abzulösen?
Ernst Elitz: Ein klares und deutliches Ja. Wer so über seine Chefs herzieht, fliegt überall achtkantig raus. In Deutschland geht das bekanntlich noch schneller. Hier mussten Generalinspekteur Schneiderhahn und der Verteidigungsstaatssekretär gehen, weil sie ihrem Minister nicht auf Anhieb einen Einzelbericht, der längst in die Abschlussbewertung der internationalen Afghanistan-Streitkräfte eingegangen war, präsentierten. Nun ist nur noch nicht geklärt, wie viele Personen bei dem Rausschmiss im Ministerzimmer anwesend waren. Eine Frage ohne jede politische oder militärische Relevanz, die sich wahrscheinlich wie beim Tischerücken nur telepathisch beantworten lässt. Damit beschäftigt sich nun offenbar mangels sinnvollerer Aufgaben ein Parlamentarischer Kundus-Untersuchungsausschuss.
evangelisch.de: Fahrverbote, Fußfessel, Sicherungsverwahrung - sollte der Strafzug in Deutschland fantasievoller gestaltet werden?
Ernst Elitz: Der Apo-Slogan "Fantasie an die Macht" gilt nun auch im Strafvollzug. Mir ist alles recht, was Verbrechen verhindert und potentielle Opfer schützt, aber ich zweifle am gesunden Menschenverstand der Richter am Europäischen Gerichtshof. Ihr striktes Urteil gegen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung lässt keinen Raum für einen vernünftigen zeitlichen Übergang von der jetzigen Praxis zu der neuen von ihnen gesetzten Norm. Da bewachen Hunderte Polizisten hochgefährliche ins Alltagsleben entlassene Verbrecher, um sie an erneuten Straftaten zu hindern. Ein Vorschlag ist, die Sicherungsverwahrten sollten künftig wie im Studentenheim leben: Mit Gemeinschaftsküche, Fernsehraum, Primeln vorm Fenster und möglichst keine Gitterstäbe, höchstens fürs Efeu. Das ist auch ein Weg. Solange sie nicht im Schutz der Efeu-Hölle aus ihrem Wohnheim entfleuchen.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.