Beim Fußball liefern Frauen Spitzenqualität

Beim Fußball liefern Frauen Spitzenqualität
Um einen guten Fußball herzustellen, benötigen Näherinnen in Pakistan zwei Stunden. Die Frauen sorgen sich um ihre Zukunft, denn der Trend zu maschinengenähten Bällen steigt. Doch die Handwerkerinnen können nicht so ohne weiteres auf Nähmaschinen umschulen.
25.06.2010
Von Katharina Nickoleit

Rahila sitzt auf ihrem Hocker und drückt die Knie zusammen. So presst sie die zwei in einem Holzspanner steckenden Sechsecke fest aneinander und hat beide Hände frei um sie zusammennähen zu können. Zwei Stunden wird sie brauchen, bis ein Fußball fertig ist. Es wird ein Ball für die Fair Handels-Organisation Gepa – glücklicherweise. Denn das heißt, dass Rahila gut bezahlt werden wird. "Für diesen Ball bekomme ich fast 20 Prozent mehr, als wenn es ein normaler Ball wäre."

Rahila und die anderen Näher beim Sportartikelhersteller Talon sind jedes Mal froh, wenn Aufträge von der Gepa kommen, denn den Unterschied in der Bezahlung spüren sie sofort. Allerdings sind die Näher in der Region inzwischen auch für die Aufträge kommerzieller Händler dankbar. Denn der Trend geht immer mehr zum maschinengenähten Ball. Wurden vor fünf Jahren noch rund 90 Prozent der Fußbälle mit der Hand genäht, so sind es heute nur noch rund die Hälfte.

Vor einigen Jahren wurden die maschinengenähten Fußbälle ausschließlich in China gefertigt. Das ist vorbei, inzwischen kehren diese Aufträge nach Pakistan zurück. Das ist zwar gut für die Fabrikanten, doch den Nähern hilft es nicht weiter. Und die Bälle, die bei der WM gekickt werden, sind Hightechbälle, die in Thailand geklebt werden.

Frauen besonders von weniger Aufträgen betroffen

Qualitativ sehr gute Trainingsbälle entstehen zwar weiterhin in Handarbeit, doch viele Auftraggeber begnügen sich auch mit weniger. Für die Näher bleiben immer weniger Aufträge übrig, und darunter haben ganz besonders die Frauen zu leiden: Ein Mann kann auf die Veränderungen reagieren, indem er sich für die Arbeit an den Nähmaschinen ausbilden lässt. Doch Frauen sind darauf angewiesen, in einem der speziellen Frauennähzentren zu produzieren – in dem konservativen, muslimischen Land ist es undenkbar, dass Frauen und Männer gemeinsam in einem Raum arbeiten.

Dass die Aufträge für handgenähte Bälle zurückgehen, das merkt Rahila deutlich. "Früher saß ich mit 30, 40 anderen Frauen im Nähzentrum. Heute sind wir hier gerade mal zu siebt" ,sagt sie und macht eine Handbewegung in den fast leeren Raum.

35 Prozent der Ballnäher bei Talon sind Frauen – und sie alle machen sich Sorgen um ihre Zukunft. "Mein Einkommen ist ein wichtiger Beitrag zur Ernährung unsere Familie. Ohne dieses Geld wüssten wir nicht, wie wir zurechtkommen sollen. Aber wenn das mit den Aufträgen so weiter geht, wie bisher, dann werden irgendwann alle Bälle mit Maschinen genäht werden, und für uns wird es keine Arbeit mehr geben", sagt Rahila, und die anderen Frauen nicken.

Talon bemüht sich um Zukunftsperspektiven

Ganz besonders schwierig war die Situation im letzten Jahr. Die Weltwirtschaftskrise schlug voll auf die Aufträge durch und Talon produzierte nur 25 Prozent der Menge an Bällen, die sie üblicherweise herstellen. "Für die Näher war plötzlich so wenig zu tun, dass viele kaum wussten, wie sie überleben sollten. Deshalb hatte Talon sich entschlossen, vorübergehend auch für die herkömmlichen Bälle den fairen Lohn zu zahlen – auch wenn der Zuschlag aus unserer eigenen Tasche und nicht von den Auftraggebern kam", berichtet Assad Baywar, der Geschäftsführer von Talon.

Talon versucht, den Veränderungen in der Fußballindustrie gerecht zu werden. "Wir vergeben die fairen Aufträge vorrangig an die Frauennähzentren, denn wir wissen, dass die Frauen außer dem Nähen von Fußbällen nur wenig Möglichkeiten zum Geldverdienen haben." Außerdem blieb die dem Frauennähzentrum angeschlossene Vorschule, in der die Mütter ihre Kinder während der Arbeit gut versorgt wissen, auch dann geöffnet, als das Nähzentrum selber mangels Aufträgen zwischenzeitlich schließen musste.

Vor allem aber versucht Talon, für die Frauen eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. "Wir bemühen uns, neue Produkte auf den Markt zu bringen, die beim Fairen Handel eine Chance haben und bei deren Herstellung wir Frauen beschäftigen können."

Ein Thema spielt heute bei der Fußballproduktion in Pakistan kaum eine Rolle mehr: Kinderarbeit. Alle namhaften Hersteller haben das Atlanta-Abkommen unterschrieben, das Kinderarbeit untersagt. Nach wie vor werden alle registrierten Nähzentren regelmäßig und unabhängig auf Kinderarbeit kontrolliert, und die Hersteller sind sehr darauf bedacht, nicht negativ aufzufallen - andernfalls verlieren sie die Fifa-Lizenz, und das will keiner riskieren. Die Hersteller von Billigbällen, die zur WM billigste Werbebälle produzieren, haben das Abkommen allerdings nicht unterschrieben und werden auch nicht kontrolliert. Und bei ihnen wird immer wieder Kinderarbeit entdeckt.

Günstige Lebenmittel im Genossenschaftsladen

Je schwieriger die Situation in der Fußballindustrie insgesamt wird, desto wichtiger sind die zusätzlichen Einnahmen aus dem Fairen Handel. Denn der Mehrpreis fließt nicht nur in die höheren Stücklöhne, sondern zu einem guten Teil auch an die "Talon Fair Trade Wellfare Society", ein Gremium aus Arbeitern und Geschäftsführung, das darüber entscheidet, wie die FairHandelsPrämie verwendet werden soll. "Weil die Lebenshaltungskosten immer weiter ansteigen, haben wir uns entschlossen, einen Genossenschaftsladen zu gründen", berichtet Rahila, die dem Gremium angehört. "Dort können alle 500 Arbeiter von Talon einkaufen. Dadurch, dass wir die Lebensmittel in großen Mengen umsetzten, können wir sie günstiger einkaufen und deshalb billiger anbieten als der Krämer um die Ecke."

Der neue Laden zieht in die Räume des Gesundheitszentrums – was nicht heißt, dass die Arbeiter von Talon plötzlich ohne ärztliche Versorgung dastehen. Im Gegenteil: Es wird eine Ambulanz angeschafft, die regelmäßig in all die Dörfer fährt, in denen die Talon-Arbeiter leben. So werden die Wege für die Kranken kürzer und weniger beschwerlich.

Außerdem floss Geld aus dem Fairen Handel in die weitere Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fabrik: Es gab Sicherheits- und Gesundheitstrainings um Unfällen vorzubeugen, Masken und Handschuhe wurden angeschafft. Und die Maschinen verfügen jetzt über Sicherheitsschalter und Absperrungen an allen beweglichen Teilen – was weit über das hinaus geht, was in Pakistan an Betriebssicherheit üblich ist.

Für Rahila ist vor allem der Genossenschaftsladen wichtig – und natürlich der höhere Stücklohn für die Fairen Bälle. Die 45-Jährige hat zehn Kinder und zwei Enkel, und jede Ausgabe, die sie einsparen kann, ist wichtig, jede Rupie, die sie mehr verdient, hilft ihr. Zwei ihrer Töchter sollten eigentlich im letzten Jahr heiraten, doch weil es keine Bälle mehr zu nähen gab, schaffte sie es nicht, das Geld für die Mitgiften und die Hochzeiten zusammenzubekommen. "Ich hoffe einfach, dass jetzt zur WM wieder mehr Aufträge reinkommen", sagt sie. "Und ganz besonders hoffe ich, dass viele 'faire' Bälle bestellt werden. Denn dann können meine Töchter vielleicht in diesem Jahr endlich heiraten."


Katharina Nickoleit ist freie Journalistion in Köln.