Der Knoten war in Minute 60 geplatzt - auf den Fanpartys wurde aus der Zitterpartie ein Tanzabend. Ob auf der Straße des 17. Juni in Berlin mit mehr als 200.000 Menschen, auf dem Hamburger Heiligengeistfeld in Hamburg mit 60.000 oder in der Frankfurter Innenstadt: Ein wogendes Fahnenmeer in Schwarz-Rot-Gold begleitete das hektische Spiel im WM-Stadion von Johannesburg. Vorfreude auf das Achtelfinale - und dabei auf den Showdown gegen England am Sonntag (16.00 Uhr) - mischten sich in den Jubel.
Der Trubel breitete sich unmittelbar nach Spielschluss in alle Richtungen aus. In Hamburg strömten Tausende direkt vom Heiligengeistfeld in die Kneipen auf der Reeperbahn, begleitet von Fangesängen und den Hupkonzerten der Autos. In Berlin formten sich die Auto-Karawanen und steuerten wie schon in den früheren Spielen und zur WM 2006 den Kurfürstendamm an, der sofort nach Spielschluss gesperrt wurde. Der Bummelboulevard wurde für Tausende zur Fußgängerzone. Die Menschen tanzten Polka. Rund 130 Polizisten waren im Einsatz, die Party begann friedlich.
Begeisterung nach Özil-Tor
Auf der größten Fanmeile Deutschlands rund um die Berliner Siegessäule war zuvor die Atmosphäre schon kurz vor dem Überkochen. Die Veranstalter sprachen sogar von 300.000 Teilnehmern, was die Polizei nicht bestätigten wollte. Wenige Minuten nach dem Anpfiff die Fanzonen in Berlin, Frankfurt/Main und Dortmund wegen Überfüllung geschlossen worden. "Alle Zugänge sind gesperrt, die Kapazitäten sind zu 100 Prozent genutzt", sagte eine Polizeisprecherin der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Nach dem Özil-Tor brach nicht enden wollende Begeisterung aus, die Fans sangen und tanzten, lagen sich in den Armen. Die Angst wich nun mit jeder Minute. Es gab nur vereinzelte Zwischenfälle, sagten Sprecher von Polizei und Rotem, Kreuz. Nach dem Abpfiff ging die Party erst richtig los.
Zu den ersten Gratulanten gehörte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Positiv sei auch, dass mit Ghana wenigesten eine afrikanische Mannschaft in der ersten WM auf afrikanischem Kontinent weitergekommen sei. Dies trage zur Solidarisierung der Länder Afrikas bei, sagte der Freiburger Erzbischof.
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagte, das deutsche Team habe sich "zu einem Arbeitssieg durchgekämpft". Das Achtelfinale gegen die Engländer werde sicher zu einer der spannendsten Partien dieser WM. "Auch wenn unsere Mannschaft noch nicht ganz auf Touren gekommen ist - ich glaube an den Weltmeistertitel", sagte Aigner.
Überfüllte Arenen
Präsidentschaftskandidat Christian Wulff (CDU) reagierte erleichtert. "Ich bin froh, dass Deutschland und Ghana weitergekommen sind." Er habe eine besondere Sympathie auch für Ghana. "Ich glaube, die Nationalelf hat noch nicht optimal zusammengespielt und dass sie extrem nervös und unter Druck war."
Nicht nur in der Hauptstadt, auch in der sogenannten Provinz steppte der Bär: Hunderte Menschen gingen etwa in Heilbronn auf die Straße, schwenkten Fahnen aus ihren fahrenden Autos. In der Frankfurter Innenstadt wurden die beiden Public-Viewing-Arenen gut eine Stunde vor Beginn wegen des großen Andrangs geschlossen. Laut Veranstalter waren rund 18.000 Fans auf den Plätzen. Im Münchner Olympiastadion mit Platz für 35.000 Fans kamen rund 25.000 Gäste.
Auch Nordrhein-Westfalen war im Fußballfieber: Zigtausende hatten sich schon Stunden vor der Partie auf den Weg in die Fanmeilen, Biergärten und Stadien begeben. Zwei Stunden vor dem Anpfiff war die Kölner Lanxess-Arena mit 18.000 Menschen schon bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Fanmeile auf dem Dortmunder Friedensplatz wurde eine halbe Stunde vor Spielbeginn gesperrt. 12.000 Fußballbegeisterte drängten sich vor der Riesenleinwand.
Ghanaer feiern trotz Niederlage
Freude herrschte auch in Ghana: Tausende Ghanaer haben am Mittwochabend den Einzug ihrer Fußballelf ins WM-Achtelfinale gefeiert. Im Zentrum der Hauptstadt Accra jubelten die Fans noch Stunden nach dem Ende des Spiels gegen Deutschland. "Wir haben gegen Deutschland verloren, aber Hauptsache, wir sind eine Runde weiter", beschrieb der Motorradfahrer Jonathan Dankwah die Stimmung der Menge. Hupende Autokorsos fuhren durch die von Menschenmassen bevölkerten Straßen, überall war das Dröhnen von Vuvuzelas zu hören.
Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg änderte extra seine Reisepläne, um beim Spiel mitfiebern zu können. Er brach Richtung Südafrika auf, landete auf halber Strecke im ostafrikanischen Dschibuti und versammelte sich abends mit 120 Soldaten im Hangar eines Kriegsschiffes, um 90 Minuten lang gebannt auf eine Stahlwand zu starren, über die eine englisch kommentierte Übertragung der Partie im wahrsten Sinne des Wortes flimmerte. Stadionatmosphäre will in dem Hangar nicht so recht aufkommen. Erst nach 60 Minuten ändert sich das. Mesut Özil trifft und Guttenberg hüpft vor Freude, ballt die Fäuste, nimmt einen Soldaten in den Arm und prostet ihm zu. Vereinzelt gibt es jetzt auch Anfeuerungsrufe. An ein Scheitern glaubt niemand mehr.
Beim Abpfiff steht der Minister vorne in der ersten Reihe. 3:0 hat er vorher getippt, mit dem knappen Sieg ist er trotzdem zufrieden. Gegen England müsse man in der Abwehr noch "ein bisschen nachschärfen", fachsimpelt er. Es seien aber "alle Chancen gegeben".