Kirchtürme: Ort der Freundschaft

Kirchtürme: Ort der Freundschaft
In Berlin wurde am Freitag der neu erschienene Band "Wo wenn nicht hier – Geschichten unterm Kirchturm" vorgestellt. 14 namhafte Autorinnen und Autoren haben darin ihr Erleben rund um eine Kirche aufgeschrieben.
19.06.2010
Von Cornelius Wüllenkemper

Kirchen sind Orte von Spiritualität und Räume mit einer ganz eigenen Geschichte und Ausstrahlung – auch außerhalb des Gottesdienstes. Wer könnte nicht ein persönliches Erlebnis in oder um ein bestimmtes Kirchengebäude erzählen, ob Erinnerungen an die Dorfkirche in der Heimat oder ein Kirchengebäude, dass sich eingeprägt hat? 14 namhafte deutsche Autorinnen und Autoren haben ihr persönliches Erleben, ihre Geschichten und Erinnerung rund um eine Kirche aufgeschrieben. In Berlin wurde am Freitag der neu erschienene Band "Wo wenn nicht hier – Geschichten unterm Kirchturm" vorgestellt.

Ein besonderes Buch braucht einen besonderen Platz der Präsentation. In Berlin, unweit vom Schloss Charlottenburg, dort, wo die lärmende Hauptstadt manchmal mehr einer beschaulichen Kleinstadt ähnelt, hatte man so einen Ort gefunden. Die Stiftung KiBa zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler und die Edition Chrismon hatten auf das Ausflugsschiff Spreekrone direkt an der Schlossbrücke geladen, um die neu erschiene Geschichtensammlung "Wo wenn nicht hier" zu präsentieren. Wer an den wogenden Pappeln vorbei auf der Anleger-Promenade am Wasser entlang durch die Abendsonne auf das Schiff gelangte, wusste spätestens hier, dass der Ort perfekt zum Titel des Buches passte. „'Wo wenn nicht hier' – ist Raum zum Grübeln, Staunen und Erleben, ist Zeit für spirituelle Fitness, zum Durchatmen. Ein Kirchgang der besonderen Art", so hatten Verlag und Stiftung den neuen Band angekündigt.

Auf der Spreekrone wurde vor den 150 Besuchern und zahlreichen Journalisten mit den 14 "Geschichten unterm Kirchturm" ein literarisches Denkmal präsentiert. KiBa-Geschäftsführer Thomas Bergrich wies in seiner Ansprache an die Fördermitglieder der Stiftung darauf hin, dass es in der Stiftung und mit dem vorliegenden Buch nicht nur um den Erhalt kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland gehe, sondern ebenso um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit dafür, dass die Pflege von Kirchengebäuden als Ort von Ruhe, Spiritualität und des sozialen Austauschs für die Gesellschaft ebenso wichtig sei wie für die Kirchengemeinden.

Welche lebenspraktische Bedeutung Kirchengebäude auch jenseits der Religiosität zukommt, führt der Autor und Journalist Arnd Brummer in seiner Geschichte "Liebe junge Freunde" vor: Ihm geht es um den persönlichen Bezug zu Gebäuden, der auch nach langer Abwesenheit andauert. Selbst zur "Kreuzkirche", einem "spröden Ziegelbau aus den späten fünfziger Jahren", dessen Keller der örtliche Pfarrer seinen "lieben jungen Freunden" als Rockerdisco "Church-Club" zur Verfügung stellte, unterhält der Erzähler in Brummers Geschichte auch noch als gestandener Mann ein inniges Verhältnis.

Der Schriftsteller und Kolumnist Wladimir Kaminer, gebürtiger Russe und seit 20 Jahren Wahlberliner, erzählt in "Die beflügelte Kirche" äußerst unterhaltsam und charmant von der Bedeutung, die der Kirche und ihren Gebäuden im kommunistischen Russland zukam, wie der "Staat sich selbst Kirche genug" und "Das Kapital" von Karl Marx seine Bibel war, "erweitert durch die Evangelien von Lenin, Stalin und ihren Nachfolgern", wie man Kirchen als Kartoffelspeicher umfunktionierte, die durch den Krieg halb zerstörten Gemäuer dem Verfall überließ oder sie gleich sprengte, um an ihrer Stelle eine modernes Freibad zu errichten.

Kaminer, der seine Geschichte dem Publikum auf der Spreekrone vorlas, betonte, wie nach dem Ende des kommunistischen Regimes das Bedürfnis nach Orientierung und Werterhalt in der russischen Bevölkerung sprunghaft angestiegen sei und man sich auch in der politischen Elite plötzlich wieder für Kirche, Religiosität und den Erhalt der kirchlichen Infrastruktur interessiere. Die Tänzerin und Autorin Martina Hefter sprach bei der Buch-Präsentation auf der Spree von der Wichtigkeit, die Kirchen auch jenseits des Gottesdienstes für jedermann offen zu halten, so dass aus ihnen "Orte der Freundschaft" werden.


Info: "Wo wenn nicht hier. Geschichten unterm Kirchturm" Stiftung KiBA (Hg.). Edition Chrismon 2010, 176 Seiten, illustriert von Tina Berning, 16 Euro, ISBN 978-3-86921-050-6