Regieren aus der Opposition: Das Kraft-Experiment in NRW

Regieren aus der Opposition: Das Kraft-Experiment in NRW
Keine Ampel, keine große Koalition und auch keine Minderheitsregierung. In Nordrhein-Westfalen plant SPD-Chefin Hannelore Kraft ein Experiment: Regieren aus der Opposition.
12.06.2010
Von Claus Haffert

Überraschende Wende im Machtpoker in Nordrhein-Westfalen. Die "gefühlte" Wahlsiegerin Hannelore Kraft bleibt mit der SPD freiwillig in der Opposition und will von dort dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) das Leben schwer machen. Eine große Koalition sei für die SPD keine Perspektive, sagte Kraft am Ende eines turbulenten Tages in Düsseldorf. Und auch das Risiko einer Minderheitsregierung will sie nicht eingehen.

"Für uns ist jetzt klar: Das Reden ist beendet", verkündete die SPD-Landeschefin, nachdem ihre Sondierungsgespräche in alle Richtungen gescheitert waren. "Jetzt geht's ans Handeln. Wir werden den Politikwechsel aus dem Parlament heraus in Gang setzen." Krafts Idee: Von den Oppositionsbänken mit wechselnden Mehrheiten SPD-Politik durchsetzen. Beispielsweise mit der CDU Landeshilfen für den Autobauer Opel. Oder mit einer linken Mehrheit im Parlament die Abschaffung der Studiengebühren.

Die Ampel war Krafts letzte Chance aufs Amt

Begonnen hatte der Freitag mit einer großen Enttäuschung für Kraft. Kurz nach Mitternacht musste sie im Düsseldorfer Messezentrum erklären, warum es keine Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP geben wird. "Das ist sehr schade", kommentierte Kraft den Ausstieg der FDP aus den Gesprächen. Ihre letzte Chance, Ministerpräsidentin zu werden, war damit dahin.

Bis zum Schluss der rund zehnstündigen Verhandlungen hatte Kraft für diese Option gekämpft, obwohl aus der FDP-Delegation zunehmend ablehnende Signale kamen. In einem Dreiergespräch mit dem FDP- Landesvorsitzenden Andreas Pinkwart und Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann hatte sie den Eindruck gewonnen, dass noch etwas geht. Doch selbst SPD-Kompromissangebote beim wichtigsten Streitthema Schule halfen nichts.

"An dem Punkt, an dem gesprungen werden muss", habe es bei der FDP keine einheitliche Linie gegeben, musste Kraft schließlich erkennen. Den Widerstand von FDP-Fraktionschef Gerhard Papke - von Anfang an ein Gegner von Gesprächen über die Ampel - konnte Pinkwart wohl nicht überwinden.

Indirektes Angebot durch Rüttgers ein "Affront"

Ministerpräsident Rüttgers versuchte prompt, Kraft in Verhandlungen über eine große Koalition zu locken. Noch in die die laufenden Ampel-Sondierungen funkte er per Zeitungsinterview Kompromisssignale bei Schule und Arbeitsmarkt. Doch damit befeuerte er die Abneigung Krafts gegen eine große Koalition nur noch mehr. Rüttgers' Offerte sei eher "ein Affront", giftete Kraft nach kurzem Schlaf im WDR-Hörfunk. Die SPD bewerte keine Zeitungsartikel, sondern Sondierungsergebnisse, ließ sie den CDU-Landeschef wissen.

Rüttgers hatte extra eine Auslandsreise abgesagt, um an diesem wichtigen Freitag in Düsseldorf zu sein. In einem Acht-Augen-Gespräch erläuterte die CDU-Spitze Kraft und ihrem Vize Norbert Römer am Nachmittag schließlich persönlich das Kompromissangebot. Ohne Wirkung. Das Gespräch habe zu "keiner weiteren Konkretisierung geführt", befand Kraft kühl.

Neuwahlen wie in Hessen?

Wie lange die ungewöhnliche Situation in NRW bestehenbleiben kann, weiß Kraft nicht. Es gebe kaum Vorbilder dafür. Mit Hessen, wo sich Ministerpräsident Roland Koch ein Jahr gegen eine rot-rot-grüne Mehrheit im Amt gehalten hatte und anschließend in Neuwahlen bestätigt wurde, sei die Situation in NRW nicht vergleichbar, glaubt Kraft - schon deshalb, weil Rot-Grün zehn Sitze mehr habe als Schwarz-Gelb - aber zum Regieren reicht es eben für beide nicht.

Wie es weitergehe, hänge von den anderen Parteien ab. "Wir werden sehen, wer sich an welcher Stelle weiterentwickelt und bewegt", meinte Kraft. Gut möglich, dass in NRW demnächst vielleicht doch noch über Koalitionen verhandelt wird. Aber vielleicht muss auch der letzte Ausweg Neuwahlen genutzt werden. Am Freitag hat Kraft davon nichts gesagt.

dpa