"Erweiterte Realität" ist Trend der Mobilkommunikation

"Erweiterte Realität" ist Trend der Mobilkommunikation
Schöne neue Welt: Das Handy zeigt den Weg zur nächsten Pizzeria an - und die Einschätzung früherer Kunden, wie gut dort die Margherita schmeckt. Und bald könnte es sogar ausreichen, durch eine Spezial-Brille im Café die unbekannte Frau am Tisch gegenüber anzugucken, um sofort Namen, Kontaktdaten und Fotos angezeigt zu bekommen.
07.06.2010
Von Marcus Kirzynowski

"Augmented Reality" heißt ein neuer Trend in der Mobilkommunikation, auf Deutsch "erweiterte Realität". Die Technik erweitert die Wahrnehmung der Umgebung, indem eine Software zusätzliche Informationen aus dem Internet über dem Kamerabild eines Handys einblendet - oder vielleicht in Zukunft auf den Gläsern einer Datenbrille.

Informatiker forschen seit Jahrzehnten daran. Dank der neuen Generation leistungsfähiger Handys wie dem iPhone soll die "erweiterte Realität" nun für den Massenmarkt attraktiv werden. Die Technik hilft bei der Orientierung in Städten und könnte bald auch neue soziale Netzwerke, ähnlich Facebook oder StudiVZ, hervorbringen. Softwareunternehmen und Technikfreaks schwärmen von fast unbegrenzten Möglichkeiten, Datenschützer befürchten den gläsernen Menschen.

Informationen für Touristen

Mobilizy aus Salzburg ist eines der ersten Unternehmen, das eine für größere Kundenkreise gedachte Anwendung auf den Markt gebracht hat: Wikitude soll vor allem Touristen helfen. Der Reisende fixiert eine Sehenswürdigkeit mit seiner Handykamera und bekommt in Sekundenschnelle Informationen dazu aus den Datenbanken von Wikipedia auf dem Bildschirm angezeigt. 350.000 interessante Punkte weltweit sind so bereits abrufbar. Auch Bewertungen von Restaurants und Geschäften lassen sich auf diese Weise anzeigen.

Seit dem vergangenem Jahr geht Wikitude noch einen Schritt weiter: Über den integrierten Dienst wikitude.me kann jeder Nutzer Informationen über Orte in einer Datenbank hinterlassen. Andere Nutzer bekommen sie dann angezeigt, wenn sie ihr Handy auf den entsprechenden Ort richten.

Staus umfahren

Möglich machen das Kompass und GPS-Navigation, die in modernen Handys eingebaut sind. Sie erlauben es, den Ort im Blickfeld der Kamera zu bestimmen und aus Datenbanken passende Informationen abzurufen.

Diese Technik macht sich auch das Amsterdamer Unternehmen Layer zunutze, das seine Software seit August 2009 weltweit anbietet. In Deutschland sind bisher allerdings erst etwa ein Dutzend Anwendungen verfügbar, mit denen sich per Handykamera Geldautomaten, Supermärkte und Impfärzte finden oder Staus umfahren lassen.

Stalker und Psychopathen?

Wer beim Kurznachrichtendienst Twitter mitmacht, kann mit Hilfe der Anwendung Tweetmondo andere Twitterer in seiner Umgebung finden. Das Programm übermittelt die jeweils aktuelle Position an andere Tweetmondo-Nutzer - solange man es nicht in den Privatsphäre-Einstellungen unterbindet.

Eine weitere Grenze will das schwedische Software-Unternehmen TAT mit seinem Programm Recognizr überschreiten, das bald auf den Markt kommen soll. Es soll wie ein soziales Netzwerk à la Facebook funktionieren - nur, dass man nicht mehr den Namen eines Menschen kennen muss, um Informationen über ihn abzurufen. Es reicht, ein Handy-Foto einer fremden Person zu machen. Wenn diese bei dem Dienst angemeldet ist, werden mit Hilfe einer Gesichtserkennungs-Software ein Profilfoto, Name und Kontaktdaten über dem Kamerabild angezeigt. Kritiker befürchten, eine solche Anwendung könne Stalker und Psychopathen anlocken.

Privatfotos bei Flickr

Kirstin Lenzen, Techniksoziologin an der TH Aachen, schätzt den Nutzen eines solchen Dienstes als eher gering ein: "Bislang fallen mir da nur Neugier bezüglich Partybekanntschaften und flüchtigen Zufallskontakten oder eine Freude am unbemerkten Ausspionieren anderer Leute ein". Dass das eine große Zahl Menschen zum Mitmachen motiviere, hält sie für fraglich.

Falk Lüke, der sich beim Bundesverband der Verbraucherzentralen mit Rechten in der digitalen Welt beschäftigt, warnt vor den neuen Anwendungen: "Eine Gefahr sehe ich besonders, wenn Dienste wie Recognizr mit bestehenden Datenbanken, etwa von Facebook oder Google, verknüpft würden".

Entwickelt wurde die Recognizr-Software vom schwedischen Unternehmen Polar Rose für TAT. Von Polar Rose stammt auch ein Programm, das bei dem Internetdienst Flickr mittels Gesichtserkennung Fotos gesuchter Personen findet. Sollten diese Anwendungen irgendwann verschmelzen, würde ein Schwenk mit dem Handy ausreichen und schon bekäme man auch Privatfotos angezeigt, die jemand ganz anderes bei Flickr eingestellt hat.
 

epd