Es hätte der Sommer ihres Lebens werden können für die Kinder von Michelle Rolls-Thomas. Der Strand des schmucken Ferien-Eilandes Dauphin Island vor der Küste Ost- Alabamas ist so schön und breit wie Michelle ihn noch nie sah, der Sand blendend weiß und puderfein. Es ist heiß, der Himmel fast kitschig blau. Aber das Meer ist menschenleer. "Ich lasse die Kids nicht ins Wasser", sagt die Fotografin, die hier aufwuchs, und hält sie nah bei sich. Neben den Urlaubern laufen Helfer mit Klarsichttüten den Strand ab, auf der Suche nach dem nächsten Teerklumpen. Seit ein paar Tagen werden es immer mehr, und sie werden immer größer.
Mit dem Ostzipfel Alabamas und damit praktisch Florida sind die Touristenhochburgen von der schlimmsten Ölpest der US-Geschichte bedroht. Und zu allem Überfluss liegt dort auch der atemberaubend schöne Insel-Naturpark Gulf Islands National Seashore, der sich von Mississippi bis nach West-Florida erstreckt. Galt bislang Louisiana als der Brennpunkt der Öl-Katastrophe, schwappt die Angst vor der klebrig-braunen Soße nun Richtung Ost - dort, wo massive Hotelkomplexe und zahllose Feriendomizile in fröhlichem Pastell keinen Zweifel lassen: Tourismus ist hier Big Business.
"Das Öl ist hier"
"Für eine Menge Leute hier wird die Ölpest um einiges greifbarer, und die Wut auf BP wächst gewaltig", sagt Pressefotografin Rolls- Thomas. Sie weiß von einem Ehepaar aus South Carolina, das in zwei Wochen auf Dauphin Island Urlaub machen wollte - abgesagt. "Das Öl ist hier", macht die Lokalzeitung "Press-Register" auf. Die Kleckse auf der Insel seien mal so groß wie eine Münze, mal wie ein großzügiger Pfannkuchen. Auf dem westlichen Nachbareiland Petit Bois Island kam unterdessen etwas an, das an "Schokoladen-Mousse" erinnerte, berichtet Natalie Murphy von der US-Küstenwache.
Die Lage scheint dramatisch: Zweimal binnen nur zwei Tagen weitete die US-Wetterbehörde NOAA die Fischfang-Verbotszone aus. Inzwischen sind sogar die Gewässer vor der Südwest-Küste Floridas Sperrgebiet - unmittelbar vor dem Nationalpark Dry Tortugas, wo sich die Behörden bereits auf die Ölpest vorbereiten. Inzwischen müssen sich Fischer schon aus einem Drittel der unter Bundesaufsicht stehenden Gewässern fernhalten. Im Urlaubsort Gulf Shores, direkt an der Grenze zwischen Alabama und Florida, begrüßt ein Schild die Touristen: "Willkommen an unseren schönen Stränden!" Kurz dahinter liegen als dicke weiße Würste die Ölbarrieren bereit. Auch vor der Küste von West-Floridas Touristenzentrum Pensacola leuchten sie schon orangerot im Wasser.
Wirtschaftliche Folgen
In Angst um Floridas riesige Urlaubsindustrie, die jährlich rund 60 Milliarden Dollar in die Kassen spült und knapp eine Million Menschen beschäftigt, macht sich unter Spitzenpolitikern des Sonnenscheinstaates Krisenstimmung breit. Eilig verkündete Gouverneur Charlie Crist eine sieben Millionen Dollar schwere Werbekampagne, um Urlauber in Kernmärkten in den Nordwesten seines Staates zu locken, den sogenannten Panhandle (Pfannengriff). "Obwohl es noch keine greifbaren Auswirkungen der Ölpest an Floridas Stränden gibt, spürt das Tourismusgewerbe, vor allem im Panhandle, sehr wohl bereits die wirtschaftlichen Folgen", erklärte der Gouverneur am Dienstag.
Von den Konsequenzen für die einmalige Natur ganz zu schweigen. Die Schönheit seiner schneeweißen Strände und sanften Dünen lässt den Naturpark Gulf Islands unwirklich scheinen, zerbrechlich. In seinem Marschland wimmelt es von Arten. Fast 260 Kilometer misst er von West nach Ost. "Ein Ort von unglaublichen Reichtümern", schwärmt die Nationalpark-Verwaltung. Schildkröten leben dort, Gürteltiere, das Opossum. Der braune Schlick scheint sie eingeholt zu haben. "Es gibt Berichte, dass Öl an Stränden angekommen ist", sagt ein Park-Ranger.
Was wäre, wenn es Bestätigung gibt? "Das wäre sehr schlecht."
Leere Strände
In Dauphin Island, eine Fähren-Überfahrt und dann eine Autostunde von dem Naturpark in Florida entfernt, halten sich die Menschen schon vom Meer fern. "An einem Tag wie heute wäre der Strand sonst rappelvoll", weiß Michelle Rolls-Thomas. Natalie Murphy von der Küstenwache will derweil gerne daran glauben, dass der Kampf gegen das Öl gewonnen werden kann. "Ich habe Vertrauen in den Stufen-Plan aus Überwachung, Abschöpfen des Öls und kontrollierter Verbrennung auf See und schließlich das Aufsammeln am Strand", sagt die Frau im Rang eines Kapitänleutnants, und es klingt sehr offiziell. Nach einer Pause fügt sie aber leise hinzu: "Ich stamme von hier. Das ist alles sehr emotional für mich."
dpa