Auswanderer nach Polen: "Viele kommen wegen des Geldes"

Auswanderer nach Polen: "Viele kommen wegen des Geldes"
Laut Migrationsbericht 2008 sind 132.438 Menschen von Deutschland nach Polen ausgewandert - mehr als Polen nach Deutschland. Darunter sind zwar nur 1.580 "echte" Deutsche ohne bereits bestehende polnische Wurzeln. Dennoch herrscht in manchen Branchen Goldgräberstimmung, viele wittern das große Geld jenseits der Grenze. Der Deutsche Thomas Schwarz, Jahrgang 1971, ist bereits 1999 nach Polen gegangen, kurz nach dem Nato-Beitritt des Landes. Er erzählt, wie es ihm ergangen ist, was er in seiner neuen Heimat vermisst - und was er allen Neuankömmlingen rät.
07.06.2010
Die Fragen stellte Thomas Östreicher

evangelisch.de: Herr Schwarz, was motiviert Deutsche, nach Polen zu gehen?

Schwarz: Geld. Viele europäische Firmen haben in Polen Niederlassungen und ködern die Menschen mit Geld, hier eine Zeitlang zu arbeiten und dann wieder zurückgehen. Die haben mit dem Leben hier und den Polen insgesamt herzlich wenig Kontakt und verdienen nach polnischen Maßstäben enorm viel.

evangelisch.de: Was heißt viel?

Schwarz: Um die Größenordnungen deutlich zu machen: Der Geschäftsführer eines mittelständischen Hotels beispielsweise bekommt brutto um die 12.000 Zloty im Monat, das sind rund 2900 Euro, die Zimmermädchen und Reinemachefrauen verdienen höchstens 1.200 Zloty, also ein Zehntel. Das geht unheimlich weit auseinander. Und wenn jetzt ein Deutscher hierherkommt, der zeitweise hier arbeitet, der bezieht ein deutsches Gehalt nebst Zulagen. Das entspricht erst recht nicht dem, was in Polen üblich ist.

evangelisch.de: Was hat Sie selbst zum Auswandern bewogen?

Schwarz: Die Liebe zu meiner Frau, ganz einfach.

evangelisch.de: Ihre Frau hätte ja nach Deutschland kommen können.

Schwarz: Es spielten auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle; weniger die finanziellen. Wir bieten deutsch-polnische Übersetzungen an, und die deutschen Firmen bevorzugen dafür Ansprechpartner in Polen, weil sie günstiger sind. Was Polen für eine Textseite in Rechnung stellen, ist nur ein Bruchteil dessen, was man in Deutschland verlangen muss, um zu überleben.

evangelisch.de: Davon abgesehen - war Deutschland eine Alternative?

Schwarz: Wir haben es ausprobiert und zwei Jahre in Deutschland gelebt. Dann war klar: Das bringt nichts. Wir lassen uns in Polen nieder, da haben wir größere Chancen. Und das hat sich auch bewahrheitet. Inzwischen haben wir uns einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt geschaffen, den es in der Form in Deutschland für uns vielleicht nicht gegeben hätte. Wenn ich uns mit Freunden und Bekannten vergleiche - die haben vielleicht absolut gesehen mehr Wohlstand, aber was die bleibenden Werte angeht, haben wir doch mehr erreicht.

evangelisch.de: Fiel es Ihnen das Auswandern schwer?

Schwarz: Nein. Wir haben uns allerdings auch intensiv darauf vorbereitet, ein Jahr lang, und ich habe eine Umschulung im Bereich Marketing absolviert. Einen Sprachkurs habe ich allerdings nicht gemacht.

evangelisch.de: Und Sie können sich trotzdem verständigen?

Schwarz: Ich habe mir das Polnische von den anderen abgehört. Schreiben kann ich bis heute nicht, das ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Darum arbeitet in erster Linie meine Frau als Übersetzerin, und wenn etwas ins Deutsche zu übersetzen ist, nehme ich anschließend eine muttersprachliche Korrektur vor. Ansonsten bin ich für Werbung und den Internetauftritt zuständig und kümmere mich außerdem schwerpunktmäßig um den Haushalt und unsere Tochter.

Offen aufgenommen worden

evangelisch.de: Haben es Ihnen die Polen leichtgemacht, heimisch zu werden?

Schwarz: Ja. Ich bin hier sehr offen aufgenommen worden. Die Polen waren mir gegenüber ganz neutral und waren auch bereit, die eigenen Vorurteile, die es ja ebenfalls gibt, zu revidieren. Dass ich nämlich nicht unbedingt den üblichen Vorstellungen von einem Deutschen entsprochen habe. Dazu hat beigetragen, dass ich als Mann im Haushalt Aufgaben übernehme, was für Männer in polnischen Familien noch eher die Ausnahme darstellt.

evangelisch.de: Typische Klischeevorstellungen von einem Deutschen sind ...

Schwarz: ... zum Beispiel Pünktlichkeit. Gut, was das angeht, habe ich als pünktlicher Mensch vielleicht dem Klischee entsprochen. Aber generell werden den Deutschen die klassischen preußischen Tugenden zugeschrieben wie absolutes Pflichtbewusstsein und Ordnungsliebe. Wenn ich dem nicht total entspreche, bringt mir das in Polen auf jeden Fall Sympathien ein.

evangelisch.de: Hatten Sie vorher Klischees von den Polen im Kopf?

Schwarz: Sehr wenige, schon wegen meines Hintergrunds. Meine Großmutter ist zwar Deutsche, stammt aber aus Polen. Wir haben auch Angehörige, die in Polen leben, von daher gab es immer viele Kontakte in das Land. Aber die Klischees werden schon ernst genommen. Wenn ich an die Media-Markt-Werbung denke, in der der Pole als Dieb dargestellt wurde - das fand ich schon ziemlich herbe, muss ich sagen.

Kein Deutschen-Bonus

evangelisch.de: Der deutsche Kabarettist Steffen Möller hat mit "Viva Polonia", seinen satirischen Polen-Beobachtungen, in Deutschland einen Bestseller abgeliefert. Was halten Sie von seinem Buch?

Schwarz: Er bedient voll die deutschen Klischees. Möller hat das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung. Dass er dazu viel beigetragen hätte, habe ich nicht gesehen. Als Schauspieler einer Daily Soap hier in Polen namens "M jak mi?oœ?" ("L wie Liebe", d. Red.) hat er einen gewissen Fankreis. Aber für die Verständigung haben andere mehr getan.

evangelisch.de: Möller arbeitet ähnlich wie der Israeli Ephraim Kishon: Er schildert die Schwächen seiner Wahlheimat und der Landsleute so drastisch, dass man am liebsten dorthin auswandern möchte. Was ist dagegen zu sagen?

Schwarz: Wer die Polen wirklich kennenlernt, stellt fest: Es ist ja nicht so, wie er es beschreibt, auch wenn mir vereinzelt Ähnliches untergekommen ist. Trotzdem bleiben manche Klischees haften, und sobald man das eine oder andere doch bestätigt findet, entsteht schnell die Meinung, alle Polen seien so wie im Buch. Das finde ich sehr gefährlich.

Manche Vorurteile stimmen

evangelisch.de: Gibt es Polen-Vorurteile, die Sie bestätigen können?

Schwarz: Also, der Aberglaube ist tatsächlich weit verbreitet. Viele Polen begrüßen sich nicht über einer Türschwelle und bedanken sich nicht für Glückwünsche, die sie im Voraus bekommen. Das gibt es schon. Aber auch in Deutschland trifft man Leute, die Angst vor Freitag, dem 13. haben.

evangelisch.de: Welches Bild haben Polen von deutschen Einwanderern?

Schwarz: Einen super Bonus als Deutscher hat man ebenso wenig wie vorab einen negativen Ruf. Es wird schon sehr differenziert geschaut, wer da kommt. Die Leute urteilen dann nach dem Verhalten. Wenn sich ein dicker BMW ins Parkverbot stellt, wird das nicht so gern gesehen - wie in Deutschland ja auch.

evangelisch.de: Was bezeichnen Sie als Ihre Heimat?

Schwarz: Nach wie vor Rellingen bei Hamburg, wo ich herkomme. Aber ich bin in beiden Staaten zu Hause. Zu Hause ist immer da, wo der Koffer steht. Und mein Lebensmittelpunkt ist inzwischen hier in Polen. Im Internet sieht sich meine Frau vorwiegend polnische Seiten an und ich mir deutsche, und darüber tauschen wir uns dann aus. Über das jüngste Hochwasser etwa. Während hier in Polen die Medien bereits voll davon waren, wurde es in Deutschland noch kaum erwähnt.

evangelisch.de: In welcher Sprache träumen Sie?

Schwarz: Das ist unterschiedlich. Eigentlich Deutsch. Aber wenn ich mich sehr viel polnisch unterhalte, träume ich auch polnisch.

Rückkehr nach Deutschland? Kaum vorstellbar

evangelisch.de: Können Sie sich eine Rückkehr nach Deutschland vorstellen?

Schwarz: Das ist schwer. Wir haben unseren Lebensmittelpunkt hier in Krakau geschaffen. Wenn nicht gerade ein großes Unglück passiert, macht man das nur einmal im Leben, genauso wie das Heiraten.

evangelisch.de: Was sagen Sie Menschen, die überlegen, nach Polen überzusiedeln?

Schwarz: Wenn jemand nur herkommt, weil ein guter Verdienst lockt, finde ich das nicht so gut. Ich habe eben oft erlebt, dass aufgrund des Einkommensgefälles schnell eine gewisse Überheblichkeit aufkommt. Wenn jemand bereit ist, sich auch mit einem polnischen Einkommen zufriedenzugeben und wegen des Landes und der Leute oder aus anderen privaten Gründen übersiedeln möchte, dann ist das okay. Aber ohne Vorbereitung geht es nicht. Man muss sich zum Beispiel mit dem Zivilrecht auseinandersetzen und mit den Regeln zum Grunderwerb. Der war bis vor gar nicht so langer Zeit für Deutsche gar nicht möglich. So manches Geschäftsmodell, das man sich woanders überlegt hat, funktioniert hier auch womöglich gar nicht. Man kann sich zum Beispiel nicht mit eigener Firma selbstständig machen ohne die Rechtsform der GmbH.

evangelisch.de: Gibt es etwas, woran Sie sich bis heute nicht gewöhnt haben?

Schwarz: Der polnische Weißkäse, so eine Art fester Quark, den kann ich nicht ab. Umgekehrt vermisse ich den deutschen Milchreis, den bekomme ich hier nicht. Lakritz auch nicht, ist hier völlig unbekannt.


Thomas Schwarz, Jahrgang 1971, ist "deutsch-polnisch ökumenisch verheiratet" und Vater einer Tochter. Seit Ostern 1999 lebt er im polnischen Krakow (Krakau), wo er gemeinsam mit seiner Frau die Firma Germania betreibt und deutsch-polnische sowie polnisch-deutsche Übersetzungen anbietet. Die Fotos oben entstanden bei einem Tagesausflug der Familie auf dem Gipfel des Kasprowy Wierch bei Zakopane in der Hohen Tatra.
Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.