Betretenes Schweigen während der Pressekonferenz. "Zu diesem Schritt hat mir keiner geraten", sagt der Mann vorne am Pult. Ein schmales Lächeln huscht über sein Gesicht. "Ich habe diese Entscheidung ganz alleine getroffen." Mit dem Rücktritt hat niemand gerechnet. Und schon gar nicht hier und heute. Helles Entsetzen macht sich breit, als die Nachricht bald darauf die Runde macht, Freund und Feind sind sprachlos, die Fans niedergeschlagen, die Theaterwelt ist ebenso erschüttert wie die Schwulenszene.
Nein, nicht von Roland Koch ist hier die Rede, sondern von Corny Littmann. Der Präsident des FC Sankt Pauli erklärte vergangene Woche völlig überraschend seinen Amtsverzicht. Ganz nach dem Motto: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Gerade ist der Hamburger Kultclub in die erste Fußball-Bundesliga aufgestiegen. Als der Theaterbesitzer und bekennende Homosexuelle Littmann (Foto: dpa) bei den Paulianern ans Ruder kam, im November 2002, war der Kutter von der Reeperbahn kurz vorm Absaufen. Jetzt ist das Ding wieder hochseetauglich. Und Bühnenleiter bleibt Littmann ja.
Einen wirklichen Grund braucht er nicht zu nennen
Das Herz des Eschborners Roland Koch dürfte eher für Eintracht Frankfurt schlagen, und sein Pressesprecher schwärmt für Schalke 04. Doch der Schritt des hessischen Landesfürsten nötigt mindestens ebenso großen Respekt ab wie der plötzliche Abgang des Kiezchefs. Seelenruhig schwärmte Koch am Dienstag von der Faszinationskraft der Politik – aber Politik sei eben nicht alles im Leben. Wortreich versuchte er zu begründen, warum er geht – doch einen richtigen Grund wollte, konnte, brauchte er gar nicht zu nennen.
Mehr als elf Jahre saß Koch in der Wiesbadener Staatskanzlei, hat Höhen und Tiefen mitgemacht. Für ihn galt das, was Franz Müntefering von der sozialdemokratischen Konkurrenz einmal "klare Kante" genannt hat. Von Demagogie hielt er sich nicht fern. Mit einer als ausländerfeindlich empfundenen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war Koch 1999 an die Macht gekommen. Als Ministerpräsident überlebte er die unappetitliche CDU-Spendenaffäre, obwohl ihm im Zusammenhang mit Schwarzkonten Lügen nachgewiesen wurden.
Nerven aus Stahl
Vor zwei Jahren, nach der desaströsen Wahlniederlage seiner Partei, war Koch schon fast aus dem Amt. Doch er hielt sich geschäftsführend in der Wiesbadener Staatskanzlei und profitierte dann von der Dummheit seiner SPD-Rivalin Andrea Ypsilanti, die ein Experiment mit einem von der Linkspartei tolerierten rot-grünen Minderheitsbündnis wagte und, weil sie vor der Wahl genau das ausgeschlosen hatte, böse auf die Nase fiel. Koch bewies in dieser Situation Nerven aus Stahl. Er wurde für seine Steherqualitäten belohnt – jetzt zeigt er auch Geherqualitäten. Der politische Mehrkämpfer ist in vielen Disziplinen zu Hause.
Hängt euer Herz nicht an weltliche Güter, sagen die Theologen zum Thema Verzicht. Roland Koch, der bei der Pressekonferenz die Seelenruhe des mit ihm befreundeten Dalai Lama ausstrahlte, verzichtet zwar auf sein Amt und auf ziemlich viel Einfluss in der CDU. Doch die verwehte politische Macht gibt ihm auf der anderen Seite viel von seiner Freiheit wieder. Seinen Gürtel wird der bald gewesene Ministerpräsident wohl nicht enger schnallen müssen. Eher im Gegenteil. Doch wenn er nicht für irgendwelche russischen Gasriesen tätig wird, behält er auch seinen guten Ruf. Zumindest in den Kreisen, in denen er ihn bisher schon hat.
Vom Schlag eines Mappus und Bouffier
Konservative Kanten vom Schlage Kochs sind in der Partei von Angela Merkel rar geworden. Die Bundeskanzlerin, die einst schon Friedrich Merz und damit ein gehöriges Stück Wirtschaftsverstand etwas unschön ins Abseits beförderte, hat es auf Länderebene nun mit Herren vom Schlage eines Mappus und bald Bouffier zu tun. Das sind im Vergleich zu Koch, Wulff oder Rüttgers eher Leichtmatrosen, ernsthafte Konkurrenz sieht anders aus. Merkel steuert weiter ihren kontrollierten Mittelkurs. Von Kochs Rückzugsplänen wusste sie schon seit einem Jahr.
So ähnlich sich Roland Koch und Corny Littmann in der überraschenden Eleganz ihres Adieus sein mögen, gewisse kulturelle Unterschiede bleiben dann doch. Und das ist gut so. Als der Chef des Piratenclubs seinen Ausstand ankündigte, hatte er eine Zwölf-Liter-Magnumflasche Champagner dabei, die anschließend unter den Journalisten kreiste. Beim obersten Hessen blieb die Stimmung nüchtern. Mehr noch: Koch hat den Medienleuten gerade den traditionellen hessischen Wäldchestag verdorben.