Kundus-Ausstellung als Facette eines Gesamtbildes

Kundus-Ausstellung als Facette eines Gesamtbildes
Politisch arbeitet ein Untersuchungsausschuss des Bundestages den Luftschlag von Kundus auf. Die juristischen Aspekte sind Sache der Gerichte. Die rein menschlichen Folgen betrachtet derzeit eine Ausstellung in Potsdam: Zwei Journalisten haben sich auf die Suche nach den Angehörigen der Menschen gemacht, die bei dem von deutscher Seite angeforderten Luftschlag am 4. September 2009 in Afghanistan ums Leben kamen. Am Samstag besuchte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Schau.
24.05.2010
Von Bettina Grachtrup

In einer dreckigen Jacke sitzt ein Junge auf einem Stuhl mit einer zerbrochenen Lehne. Sein Blick schweift in den Raum. In seinen Händen hält er ein kleines Foto. Es ist das Bild seines toten Vaters. "Niemand kann sagen, wann er zur Furt ging. Von seiner Leiche fand sich nichts", erklären die Ausstellungsmacher in der Bildunterschrift. Nach ihren Recherchen starben bei dem Bombardement auf zwei von Taliban entführte Tanklaster 91 Menschen. Manche waren nur deshalb zur Furt gekommen, um ihre Kanister mit Treibstoff aus den festsitzenden Lastern zu füllen - bis das Inferno losbrach.

In einem NATO-Untersuchungsbericht heißt es später, bei dem Bombardement habe es zwischen 17 und 142 Tote gegeben. Diese äußerst vage Angabe war der wesentliche Anstoß für die Recherchen, wie einer der beiden Journalisten, der "Stern"-Korrespondent Christoph Reuter, erzählt. "Das ist so respektlos, dass Menschen nicht mehr als Individuen gezählt werden." Zweiter Anlass sei die Tatsache gewesen, dass ein deutscher Offizier das erste Mal seit 1945 befohlen hatte, eine Menschenmenge zu töten. Und dann gab es die offiziellen Verlautbarungen direkt nach dem Luftschlag. Darin hieß es zunächst, es habe keine toten Zivilisten gegeben.

Freundklischees statt Feindklischees?

Über Vermittler und die örtlichen Bürgermeister bekamen die beiden Journalisten die Kontakte zu den Angehörigen. Reuter befragte sie zu ihren toten Familienmitgliedern, danach machte der Fotograf Marcel Mettelsiefen von ihnen Porträtaufnahmen vor einem schlichten Hintergrund.

Die meisten der so fotografierten Afghanen stehen offensichtlich noch unter dem Eindruck der Gespräche und blicken gedankenverloren und in sich gekehrt. Der Vater eines Getöteten schaut dagegen direkt in die Kamera - sein Blick hat etwas Aggressives. Und den Betrachter beschleicht die Frage: Sieht so vielleicht ein Talib aus?

Kritiker bemängeln, die Ausstellung lade zur Identifikation mit den Trauernden ein und mache es sich bei diesem vielschichtigen Thema zu einfach. Statt Feindklischees zeige sie Freundklischees, schrieb jüngst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Reuter entgegnet: "Wir wollten nicht sagen, wer ist Talib, wer ist nicht Talib. Das ist auch nicht Sinn der Ausstellung." In ihrem Buch zur Schau schreiben die Ausstellungsmacher, es gebe Sympathisanten, Opportunisten, Menschen, die aus Angst zu Mitläufern wurden, "zig Wesen aus der Zwischenwelt der Grautöne, die in der deutschen Debatte kaum jemand wahrnimmt".

Guttenberg: "wichtige Facette" in der Debatte

Verteidigungsminister zu Guttenberg nahm sich am Samstag rund eine halbe Stunde Zeit für die Schau im Kunstraum Potsdam. Nahe der Stadt sitzt das Einsatzführungskommando der Bundeswehr, das die Auslandseinsätze steuert. Guttenberg betrachtet die Gesichter der fotografierten Angehörigen und stellt viele Fragen. Sein Fazit zur Ausstellung: Sie sei eine wichtige Facette eines hochkomplexen Gesamtbildes. Es handele sich um eine "erstklassige", aber auch "sehr streitbare" Ausstellung. Er wünsche sich in Deutschland eine offene Auseinandersetzung zum Thema Opfer in Afghanistan - auch über die Opfer auf deutscher Seite. Seit Beginn des Bundeswehreinsatzes in dem Land am Hindukusch im Jahr 2002 kamen insgesamt 43 deutsche Soldaten ums Leben.

dpa