"Die Wölfe", 23. Mai, 20.15 Uhr auf 3sat
Liebe und Verrat, Gewalt und Leidenschaft, Geschichte und Geschichten: Mit dem dreiteiligen Doku-Drama "Die Wölfe", das im Frühjahr mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, ist der ZDF-Redaktion Zeitgeschehen sowie den Brüdern Christoph (Buch) und Friedemann Fromm (Buch und Regie) etwas völlig Neues gelungen. Während frühere Versuche, Zeitgeschichte als Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm zu erzählen, immer in zwei Teile zerfielen, hat Fromm ganz auf eine synergetische Kombination gesetzt: Spielszenen und Doku-Material bilden eine harmonische, organische Einheit. Die zeitgenössischen Aufnahmen sind so flüssig in die inszenierten Abschnitte integriert worden, dass man die Übergänge mitunter kaum wahrnimmt.
Sechs Berliner werden duch die Jahrzehnte begleitet
Doch das ist nur die eine Seite dieses 270 Minuten langen Werks. Nicht minder fesselnd als die technische Meisterleistung ist die Geschichte selbst. Die Grundidee klingt einfach: Im Zentrum der Handlung stehen sechs Berliner, die von den Autoren durch die Jahrzehnte begleitet werden. Drei historische Ereignisse markieren dabei jeweils existenzielle Wendepunkte in ihrem Leben. Im ersten Film ("Nichts kann uns trennen") sind das Währungsreform und Luftbrücke, im zweiten ("Zerbrochene Stadt") der Mauerbau, der die Clique spaltet, im dritten ("Hoffnung auf Glück") die Öffnung der Grenzen, die sie wieder vereinigt.
Komposition des Ensembles
Größte Herausforderung neben der hochwertigen Realisation trotz überschaubaren Budgets und der Integration der dokumentarischen Bilder war ohne Frage die Komposition des Ensembles. Fromm musste ja nicht nur Schauspieler finden, die glaubhaft eine verschworene Gemeinschaft ergeben, die Darsteller sollten auch vertikal zusammen passen, zumal Teil eins die Ereignisse aus dem Jahr 1989 vorwegnimmt. Dass Barbara Auer, Axel Prahl und Matthias Brandt herausragende Schauspieler sind, ist bekannt, und auch Annett Renneberg, Florian Lukas und Florian Stetter machen ihre Sache ausgezeichnet. Fast noch imposanter sind daher die Leistungen der von Fromm vorzüglich geführten jungen Generation.
"Nichts kann uns trennen. Nicht mal der Tod"
Über allem aber steht die Geschichte. Selbst wenn es all die anderen Vorzüge nicht gäbe: Sie allein wäre schon sehenswert. 1948 schwören sechs junge Berliner einander ewige Treue: "Nichts kann uns trennen. Nicht mal der Tod". Sie nennen sich "die Wölfe". Vor dem Hintergrund der zertrümmerten Metropole und der beginnenden Konfrontation zwischen Ost und West erlebt das Sextett (vier Jungs, zwei Mädchen) seine Abenteuer, wobei ihnen immer wieder eine rivalisierende Jugendbande in die Quere kommt. Schon jetzt beginnt, was die Gemeinschaft 13 Jahre später sprengen wird: nicht die Politik, sondern der Wettstreit des stillen Juden Jakob (Neel Fehler/Stetter/Brandt) und des zupackenden Bernd (Vincent Redetzki/Lukas/Prahl) um die schöne Lotte (Henriette Confurius/Renneberg/Auer). Nach der Schließung der Grenze organisiert Bernd 1961 für Jakob und Lotte die Flucht. Sie hat Glück, doch ihr Bruder (Constantin von Jascheroff) wird erschossen. Jakob überlebt zwar, muss fortan aber für die Staatssicherheit arbeiten. Damit ist der Weg frei für Silke (Stephanie Stappenbeck, später Johanna Gastdorf), die ihn schon immer angehimmelt hat. Der Kontakt zu den Wölfen im Westen bricht völlig ab. Fast drei Jahrzehnte später verlieben sich beim Urlaub in Ungarn ausgerechnet die Kinder (Florian David Fitz, Alma Leiberg) der beiden Paare ineinander. Von der gemeinsamen Vorgeschichte der Eltern wissen sie nichts, und das ist fatal, denn womöglich sind sie Halbgeschwister.
Zweiter Teil am Montag, Teil drei am Dienstag
Beim ZDF hat es zwischen den Abteilungen angeblich etwas gegrummelt, weil sich die Redaktion Zeitgeschehen doch sehr weit in die Kompetenzen des Fernsehspiels vorgewagt hat. Auch dort aber wird man neidlos anerkennen müssen, welch großer Wurf allen Beteiligten gelungen ist. Ein Vergleich zu Bernardo Bertoluccis großem Werk "1900" ist nicht vermessen. Den zweiten Teil zeigt 3sat morgen, Teil drei übermorgen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).