Die US-Regierung hat den Ölriesen BP zur sofortigen Veröffentlichung aller wichtigen Informationen und Daten zur Ölpest im Golf von Mexiko aufgefordert. Das sei ein "Muss", schrieben Heimatschutzministerin Janet Napolitano und die Leiterin der Umweltbehörde EPA, Lisa Jackson, am Donnerstag an BP-Chef Tony Haward. "Die Öffentlichkeit und die US-Regierung haben einen Anspruch auf völlige Transparenz in dieser Angelegenheit."
Zuvor war Washington immer schärfer unter Beschuss geraten: Wissenschaftler und Umweltexperten lasten der Regierung an, dass sie sich bei der Einschätzung des Ausmaßes der Ölkatastrophe zu stark auf Angaben von BP verlässt, anstatt eigene Untersuchungen durchzuführen. Hintergrund ist wachsendes Misstrauen darüber, wie akkurat die BP-Angaben über den andauernden Ölaustritt sind.
Ölpest im Golf von Mexiko wird immer bedrohlicher
Aus einem Live-Video vom Meeresgrund geht hervor, dass mehr Öl ins Wasser austritt als bisher vom britischen Konzern BP geschätzt. Im Bundesstaat Louisiana gelangt nach und nach mehr rostbraunes, dickflüssiges Öl ins empfindliche Marsch- und Sumpfland. Die Tourismusindustrie von betroffenen Bundesstaaten beklagt Umsatzeinbrüche. Und die Regierung von Präsident Barack Obama ist vier Wochen nach dem Untergang der Bohrinsel "Deepwater Horizon" voll im Kreuzfeuer der Kritik.
Offensichtlich als eine Reaktion darauf ordnete die US-Umweltbehörde EPA am Donnerstag an, dass BP eine bisher unter Wasser verwendete Chemikalie zum Zersetzen des Öls nicht mehr einsetzen darf. Dafür wurde dem Konzern eine Frist von 72 Stunden eingeräumt. Bereits bis Mitternacht (0600 Uhr MESZ am Freitagmorgen) sollte BP der EPA eine weniger giftige Alternative zu dem bisher verwendeten Mittel Corexit 9.500 nennen, hieß es in Medienberichten weiter. Die Behörde wolle dann prüfen, ob diese Chemikalie verwendet werden darf. Zuvor hatten Kongressmitglieder Alarm geschlagen: Sie befürchten, dass Corexit langfristige Umweltschäden verursacht.
Das seit Donnerstag im Internet zu sehende Unterwasser-Video zeigt, dass es aus dem abgerissenen Steigrohr in 1.500 Meter Tiefe weiter heftig sprudelt. Dabei ist es nach BP-Angaben mittlerweile gelungen, täglich etwa 700 Tonnen Rohöl direkt aus dem Leck abzusaugen und auf ein Bohrschiff zu leiten. 700 Tonnen - das entspricht genau den bisherigen BP-Schätzungen der Gesamtmenge, die vor dem Aufsaugen täglich aus zwei Lecks ins Meer gelangt sind.
Eine Reihe von Wissenschaftlern hatte bereits seit Tagen massive Zweifel daran geäußert, dass die BP-Schätzungen akkurat sind. Mehrere Experten nannten in den vergangenen Tagen Werte, die zwischen 2.800 bis 14.000 Tonnen täglich liegen.
"Alles, was diese Öldecke heute zudeckt, wird sterben"
Forscher kritisierten auch, die Regierung habe es bislang nicht annähernd geschafft, das wahre Ausmaß der Ölpest ans Tageslicht zu bringen. Ferner wird beklagt, dass es von offizieller Seite noch immer keine Auskunft darüber gebe, wie stark das Meerwasser bislang durch das Öl verschmutzt wurde. Es sei kein einziges Testresultat veröffentlicht worden. Experten befürchten, dass die Gefahr derzeit weniger vom Ölteppich auf dem Meer ausgeht als von Schwaden mit Öltröpfchen unterschiedlicher Größe unter der Wasseroberfläche. Diese könnten Lebewesen im Meer vergiften.
Doch auch an der Wasseroberfläche und an den Küsten sieht es düster aus: "Das sind keine Teerklumpen, das ist keine dünne Öl-Schicht, das ist richtig schweres Öl, das wir hier sehen", sagte Louisianas Gouverneur Bobby Jindal nach einer Bootstour durch das betroffene Gebiet im Südwesten seines Staates.
Trotz aller Bemühungen, den Ölteppich einzudämmen, gelangte eine mehrere Zentimeter dicke Schicht in das ökologisch sensible Gebiet. Das Öl droht, den Reichtum an Fischen und Meeresfrüchten wie Muscheln und Garnelen zu zerstören. "Alles, was diese Öldecke heute zudeckt, wird sterben", zitiert die "Washington Post" am Donnerstag den Chef der betroffenen Gemeinde Plaquemine, Billy Nungesser. Das wäre eine Katastrophe für die örtlichen Fischer.
Reisebranche verbucht massive Buchungsrückgänge
Auch für die Reisebranche in der Golfregion entwickelt sich die Ölpest zum Alptraum. Obwohl noch kein Strand geschlossen werden musste, berichteten Tourismusvertreter von massiven Buchungsrückgängen und Stornierungen. Die Küstenorte in Mississippi hätten 80 Prozent weniger Anfragen. Und 50 Prozent der Buchungen seien storniert worden, berichtete der Fernsehsender CNN.
An Floridas Golfküste und auf den beliebten Florida Keys sehe es nicht anders aus. "Wir sind erschüttert", sagte die demokratische Abgeordnete aus dem Sonnenscheinstaat, Corrine Brown, am Mittwoch vor dem Kongress. 65 Milliarden Dollar (rund 51 Milliarden Euro) spült der Tourismus dort jährlich in die Kassen. Wie auch Alabama will der Staat jetzt massiv in Werbung investieren - und sich das Geld von BP zurückholen.
Nächste Hoffnung: "Top kill"
Alle Hoffnungen auf ein Eindämmen der Ölpest ruhen weiter auf BP. Ingenieure des Konzerns wollen möglicherweise am Sonntag einen ersten Versuch starten, das Bohrloch zu schließen. Bei der geplanten Methode, die Experten als "Top kill" bezeichnen, werden große Mengen schweren Schlamms unter hohem Druck in die Quelle gepresst. Anschließend soll sie mit Zement endgültig abgedichtet und "versiegelt" werden.