Als am 1. Juli 1988 in Nigeria der kleine Emeka geboren wird, ahnt noch niemand, dass er einmal ein berühmter Mann werden würde. Seit Anfang Mai hat die Welt viel über Emeka Okoronkwo erfahren, durchweg Positives. Doch der junge Mann kann sich darüber nicht freuen: Er ist tot.
Es ist dasselbe Jahr 1988, als der deutsche Neonazi Michael Kühnen ankündigt, er wolle die südhessische Stadt Langen "ausländerfrei" machen, als erste in Deutschland. Zu dieser Zeit gilt der Ort mit rund 36.000-Einwohnern als braune Brutstätte. Ausgerechnet dorthin kommt Emeka mit acht Jahren in Begleitung seiner Mutter und seiner Schwester. Er habe perfekt Englisch gesprochen, erinnern sich seine Kameraden an die gemeinsame Anfangszeit, und nur wenig Deutsch. Aber das habe er rasend schnell gelernt.
Gelernt, einen Streit zu schlichten
Emeka ist ein aufgeweckter, kontaktfreudiger Junge, der in Langen und im benachbarten Sprendlingen zur Schule geht und sich gern im Sprendlinger Jugendzentrum aufhält. Er nimmt sogar an einem Training teil, um zu lernen, wie man Streit schlichtet.
Nach dem Hauptschulabschluss absolviert Emeka Berufsfortbildungsmaßnahmen und beginnt 2009 eine Lehre im Frankfurter Kolpinghaus. Dort absolvieren einige Dutzend junge Leute unterschiedlichster Herkunft eine staatlich geförderte Ausbildung in den Bereichen Küche, Hauswirtschaft und Service.
Wenig später beschließt Emeka auch, von zu Hause auszuziehen. Er ist inzwischen 21 Jahre alt und fühlt sich viel zu erwachsen, um noch in Mutters Haushalt zu wohnen. Im November 2009 zieht er ins Wohnheim des Kolping-Bildungswerks, an einer lauten Straße zwischen Zeil und Zoo gelegen mit einer Menge Durchgangsverkehr.
Bei einem Praktikum in einem Hotel entdeckt er seine Leidenschaft für das Gewerbe. Mehr noch: Er drängt darauf, eine Stelle in einem der wirklich noblen Häuser zu bekommen. Er selbst achtet auf sein Äußeres, ist immer schick gekleidet, hat große Pläne.
"Die waren von ihm begeistert"
"Es war nicht immer einfach mit ihm", sagt Sania Zayan mit einem traurigen Lächeln. Sie mochte den jungen Mann, gerade weil er gern viel diskutiert hat. Die Diplompsychologin ist beim Frankfurter Kolping-Bildungswerk auch für die pädagogische Betreuung der Auszubildenden zuständig. "Man wusste, wenn Emeka reinkommt, gibt's ein Gespräch", erinnert sie sich. "Und wenn Emeka etwas wollte, musste man mit ihm diskutieren. Ich habe dann zum Beispiel gesagt: Wir gehen kleine Schritte. Nicht gleich ins beste Hotel am Platz, wir arbeiten uns nach oben. Und das hat er dann auch angenommen." Eine Ausbildungsstelle als Koch ist ihm im Frühjahr 2010 sicher. "Emeka hat da richtig überzeugt, die waren von ihm begeistert."
Die 36-Jährige beschreibt ihren Schützling als ausgesprochen liebenswürdigen Menschen, der obendrein nicht rauchte und nichts von Alkohol oder Drogen hielt. "Wenn Emeka in den Raum trat, hat man eine Veränderung bemerkt." Sein tänzelnder Schritt, seine Präsenz, seine Wahrnehmung für die Umgebung: Das war Emeka. "Er war in allem, was er tat, engagiert. Wenn Leute zusammenstanden, hat er sich dazu gestellt, egal ob bei den Azubis oder anderen Leuten hier im Haus. Immer nett und nie aufdringlich."
Will man es dramatisch formulieren, kann man sagen: Seine Aufmerksamkeit für andere wird Emeka Okoronkwo zum Verhängnis.
Konflikt vor der Disco
Als er im Morgengrauen der Nacht vom 1. zum 2. Mai 2010 einen Salsa-Club verlässt, bemerkt er, wie zwei Frauen, 29 und 43 Jahre alt, vor dem Eingang des Lokals von zwei Männern bedrängt werden. Es ist 6 Uhr 40.
"Die beiden Männer wollten mit den Frauen schlafen", sagt Polizeisprecher Alexander Kießling später. Als die Frauen ablehnen, werden die Männer sauer, einer der beiden bespuckt die Frauen.
Emeka Okoronkwo tut jetzt etwas, was sich nicht jeder traut: Er mischt sich ein, es gibt ein Gerangel, einer der Männer spuckt auch ihm ins Gesicht. "Die beiden Frauen waren schon in Richtung Taxi gegangen", schildert Oberstaatsanwältin Doris Müller-Scheu den Hergang aus ihrer Sicht. "Dort drehten sie sich um und sahen die Auseinandersetzung."
In diesem Moment geht alles ganz schnell: Der Angreifer zieht ein Messer und sticht Emeka direkt ins Herz. Dann ergreifen er und sein Begleiter die Flucht. Emeka bricht zusammen und kämpft im Krankenhaus noch einige Stunden um sein Leben. Dann stirbt er.
Tötung in Notwehr?
Die Polizei veröffentlicht Phantombilder der beiden Täter; zunächst ohne Erfolg. Doch dann werden aufgrund eines Tipps von jemandem, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, zwei Verdächtige in ihren Wohnungen in Schwanheim und Dreieich festgenommen. Der mutmaßliche Täter, ein 34-jähriger Eritreer, sitzt seitdem in Untersuchungshaft, sein Begleiter, ein 24-jähriger Landsmann, ist wieder auf freiem Fuß.
Der 34-Jährige räumt bald ein, das Messer benutzt zu haben, allerdings nur aus Notwehr. "Aber das entspricht weder den bisherigen Ermittlungsergebnissen noch den Zeugenaussagen", sagt die Staatsanwältin und verweist auf die noch andauernden Ermittlungen, dass es noch weitere Zeugen gibt, die gehört werden müssen. Aber aus ihrer Sicht ist der Fall eindeutig: Totschlag.
Der Sicherheitsdezernent schweigt
Erst nach und nach sickern die Umstände der Bluttat ins Bewusstsein der Bevölkerung. Die Lokalpresse berichtet mit Verzögerung, dann aber umso ausführlicher über den Fall, seitenweise. Und es taucht die Frage auf, was Emeka Okoronkwo von Dominik Brunner unterscheidet, wie etwa der Kommentator der "Frankfurter Rundschau" fragt.
Der Münchner Brunner wurde im September 2009 an einer S-Bahnstation totgeprügelt, weil er vier Kinder vor Rowdys schützen wollte. Ihm wurde posthum das Bundesverdienstkreuz verliehen. Emeka Okoronkwo hätte eine vergleichbare Aufmerksamkeit verdient, finden viele. Auch bundesweit.
Sania Zayan sieht es ähnlich: "Hätte es sich um einen weißen BWL-Studenten gehandelt, der erstochen wurde, wäre es sofort ein Riesending gewesen. So hat es erst mal Tage gedauert, bis sich jemand empört hat." Frankfurts Sicherheitsdezernent Volker Stein etwa, ein sonst nicht gerade öffentlichkeitsscheuer FDP-Politiker, schwieg zum Fall Okoronkwo. "Ein unsensibles Verhalten, das viele Bürger ärgert", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Sollte der Tote das Bundesverdienstkreuz erhalten? "Ich habe diesen Wunsch nicht geäußert, aber ich fände es schön, wenn er jetzt noch eine Ehrung bekäme", sagt sie.
Die Trauerfeier und die Beerdigung in Langen besuchen Hunderte Menschen, "wie ein Staatsbegräbnis" kommt es Sania Zayan vor. Emekas Mutter ist Christin, bei der christlichen Zeremonie singt auch ein Chor von Nigerianern. Besonders bewegt die eritreische Gemeinde: Weil die mutmaßlichen Täter Landsleute von ihnen sind, fragen die Afrikaner höflich, ob sie dem Verstorbenen Respekt zollen und einen Kranz niederlegen dürfen. Sie dürfen; Frau Okoronkwo versteht zu differenzieren, und die Eritreer bereiten sogar das Essen für alle zu.
"Du bist ein Held"
Damit endet die Geschichte um einen jungen Nigerianer und sein kurzes Leben. "Ich will, dass die ganze Welt weiß, dass mein Sohn ein anständiger Mensch war", hat Frau Okoronkwo gesagt.
Vielleicht weiß es jetzt nicht die ganze Welt, aber bei einigen wird ihr Sohn genau so in Erinnerung bleiben. Im Frankfurter Kolpinghaus haben Emekas Freunde an eine Pinnwand kleine Abschiedsbotschaften geheftet (s. Bild oben). "Du bist in meinen Augen ein Held", steht auf einem Zettel.
Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.