"The Wind That Shakes the Barley", 20. Mai, 20.15 Uhr auf Arte
Was für ein poetischer Titel; und was für ein grausamer Film. Altmeister Ken Loach erzählt in "The Wind That Shakes the Barley" eine Begebenheit aus dem irischen Befreiungskrieg. Oder richtiger gesagt: Er erzählt die komplette Geschichte, indem er die Zerrissenheit des Landes zu Beginn der 1920er Jahre anhand eines Brüderpaares beschreibt. Eigentlich ist der junge Arzt Damien (Cillian Murphy) auf dem Weg nach London, um dort eine Stelle anzutreten. Mit dem Befreiungskampf seines Bruders Teddy (Pádraic Delaney) will er nichts zu tun haben; bis er die Brutalität der Besatzer am eigenen Leib zu spüren bekommt. Er entscheidet sich gegen seine vielversprechende persönliche Zukunft und beginnt statt dessen, an Teddys Seite mit Waffengewalt für die Zukunft seines Landes zu kämpfen.
Freiheitskampf in epischen Bilder
In epischen Bildern beschreibt Loach diesen Freiheitskampf. Der britischen Willkürherrschaft setzen die Freischärler Mut und Kaltschnäuzigkeit entgegen. Trotz tragischer Momente, wenn es beispielsweise gilt, Verräter zu bestrafen, ist Loachs Tonfall in der ersten Hälfte des Films durchweg positiv. Die Wiesen wogen, die Gesichter zeigen jugendliche Entschlossenheit, der Guerilla-Widerstand hat Fuß und Hand. Für einen Engländer schildert Loach die Iren überraschend sympathisch.
Doch dann wendet sich das Blatt. Die schlauen Briten beenden den Unabhängigkeitskampf mit politischen Mitteln: Sie bieten Irland einen Vertrag an. Die Interessen der Kolonialmacht bleiben gewahrt, denn die Iren sind fortan mit sich selbst beschäftigt: Die Bewegung ist gespalten, weil die einen eine zweifelhafte Unabhängigkeit dem Kampf vorziehen, während für die anderen der Kampf weitergeht. Der Bürgerkrieg wird ähnlich grimmig geführt wie zuvor der Widerstand gegen die Besatzungsmacht; und diesmal stehen die Brüder Damien und Teddy auf unterschiedlichen Seiten.
Harte Szenen aus britischen Folterkellern
Zwei Stunden dauert "The Wind That Shakes the Barley", übrigens die Schlusszeile eines kämpferischen Gedichts von Robert Dwyer Joyce. Die Geschichte ist fein säuberlich in zwei Hälften geteilt, und weil sie zunächst in Revolutionsromantik schwelgt, ist der zweite Teil ums so desillusionierender. Optisch aber bleibt das Epos ein Genuss. Ausgerechnet dem Sozialrealisten Loach ("Hidden Agenda, "Riff-Raff"), dem Wahrhaftigkeit immer wichtiger war als eingängige Bilder, ist ein Alterswerk von betörender Schönheit gelungen. Um so authentischer wirken die kantigen Gesichter der durchweg unbekannten Darsteller, um so krasser vor allem die harten Szenen aus den britischen Folterkellern, wenn irischen Freischärlern die Fingernägel rausgerissen werden, damit sie ihre Freunde verraten. In Cannes erhielt Loach für den Film die "Goldene Palme".
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).