Erleichterung und Bangen um Jemen-Geiseln

Erleichterung und Bangen um Jemen-Geiseln
Die Erleichterung im Heimatort der beiden aus Jemen geretteten Mädchen ist groß. Familienangehörige von Lydia und Anna sind nach Saudi-Arabien unterwegs, um die zwei nach Hause zu holen. Derweil gibt es zwischen Jemen und Saudi-Arabien Verstimmungen: Möglicherweise waren saudische Spezialeinheiten für die Befreiung auf jemenitischem Gebiet unterwegs.
18.05.2010
Von Martin Moravec und Jörg Schurig

"Ich könnte heulen vor Freude", gesteht Margit Barsch. Die Frau aus dem ostsächsischen Meschwitz kennt die im Jemen entführte fünfköpfige Familie gut. Sabine und Johannes Hentschel wohnten mit ihren drei kleinen Kindern direkt in der Nachbarschaft, wenn sie zum Urlaub in die Heimat kamen. In Jemen arbeiteten sie in einem Krankenhaus. Die 53-jährige Barsch sah die heute sechsjährige Lydia und ihre kleine Schwester Anna (4) aufwachsen. Die beiden Mädchen sind nun von einer Spezialeinheit aus Saudi-Arabien gerettet und in ein Militärkrankenhaus gebracht worden. Am Dienstag machte die Nachricht davon in Meschwitz die Runde.

"Die Mädels lagen mir so am Herzen, sie waren so zierlich, so lieb", sagt die Nachbarin. Mit großer Erleichterung hat sie die Rettung der Kinder aufgenommen. Doch sie bangt auch, was mit dem Rest der Familie geschehen ist oder noch passieren wird. Als die Hentschels am 12. Juni 2009 verschleppt wurden, hatte Margit Barsch Geburtstag. Je näher das Datum rückt, desto häufiger muss sie jetzt daran denken. Für sie wäre es das schönste Geschenk, wenn die Nachbarn wieder wohlbehalten zurückkehren würden.

Große Anteilnahme für die übrigen Geiseln

So emotional wie Nachbarin Barsch reagieren nicht alle Einwohner von Meschwitz und Lauske, wo die Eltern des entführten Mannes leben. Häufig hatten sich in den vergangenen Monaten Erfolgsmeldungen ins Gegenteil verkehrt. "Natürlich gab es Misstrauen. Es hieß so oft, die Familie würde schon bald wieder freikommen. Und dann hat sich das alles wieder zerschlagen", sagt Rentner Helmut Sowodniok. Seine Frau Anneliese ist die Patentante des 37 Jahre alten Johannes Hentschel.

"Ich bin noch nicht so erleichtert", räumt auch Anneliese Sowodniok ein. "Johannes war körperlich immer etwas zarter, aber psychisch umso robuster. Hoffentlich geht es weiter", sagt die Frau und richtet den Blick auf den noch im Jemen verbliebenen Rest der Familie. Überall im Ort ist die Anteilnahme groß. Zweimal in der Woche hatten Einwohner in der Kirche im nahe gelegenen Belgern Fürbitte für die Verschleppten gehalten. Auch Anneliese war oft mit mit der Mutter von Johannes dabei: "Der Glaube hält die Frau."

Der zweijährige Sohn ist vermutlich tot

"Die Menschen hoffen immer, dass es sich zum Guten wendet", sagt Helmut Sowodniok und spricht damit aus, was viele Menschen in der Gegend bewegt. Der Bruder von Johannes, ein Kfz-Mechaniker aus Lauske, bleibt an diesem Tag eher still. Natürlich habe er die Nachricht erleichtert aufgenommen. In den Medien möchte er damit am liebsten aber gar nicht auftauchen, noch ist zu vieles ungewiss. Das Reden überlässt er lieber seinem Schwager.

Reinhard Pötschke agiert seit der Entführung als Sprecher der Familie. Der Pfarrer aus Radebeul beantwortet auch am Dienstag die vielen Anfragen. Jetzt richten sich die Sorgen vor allem auf die noch immer Vermissten. Für den fast zweijährigen Simon, das jüngste Kind der Familie, befürchten die Angehörigen das Schlimmste: "Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen. Wenn nur zwei Kinder befreit worden sind, wo ist dann das dritte?"

Auch der evangelische Auslandsbischof Martin Schindehütte hat auf die Befreiung mit Freude und Hoffnung reagiert. Zugleich äußerte er sich in Hannover besorgt über das Schicksal der weiteren Mitglieder der entführten sächsischen Familie. "Ich empfinde Freude und Hoffnung, Trauer und Schmerz zugleich", erklärte Schindehütte, der die Hauptabteilung "Ökumene und Auslandsarbeit" im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) leitet. Schindehütte sagte, er sei "von Herzen froh" über die Nachricht von der Befreiung. Zugleich nähmen seine Sorgen und Befürchtungen um die als Geisel Festgehaltenen zu. Er hoffe inständig, dass die weiter verschollenen Eltern der Kinder gesund freikommen werden, sagte der Auslandsbischof.

Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Jochen Bohl, erklärte: "Unser Mitgefühl gilt den Eltern und Geschwistern." Freude, Trauer und Sorge lägen hier dicht beieinander. Der Landesbischof rief zur Fürbitte für die entführte Familie und ihre Angehörigen auf. Zugleich bat er die politisch Verantwortlichen in Deutschland und im Jemen um angemessene und umsichtige Bemühungen bei der Befreiung der noch Verschleppten.

Spannungen zwischen Jemen und Saudi-Arabien

Die Bundesregierung hat dem islamischen Königreich Saudi-Arabien für die "Rettungsaktion" gedankt. Doch mit Rücksicht auf die noch immer vermissten restlichen Geiseln und die politischen Befindlichkeiten der Verantwortlichen in Riad und Sanaa werden einige Details der Operation zurückgehalten. Unklar ist daher auch noch, ob das saudische Kommando selbst in Jemen war oder - so die offizielle Fassung - die beiden deutschen Mädchen im Grenzgebiet entgegengenommen haben. Jemenitische Stammesführer aus dem Bezirk Schadha sprachen von saudischen Kampfhubschraubern.

Wer die Kinder dorthin gebracht hat, verrät das saudische Innenministerium jedenfalls nicht. Auch die jemenitische Regierung gibt sich zugeknöpft. Ein jemenitischer Regierungsvertreter, der sich darüber ärgert, dass die Saudis nun als "Retter und Helden" gefeiert werden, ließ sich schließlich doch zu einem Kommentar hinreißen. Er sagte laut dpa: "Die Saudis verhandeln schon seit Monaten mit den Entführern. Sie haben Lösegeld bezahlt." Die Rede ist von fünf Millionen US-Dollar.

Der Sprecher des Innenministeriums in Riad, General Mansur al-Turki, sagt nichts von Lösegeldzahlungen. Er ist stolz, dass es seinen Männern gelungen ist, die Kinder zu retten. Doch als das Gespräch auf das Schicksal ihres kleinen Bruders Simon (1) kommt, wird seine Stimme ernst. Zu der Frage, ob die drei erwachsenen Geiseln - die Eltern der Kinder und der mit ihnen entführte Brite - gefunden wurden, sagt er wegen der noch laufenden Ermittlungen nichts.

dpa/epd/ evangelisch.de/ han