„Jesus? Nee, der ist nichts für uns. Zu schwach. Zu links. Zu liberal.“ Solche Sätze kann man offenbar zunehmend in konservativ-christlichen evangelikalen Kreisen in den USA hören. Mit der Bibelkunde scheint es dort auch nicht so weit her zu sein, wenn die Reaktion auf den Satz mit dem „auch die andere Wange hinhalten“ lautet: „Wo haben Sie das her? Liberale Gesprächsthemen?“
Ich gebe zu, ich war teils irritiert, teils amüsiert und irgendwie zunächst in meinen Vorurteilen mal wieder aufs Befriedigendste bestätigt. Natürlich ist es klar: So geht das doch nicht. Wir können doch nicht einfach Jesu Aussagen ablehnen, bloß weil sie uns nicht passen. Wir können uns doch nicht einfach nur das aus dem christlichen Glauben rauspicken, was uns passt – und alles andere weglassen.
Können wir nicht?
Wenn wir ehrlich sind: Machen wir das nicht alle? Gerade die Bergpredigt ist eine Herausforderung für uns. „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ „Liebe deine Feinde.“ Und so weiter. Lesen Sie die Bergpredigt doch mal wieder komplett. Matthäus Kapitel 5 bis 7. Sollte man ab und zu mal tun.
Haben wir nicht alle unsere Argumentationsstrategien, wie wir damit umgehen können? Jesus habe das nicht so wörtlich gemeint. Oder: Mein Nächster ist nur der, der maximal 5 Meter von mir entfernt ist oder so.
Und dann gibt es natürlich Sätze in der Bibel, bei denen wir uns tatsächlich sehr genau überlegen müssen, wie wörtlich wir sie nehmen. Wir können uns nicht das Auge ausreißen oder die Hand abhacken, wenn sie uns „zum Bösen verführen“. (Mt 5, 29-30, auch Bergpredigt, schon gelesen?) Ganz zu schweigen von manchen ziemlich blutrünstigen Stellen im Alten Testament.
Also: Auch ohne – aus Unwissenheit? – Worte Jesu direkt abzulehnen: Wir alle basteln uns unsere Glaubensüberzeugungen ein wenig zusammen. Hier ein bisschen Liebe, da etwas Geborgenheit, dort vielleicht ein Überlegenheitsgefühl und das ganze in einer Soße aus Ausreden, warum das eine oder andere eben nicht so funktionieren kann. Dazu kommen Bibelstellen, die die einen aus dem historischen Zusammenhang ganz anders lesen als die anderen, die sie strikt wörtlich nehmen. Dass wir dabei zu ganz schön unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, das sieht man ja.
Aber – was verbindet uns denn dann noch? Schon Martin Luther hat darüber nachgedacht, wenn auch in einem leicht anderen Zusammenhang. Seine Fragestellung war: Welche Stellen des Alten Testaments gelten denn noch für uns, die wir das Neue haben? Für uns gilt, „was Christum treibet“, meinte er. Also: Das, was die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes stärkt. Für mich ein ziemlich gutes Kriterium, das ich versuche, umzusetzen, nicht immer mit Erfolg. Für die anfangs zitierten evangelikalen Christinnen und Christen in den USA wäre es wohl zu woke, zu links, zu schwach. Ich bleibe trotzdem dabei.