Besser ohne Religion?

Besser ohne Religion?
Foto: dpa/Sedat Suna
Heizen die verschiedenen Religionen die weltweiten Konflikte noch mehr an? Wären wir ohne Religionen vielleicht besser dran? So einfach ist das alles nicht ...

Lange habe ich gezögert, zu diesen ganzen aktuell hochkochenden Themen etwas zu schreiben. Lange habe ich auch überlegt, in welcher Form und ob ich es wirklich auf der offiziellen Plattform evangelisch.de tun soll oder lieber auf meiner privaten Website www.kuschelkirche.de. Ich tue es hier. Und ich tue es ganz klar in der Ich-Form, denn ich spreche nicht als offizieller Vertreter der EKD oder sonst einer Organisation, auch wenn die Äußerungen beispielsweise von Heinrich Bedford-Strohm in eine ähnliche Richtung gehen. Ich tue es in dem Bewusstsein, dass sich möglicherweise auch hier anschließend, sagen wir mal: unangenehme Kommentare häufen könnten. Ich tue es in mehreren Teilen zu verschiedenen Teil-Themenbereichen, weil die Themen zu komplex für einen einzigen Artikel sind: Religionen und Krieg, Flucht, Vertreibung und „Wir schaffen das“, Frauenbilder, Islam und Religion – das kriegt man nicht in einem einzigen Blogeintrag unter. Also fangen wir mal mit einer Fragestellung an, die immer wieder auftaucht: Wäre die Welt ohne Religionen nicht eine friedlichere?

Die Lage ist, gelinde gesagt, unübersichtlich geworden. Alle möglichen Konflikte scheinen sich an den verschiedenen Religionen und Konfessionen zu entzünden. Nehmen wir doch mal ein paar Beispiele, vielleicht den schon beinahe vergessenen Konflikt in Nordirland: Protestanten gegen Katholiken. Oder Israel-Palästina: Juden gegen Muslime. Oder Iran und Saudi-Arabien: Sunniten gegen Schiiten. Man könnte die Liste sicher beliebig erweitern, vor allem, wenn man auch noch nach Afrika oder Asien schaut.

Wäre es nicht wirklich besser, es gäbe gar keine Religion, so wie manche es fast resigniert fordern? „and no religion, too“ sing John Lennon in „Imagine“ und es klingt so einfach: Religionen abschaffen und endlich ist Frieden auf der Welt.

So einfach ist es leider nicht. Ich glaube, in all den genannten Fällen hätte das nichts geändert, denn dahinter stecken jeweils ethnische oder nationale Konflikte, doch die beteiligten Parteien lassen sich oft am leichtesten anhand der unterschiedlichen Religionen bzw. Konfessionen unterscheiden. Ja, es gab und gibt auch Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen um den Glauben, vielleicht gehörten die Bauernkriege zu Luthers Zeiten dazu, vielleicht hätten diese – mit einigen Akzent- und Zeitverschiebungen – auch ohne die lutherische Reformation stattgefunden. Ähnliches gilt, um noch ein wenig weiter in der Geschichte zurückzugehen, auch für die Kreuzzüge, die natürlich religiös begründet wurden – doch hauptsächlich ging es doch auch da um Macht. Dass sich christliche Päpste zum Machthabern aufschwangen und Kriege anzettelten, ist angesichts der ziemlich klaren Botschaft Jesu („wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen“) eine große Verirrung, das allerdings müssen wir ganz klar sagen.

Genau so ist der innermuslimische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten – heute besonders deutlich greifbar an den Auseinandersetzungen zwischen Iran und Saudi-Arabien – letztlich nichts anderes als ein jahrhundertealter Erbschaftsstreit: Wer tritt die Nachfolge Mohammeds an, wer hat die Macht? Darum geht es in diesem Teil der Welt ja bis heute.

Nein, ich möchte nichts beschönigen und entschuldigen. Jeder dieser Kriege, jede dieser Auseinandersetzungen, jeder Missbrauchsfall war und ist schrecklich. Wenn Menschen wegen ihres Glaubens getötet oder vertrieben werden, ist das durch nichts zu entschuldigen. Es ist eine schwere Last, die wir als Christen da in unserer zweitausendjährigen Geschichte mit uns herumschleppen. Wir können die Geschichte und die Verirrungen der damaligen Zeit nicht ändern, nur aus diesen Fehlern lernen und versuchen, es besser zu machen. Genau so, wie wir auch als Deutsche mit unserer jüngeren Vergangenheit leben müssen und nur versuchen können, es besser zu machen als unsere Vorfahren zur Zeit des „Dritten Reichs“. Und ja, auch damals hat gerade die evangelische Kirche keine besonders rühmliche Rolle gespielt.

Sollen wir angesichts dieser Geschichte auch sagen: „Besser, es gäbe keine Deutschen“? Tja, vielleicht. Aber es gibt sie nun mal, und wir identifizieren uns in unterschiedlichem Grad auch mit diesem Land.

Ich kann verstehen, wenn Menschen sich nicht mit diesem Deutschland identifizieren können. Ich kann auch verstehen, dass Menschen sich nicht mit dieser Kirche identifizieren können, die so eine gewaltvolle Geschichte mit sich trägt. Und auch heute gibt es ja gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Religionen. Weniger hier in Europa, aber in Afrika beispielsweise. Dort brennen immer wieder mal christliche Kirchen oder muslimische Moscheen. Dort werden immer wieder Menschen wegen ihres Glaubens getötet oder verfolgt. Ob es auch dort ähnliche Ursachen hat wie in Nordirland? Dazu habe ich in diesen Fällen zu wenig Einblick.

Natürlich, mit Sicherheit, gibt es auch Konflikte, die rein auf den unterschiedlichen Glaubensausrichtungen beruhen. Genau wie es welche gibt, die mit dem Glauben überhaupt nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, ob eine Welt ohne Religionen eine bessere, friedlichere wäre, ich glaube es nicht. Denn eigentlich fordert uns unsere christliche Religion zu Frieden und Versöhnung auf. Und auch viele der über eine Milliarde Muslime weltweit sehen ihre Religion als eine Religion des Friedens an. Dr. Markus Weingardt hat in einem Blogeintrag einige Gegenbeispiele gesammelt: Momente, in denen Vertreter verschieder Religionen erfolgreich für Frieden und Versöhnung eingetreten sind.

Ich persönlich glaube nicht, dass die Welt ohne Religionen eine bessere und friedlichere wäre. Sie wäre eine hoffnungslosere, meine ich. Ich glaube sogar eher, dass Religionen, richtig verstanden, zu friedlicherem Umgang miteinander beitragen. Leider, leider werden sie nicht immer richtig verstanden, gerade von denen, sie sich als ihre eifrigsten Anhänger wähnen. Ich jedenfalls arbeite daran, diese Welt zu einer friedlicheren zu machen. Ob Sie nun selbst an einen Gott glauben oder nicht: Lassen Sie uns in diesem Punkt einfach zusammenarbeiten.