Ach je. Manchmal ist es schon nicht einfach mit den Menschen, die dem christlichen Glauben eher skeptisch gegenüberstehen. Nicht, dass das nicht grundsätzlich eine akzeptable Position wäre. Natürlich kann jeder und jede glauben oder nicht glauben, was er/sie will. Leicht amüsant finde ich aber schon, wenn dann irgendwelche obskuren Quellen als das Nonplusultra der Religionswisschenschaften angesehen werden, während Texte, die über Jahrhunderte, ja Jahrtausende immer wieder kritisch untersucht wurden, verworfen werden, weil sie ja in der Bibel stehen.
Lassen Sie uns doch einen Blick auf eine sensationelle Entdeckung werfen, die mir vor ein, zwei Wochen stolz auf Facebook präsentiert wurde – ich weiß leider nicht mehr von wem:
Eine Original-Bibel, ungefähr 1500 bis 2000 Jahre alt! Und, man höre und staune: Sie behauptet, Jesus sei nicht gekreuzigt worden, das habe Judas für ihn übernommen. Außerdem habe das Evangelium, das in der Türkei gefunden wurde, schon auf den Propheten Mohammed hingewiesen. Wow.
Hilfe! Die böse böse Kirche hat damals dieses Barnabas-Evangelium unterdrückt und nur Matthäus, Markus, Lukas und Johannes rangelassen! Und jetzt wollen sie dieses neu entdeckte Barnabas-Evangelium untersuchen. Kriegen se aber nich. Ist alles geheim, jawoll!
Nun ja, lassen Sie uns das doch mal genauer ansehen. Ein Buch. Damit ist es schon mal unwahrscheinlich, dass es wirklich aus der Zeit Jesu stammt, denn die Buchbindung war damals noch gar nicht erfunden. Der erste bekannte Buchbinder der Welt war der irische Mönch Dagaeus im Jahr 550.
Na gut, wer schon zu Jesu Zeiten Mohammed kannte, mag vielleicht auch schon die Buchbindung ein paar Jahrhunderte früher gekannt haben. Seltsam finde ich allerdings auch die goldenen Lettern. Ich glaube kaum, dass die allerersten Christen dafür genug Geld hatten.
####LINKS####Dass es natürlich noch weitere Evangelien gab, ist ja unter ernsthaften Forschern völlig unumstritten. Auch, dass die Auswahl der Evangelien, die in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, durchaus bestimmten Kriterien folgte. So fand zum Beispiel eines keine Aufnahme, das davon erzählt, wie Jesus als Jugendlicher aus Ärger einen Vogelschwarm umbrachte.
Dass auch die Geschichten, die die „offiziellen“ Evangelien erzählen, nicht alle in der Weise der Wahrheit entsprechen, dass wir sie als historische Berichte auffassen können, ist in der Forschung ebenfalls bekannt, wenn es auch nicht von allen Christinnen und Christen so gesehen wird. Das mit der Wahrheit ist ein wenig komplizierter. Es geht, wie eigentlich immer in orientalischen Geschichten, um die Wahrheit „hinter“ den Worten. Insofern gebe ich dem Autor dieses Artikels Recht, der hofft, alle Gläubigen mögen erkennen, dass religiöse Texte einer Interpretation bedürfen. Und in noch einem Punkt stimme ich mit ihm/ihr überein: Blinder Glaube ist nicht gut.
Mich jedenfalls bringt ein obskures, angeblich uraltes Buch aus der Türkei so wenig aus der Fassung wie irgendein Verschwörungstheorie-Blog im Internet.