In den letzten Tagen las ich eine Menge darüber, wie schwierig es doch sei, Pfarrerin oder Pfarrer zu sein. Das fängt schon bei einer einfachen Krankheit an, denn da geht die Suche los: Wer kann die Beerdigung morgen übernehmen? Wie soll der Gemeindebrief rechtzeitig fertig werden? Was ist mit dem Gottesdienst am Sonntag? Und so weiter.
Meine (noch-)Kollegin Christiane Müller beklagte nun auf evangelisch.de auch Einschränkungen in der persönlichen Freiheit, insbesondere im Zusammenhang mit der Residenzpflicht, also dem verpflichtenden Wohnen in einem Pfarrhaus. Ja, das hat Nachteile. Im Gemeindesaal nebenan geht die Feier bis spät abends. Um elf Uhr klingelt jemand, weil die Heizung nicht mehr geht oder sonst irgendwas.
Überhaupt sollen Pfarrerinnen und Pfarrer immer erreichbar sein. Tag und Nacht. Ein Kollege berichtete mir mal von einer über achtzigjährigen Frau, deren Bett mitten in der Nacht zusammengekracht war und die sich nicht anders zu helfen wusste, als nachts um halb drei den Pfarrer anzurufen. Und auch ich habe schon manche Telefonate und Gespräche mitten in der Nacht geführt. Und den dreißigsten Geburtstag meiner Frau verbrachte ich damit, Eltern die Todesnachricht ihres erwachsenen Kindes zu überbringen.
Ja, manchmal – oft – ist auch die Familie von diesem Beruf betroffen. Mal im positiven, mal im negativen Sinn. Meine erste Freundin war Tochter eines Pfarrers. Ich erinnere mich sehr gut, wie sie daran litt, dass ihr Vater auch noch stolz war auf diesen Satz: „Meinen freien Tag in der Woche nehme ich einmal im Monat samstags von zehn bis zwölf“. Nein, so sollte es bei mir nie sein.
Trotz aller Einschränkungen sage ich: Pfarrer ist für mich der schönste Beruf der Welt. Und hier mag ich den ersten Absatz von Christiane Müller gerne zitieren:
Weil es ein toller Beruf ist. Es ist wahnsinnig spannend, mit Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen zu tun zu haben. Man kann kreativ sein. Ziemlich selbständig arbeiten. Und seine eigenen Gaben und Fähigkeiten einbringen. Deshalb habe ich mich dafür entschieden.
Ja, und deshalb bleibe ich auch gerne dabei. Für mich vereint dieser Beruf wirklich das Beste aus vielen Welten: Ich kann weitgehend selbständig arbeiten und entscheiden, wo ich Schwerpunkte setze – natürlich in Absprache mit den jeweiligen Gremien, Kirchenvorstand usw. Ich kann meine Zeit frei einteilen, solange ich meine Arbeit irgendwann erledige. Aber ich muss diese freie Zeit, das ist die Kehrseite, die jeder Selbständige kennt, auch gegen die ständig rufenden Pflichten aktiv verteidigen. Es gibt Wochen, in denen ist das kaum möglich. Auch ich habe manchmal Arbeitswochen mit achtzig und mehr Stunden. Gehe aus dem Haus, wenn meine Jüngste noch schläft, und komme wieder, wenn sie schon im Bett ist. So wie viele Selbständige auch. Anders als ein Selbständiger habe ich aber eine feste Anstellung, ja sogar ein unkündbares Beamtenverhältnis. Ich kann beruhigter als viele in die Zukunft schauen, trotz aller Fragezeichen, die damit verbunden sind.
####LINKS####Und: Es gibt so viele verschiedene Ausprägungen dieses Berufs, dass ich glaube: Da müsste doch eigentlich für jede und jeden etwas dabei sein. Manche gehen komplett in den Religionsunterricht, verabschieden sich ganz aus dem Gemeindeleben. Manche übernehmen Managerposten bei Diakonischen Werken und anderen Einrichtungen. Andere gehen in die Öffentlichkeitsarbeit oder in die Krankenhaus- und Altenheimseelsorge. Manche sind in der IT unserer Landeskirche gelandet. Es gibt Verwalterposten und Kreativstellen. Es gibt Menschen, die herumreisen und beraten. Es gibt Pfarrerinnen und Pfarrer, die Konzepte entwickeln, Großveranstaltungen durchführen, ach, alles mögliche. Alles das übrigens ohne Residenzpflicht in irgendwelchen Pfarrhäusern, aber das nur am Rande. Ich selbst bin, nach knapp zehn Jahren als (zweiter) Gemeindepfarrer, nun zur Hälfte Schulbeauftragter, der den ganzen Religionsunterricht organisiert und auch Vorgesetzter der kirchlichen Lehrkräfte ist, und zur anderen Hälfte Citykirche-Pfarrer mit der Aufgabe, Wege zu Menschen zu suchen, die nicht viel mit Kirche am Hut haben. Eine hoch kreative, oft anstrengende Aufgabe, die ich vermutlich nicht bis zur Rente machen kann. Aber eine, so meine ich, in der ich meine Begabungen besonders gut einbringen kann.
Residenzpflicht, das gebe ich zu, habe ich keine. Wenn man nicht Facebook und Twitter als meine Heimat und mein „virtuelles Pfarrhaus“ ansehen mag, wo ich durchaus intensiv dienstlich unterwegs bin und manchmal auch nachts noch schreibe, auch seelsorgerlich tätig bin. Und ab und zu sogar im Urlaub. Doch ich weiß durch meine damalige Freundin und natürlich auch durch meine Kolleginnen und Kollegen, was es bedeutet, in einem Pfarrhaus zu wohnen. Ob es besser ist, so wie jetzt, erst mal eine halbe Stunde unterwegs zu sein zum Büro?
Bei allen Einschränkungen, die mir sehr bewusst sind und die Christiane Müller ja ausführlich beschrieben hat: Manchmal träume ich davon, in einem Pfarrhaus zu wohnen. Im Zentrum einer Gemeinde, die mir auf meiner jetzigen Stelle ein bisschen fehlt. Wirklich da zu sein für die Menschen, die Hilfe brauchen, egal ob um neun Uhr früh oder nachts um halb drei. Mit der Gemeinde zu leben. Pfarrer zu sein in einem Dorf, wo das Pfarrhaus wirklich noch Zentrum der Gemeindearbeit ist. Nach meiner Wahrnehmung wird das ja auch weniger, je größer die Stadt ist. Wer als Pfarrerin oder Pfarrer ein wenig Anonymität haben möchte, findet die, glaube ich, auch in der Großstadt, zumal auf zweiten, dritten oder gar vierten Pfarrstellen.
Der schönste Beruf der Welt, habe ich geschrieben. Es ist auch einer der forderndsten. Nie, wirklich nie, ist alle Arbeit getan, ein Leben lang bis zur Pensionierung (vielleicht auch noch danach?) schreit einen dieser Berg von Arbeit an. Sicher können wir hier Dinge verbessern. Verwaltungsaufgaben an Fachleute abgeben beispielsweise, statt sie den Pfarrerinnen und Pfarrern aufzuhalsen. In unserem Dekanat versuchen wir das gerade für die Verwaltung der evangelischen Kindergärten umzusetzen.
Ich glaube, wir müssen vor allem drei Dinge lernen, um in diesem Beruf zu überleben:
- Die Arbeit ist sowieso nie zu Ende. Lass sie mal liegen. Und auch „Familie“ ist ein gleichberechtiger Termin oder hat sogar mal Vorrang.
- Du bist nicht unersetzlich. Wenn du krank bist, bist du krank. Und wenn eine Veranstaltung ausfällt, geht davon auch nicht die Welt unter.
- Wir leben in einer Gemeinschaft der Ordinierten. Wir müssen keine Einzelkämpfer sein. Wir können und sollen uns gegenseitig aushelfen.
Gerade der dritte Punkt ist mir sehr wichtig. Ich springe ein, wo ich kann, sage auch klar nein, wenn es nicht geht. Aber ich frage auch selber um Hilfe nach. Besonders eindrücklich ist mir im Gedächtnis geblieben, wie selbstverständlich ein Kollege eingesprungen ist: Eine Stunde vor einer Beerdigung rief ich ihn stark erkältet an und sagte: „Ich kann jetzt entweder die Beerdigung sausen lassen oder morgen den Gottesdienst mit Einführung des neu gewählten Kirchenvorstands. Kannst du die Beerdigung übernehmen? Ich habe aber keine fertige Ansprache, nur ein paar Notizen vom Gespräch und eine Idee, zu welchem Bibeltext ich dazu noch etwas sagen wollte.“ Seine Antwort: „Fax mir rüber, was du hast, ich komm schon klar. Wo ist nochmal euer Friedhof?“
Der schönste Beruf der Welt. Sicher nicht der einfachste. Aber ich möchte keinen anderen haben.