Glaube in Gefahr

Glaube in Gefahr

In diesen Tagen beschäftigt die Frage wieder viele Menschen, die sich ernsthaft mit Glaubensthemen auseinandersetzen. Eine Frage, die wohl so alt ist wie der Glaube an einen liebenden, allmächtigen und allwissenden Gott: Wenn Gott denn so ist, wie ich ihn gerade beschrieben habe – warum gibt es dann Leid auf der Welt? Warum geschehen so schreckliche Dinge wie die Erdbeben in Haiti, die Judenverfolgung (nicht nur, aber besonders) im „Dritten Reich“, die Tsunami-Katastrophe und und und?

Genauso natürlich auch die Fragen eher im persönlichen Bereich. Meist geht es dann um schwere Krankheit und Tod. Warum musste ein fünfjähriger Junge sterben? Warum bekommt eine junge Mutter von drei kleinen Kindern Krebs? Könnte Gott, wenn er denn ein liebender Gott ist, da nicht eingreifen? Will er es nicht – dann ist er doch kein liebender Gott. Kann er es nicht – dann ist er doch kein Gott. Weiß er nichts davon – dann kann er uns auch gestohlen bleiben.

Ja, so argumentieren viele. Schon oft habe ich über dieses Thema gesprochen, die so genannte Theodizeefrage, wörtlich: die „Rechtfertigung Gottes“. Manche kommen für sich zu dem Schluss: Diesen Gott kann es nicht geben, wenn er so etwas zulässt. Interessanterweise gibt es andere, die in so einer Krisensituation genau zum Gegenteil kommen: Ja, gerade in diesen schweren Momenten habe ich Gottes Nähe gespürt und erfahren. Wenn's nicht so ernst wäre, könnte man es geradezu witzig finden, zu welch unterschiedlichen Schlüssen Menschen in ähnlichen Situationen gelangen. Glaube in Gefahr, so habe ich diesen Beitrag überschrieben. Ja, der Glaube ist tatsächlich in der Gefahr, durch solche Ereignisse ausgelöscht oder zumindest angekratzt zu werden. Man kann den Titel aber auch anders deuten: Ich glaube, gerade in Zeiten der Gefahr. Ich glaube, dass Gott da ist, auch wenn ich ihn nicht sehe, nicht spüre, auch wenn die Welt um mich herum geradezu schreit vor Beweisen, dass kein Gott existiert. Und dann, dann erkennt man vielleicht: Dieser Gott, an den wir zumindest zu glauben versuchen, er muss sich vor uns nicht rechtfertigen. Er ist größer als wir alle. Seine Wege kommen uns manchmal seltsam vor. Geradezu unmenschlich. Was ja auch stimmt, er ist ja kein Mensch. Beim Propheten Jesaja, der auch in einer schweren Zeit des Volkes Israel aufgetreten ist, steht im Kapitel 55:

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Dass Gott andere Wege geht als wir uns das so denken, das hat er auch am Beispiel Jesus gezeigt. Bestimmt wäre es ein Leichtes gewesen für Gott, Jesus aus der Gefangenschaft zu befreien. Einzugreifen in den Lauf der Geschichte. Wenn Gott Gott ist, dann kann er das. Und doch tut er es nicht. Er lässt diesen Jesus das tiefe Elend erleben, aus dem unser Leben nun mal oft besteht. Verrat durch einen Freund. Verspottet werden von denen, die einem noch vor kurzem zugejubelt haben. Folter. Angst vor dem Tod. Verurteilung als Verbrecher. Und dann schließlich der Tod selbst. Unausweichlich für jeden Menschen. Unüberwindbar, so scheint es. Das Ende allen Seins. So sagen es viele. Doch dieser Jesus, er geht weiter. So glauben es jedenfalls wir Christen. Für ihn ist der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen Lebens. Aber Gott hat nun selbst gespürt, was das heißt: Leiden. Schmerzen. Tod. Gott ist da überall dabei. In Haiti. Am Sterbebett einer Mutter, eines Kindes. Im Krankenhaus auf der Intensivstation. Er verändert die Welt nicht dadurch, dass er sie auf den Kopf stellt. Sondern einfach nur dadurch, dass er da ist. Nahe ist. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. Das werden wir, wenn wir unseren Glauben nicht verlieren wollen, wohl so akzeptieren müssen.

Für mich bedeutet es aber noch etwas anderes. Nämlich dass ich nicht einfach akzeptieren muss, dass diese Welt nun mal so schlecht ist, wie sie ist. Sondern dass ich mit meinen Möglichkeiten daran arbeite, sie besser zu machen. Menschenfreundlicher. Fröhlicher. Gerechter. Dass ich, so gut ich kann, für Gerechtigkeit sorge. Ob ich nun fair gehandelte Lebensmittel kaufe, für Haiti spende oder einer alten Frau über die Straße helfe: Es macht die Welt ein Stückchen heller.

Noch etwas: Den fünfjährigen Jungen und die krebskranke Mutter gab es wirklich, auch wenn ich die Angaben etwas verfremdet habe. Die Beerdigungen – und bei der Mutter die Begleitung davor – gehörten zu den intensivsten Begegnungen, die ich je erlebt habe. Hatte da Gott seine Hände im Spiel? Auf eine Weise, die wir nicht wirklich verstehen? Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.

Auf diese Worte bei Jesaja folgt übrigens eine wunderschöne Prophezeiung. Ein Versprechen Gottes, das zu meinen Lieblingsstellen in der Bibel gehört. Das Versprechen einer Welt, die so schön ist, dass man sie nur noch mit geradezu paradoxen Worten beschreiben kann:
Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln. Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.

Für eine solche Welt arbeite ich, auch wenn ich weiß: Sie wird hier, auf der Erde, immer unvollkommen bleiben. Für eine solche Welt stehen viele Christen ein. Und ich glaube, das hat wirklich Stil.