Heilige Pommes

Heilige Pommes

2000 Euro für zwei mehrere Jahre alte vertrocknete Pommes. Das hat ein Gericht vor einigen Tagen einem Künstler zugesprochen. Natürlich: Keine gewöhnlichen Pommes – oder doch: Gekauft beim örtlichen Hamburgerbrater einer gewissen amerikanischen Kette, hatte der Künstler sie zu einem Kreuz gelegt, davon einen Abguss gemacht und diesen zu einem Goldkreuz verarbeitet. Nun hatte das Museum also die Vorlage für dieses Kreuz verschlampt. Kann ja mal vorkommen, dass man ein paar Essensreste beseitigt. Aber gleich 2000 Euro? Ganz schön happig.

Ich frage mich noch viel mehr: Ein Kreuz aus Pommes? Ist das wirklich Kunst? Nun gut, man muss erst mal drauf kommen. Was hätte wohl Jesus dazu gesagt, wenn jemand den Ort, an dem er (und übrigens Tausende von anderen auch!) derartige Qualen erlitten hatte, aus Pommes nachbildet? Aber, das frage ich mich sowieso immer: Was hätte er wohl dazu gesagt, wenn jemand dieses Folterinstrument aus Gold nachbildet – egal, ob derjenige es sich um den Hals hängt, auf den Tisch stellt, in die Kirche hängt...

Also gut: Lassen wir das mal dahingestellt. Ein vergoldetes Pommeskreuz, und allein die Vorlage dafür ist schon 2000 Euro wert. Wenn ich mir so ansehe, was in unserer sechsköpfigen Familie leider immer wieder mal übrig bleibt – vielleicht könnten wir auch mal ein altes Pausenbrot vergolden? Die schon leicht verschimmelte Vorlage würde ich gerne für schlappe 1500 Euro abgeben und davon eine Ladung neuer Pausenbrotdosen kaufen.

Wenn es denn unbedingt ein religiöses Symbol sein soll – wie wäre es denn mit zwei Hühnerbeinen, die zu einem Fisch gelegt werden? Aus übriggebliebener Brotrinde könnte man sicher eine komplette romanische Kathedrale bauen, das gibt schließlich die typischen Rundbögen. Zwei frittierte Zwiebelringe könnte man zu Eheringen umdeuten. Ein paar alte Pizzastücke, in der typischen Dreiecksform, ergeben den Stern von Betlehem samt Schweif, wenn man sie richtig legt.
Und jetzt: Alles das wegwerfen (lassen) und anschließend Schadensersatz fordern. Mit etwas Kreativität könnte das eine ganze Gemeinde finanzieren. Wäre doch mal einen Versuch wert.

Ist Ihnen das alles ein wenig zu hart? Lebensmittel, die zweckentfremdet werden? Religiöse Symbole, die aus alten Lebensmitteln hergestellt werden? Ja, so geht es mir auch. Ist das Kunst? Irgendwie schon. Es fordert zum Nachdenken heraus: Was machen wir mit unseren Lebensmitteln? Welche Symbole sind uns in welcher Form heilig? Was bedeutet das, wenn einerseits Menschen verhungern und andererseits Pommes vergoldet werden und nach Jahren eine vierstellige Summe wert sind?

Offene Fragen. Keine Antworten. Das ist Kunst. Oder? 

 

Bericht im "Stern"