Letzte Woche bin ich innerhalb von drei Tagen vom Mittelmeer an die Nordsee gefahren. Von Seccheto auf der Insel Elba bis Husum in Schleswig-Holstein.
Ich habe Eidechsen in der Sonne gesehen und Schafe auf dem Deich. Silberne Fische, schwarzweiße Kühe, Wasserfälle an Alpenfelswänden, so steil, dass sie für Menschen unbesteigbar sind. Tunnel, Gewerbegebiete, einen niemals fertig werdenden Bahnhof. Ich sah Seen, Baumgruppen, Felder, Autobahnschilder. Das türkisblaue Meer und das schiefergraue. Möwen. Krähen. Mauersegler. Stechmücken. Nachlässig-elegant getragene Lederslipper und sehr praktische Allwetterjacken.
Seit ich „Unruhig bleiben“ von der Philosophin Donna Haraway gelesen habe, schaue ich anders auf die Welt und bin anders in ihr. Haraway denkt darüber nach, wie wir auf diesem atemberaubend schönen und abgrundtief verletzten Planeten weiter leben und überleben können. Gemeinsam mit allen Wesen, die sie „Kritter“ nennt. Kritter sind Mikroben, Pilze, Vulkane, Maschinen, Wolken, Gräser und auch Menschen, aber eben nicht nur. In der gegenwärtigen und zukünftigen Welt, angesichts der Katastrophen Klimawandel, Artensterben, Gewalt, brauchen wir nicht mehr autonome Individuen, Menschen, die sich für die Krone der Schöpfung halten, meint Haraway, wir brauchen vielmehr Kritter, die sich auf vielfältige Arten miteinander verbinden. Haraway spricht von „sich verwandt machen“.
Der wichtigste Denker meiner christlichen Tradition, Paulus, hat vom „Leib mit vielen Gliedern“ geschrieben. Christ:innen sind für ihn gemeinsam dieser Leib. Und dieser Leib ist wiederum Christus. Einer und viele. Viele in einem. Miteinander verbundene Kritter auch hier. Und wenn ein Glied leidet, leiden alle mit. Und sagen nicht, es gebe ja noch andere Themen, aber davon dann vielleicht wieder ein anderes Mal.
2000 Jahre später möchte ich mich verwandt machen mit dem Meer, den Felsen, dem Kissen im Gästebett. Ich breite die Arme aus und erinnere mich daran, dass ich eine Cousine der Krähen bin. Freue mich auf den Baum hinterm Haus wie auf einen alten Freund. Teile mein Blut mit der Stechmücke und meine Sehnsucht nach Frieden und Heimat mit den wachsenden Sonnenblumen im Plastiktopf. Ich verbinde mich mit den Landschaften, die ich durchqueren und in denen ich leben darf. Verbinde mich mit all denen, die etwas riskieren für Zukunft und Gerechtigkeit. Die unruhig bleiben.
Und vielleicht ist das mein Gebet: In diesem Hier zu sein, verbunden und verletzbar. Und so in Christus zu sein, in Gott.
Wochenaufgabe also für mich:
Kritter sein.