Bitte nicht die Mutternummer…

Geistvoll in die Woche
Bitte nicht die Mutternummer…
… von monumentalen Skills, die nicht zählen.

Sie stellt zwei Becher frischen Tee auf den Tisch. 

„Ich muss dir was erzählen, mein Sohn, hör mal zu: 

Da sagt doch die Person, die ich neulich um Beratung bat, weil ich meinen Hut für eine Leitungsfunktion in den Ring werfen wollte, zu mir: ‚Nein, das kannst Du nicht bringen… - doch nicht die Mutternummer!‘… 

Weißt Du, ich will mich stärker einbringen in unserer Gemeinde, vielleicht sogar in der Leitung. Gerade bin ich dabei, zusammenzutragen, was mich ausmacht. Wo meine Stärken liegen und wo ich Erfahrungen gesammelt habe. So eine Umorientierung bringt es mit sich, dass man mal genauer bei sich selbst hinsieht und einsammelt, was alles schon da ist. Und nach allem Nachdenken glaube ich, dass ich mir diese Sache zutrauen kann.  Neben meiner Bildung seit Kindesbeinen, neben viel Neuem, das ich mir angeeignet habe, habe ich zusätzlich auch viel Lebenserfahrung, findest du nicht? In meinem Fall wären das Erfahrungen aus mittlerweile 30 Jahren Erziehung und Begleitung meiner vielen Kinder. ‚Mutternummer??‘ - Wenn das keine monumentalen Skills sind, dann weiß ich auch nicht! Sollte das gar nicht zählen? 

Ein Mensch, der jeden Morgen nicht nur sich selbst auf den Tag vorbereitet, sondern mit Haarspangen, Trotzanfällen, Brotbüchsen, Kuchengeld, verlorenen Socken und vergessenen Unterschriften kämpfen und dennoch pünktlich und konzentriert bei einer Gesprächsrunde erscheinen kann, ist wahrhaftig stresserprobt. Jemand, der nachts nie mehr als zwei Stunden am Stück schläft und Routinen entwickelt, sicher und im Halbschlaf bekotzte Wände und Teppiche zu reinigen, fiebernde Kinder zu schaukeln und verstopfte Nasen zu befreien, ist in Wahrheit eine Art Leistungssportlerin. 

Eine, die es schafft ein riesiges häusliches Mehrpersonenprojekt zu leiten und zu finanzieren, minütlich thematisch wechselnde Meinungsverschiedenheiten zu klären und dabei Personen mit unvorhersehbar schwankenden Gemüts- und Erregungszuständen sicher zu begleiten (es könnte schon die falsche Wurst auf dem Brot ein Nervenzusammenbruch auslösen) und dennoch ausgeglichen und kreativ ihre Arbeit zu gestalten, ist maximal nervenerprobt und belastbar. Jemand, der an einem Abend zwei Elternversammlungen nacheinander aushalten kann, und an einem Nachmittag, Vokabeln abhören, einen Vortrag über die Heimatstadt gestalten helfen und ein Experiment mit Schnecken bewältigen kann, ist vielfältig aufgestellt. 

30 Jahre habe ich körperliche und nervliche Schwerstarbeit geleistet, getragen, behütet, gefahren, geweckt, genährt, beruhigt. Ich war auch verantwortlich dafür, es leicht und fröhlich aussehen zu lassen, kontrolliert und zeitgemäß. Selten habe ich erlebt, dass jemanden diese Erfahrungen interessierten. Dass sie als Lebenserfahrung zählten, die zu mir gehört und auch im beruflichen Kontext SELBSTVERSTÄNDLICH ein Zugewinn wären. „Du bist so ´ne richtige Mutti.“ sagen stattdessen Menschen zu mir - 100% Berufstätiger und durchaus aktiv gestaltender Person - und es klingt abwertend. „Willst Du nicht mal ne richtige Mutter sein?“, kritisieren andere, wenn ich Euch von anderen mit betreuen ließ und mein berufliches Engagement und meine gut aufgestellte Care-Arbeit bekamen keinerlei Würdigung. 

Weißt du was, Sohn? Ich habe aufgehört darüber zu reden, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir plötzlich die Souveränität nimmt. Sätze die anfangen mit „..als Mutter habe ich die Erfahrung gemacht..“, bewirken, dass mein professionelles Gegenüber plötzlich einen Schimmer in den Augen bekommt, die Stirn runzelt, etwas säuerlich (oder mitleidig?) lächelt, die Schulter leicht weg dreht und mir signalisiert, dass meine Glaubwürdigkeit und Integrität, meine Fachlichkeit und Professionalität damit gerade eben einen Dämpfer um 50 % bekommen haben. Mütter erzählen wenig davon, denn diese Seite zu zeigen, macht sie schwach. 

Es wird verstanden, als würden sie sich entschuldigen wollen, als würden sie dafür Vorschusslorbeeren haben wollen. Hörst Du mir zu, Sohn? Das kann doch nicht noch 2.000 Jahre so weitergehen, oder, Jesus? Jesus! Was heißt das nun wieder: hochgezogene Augenbrauen? … bleib bitte hier! Da geht er wieder. Aber ich werde mir das nicht ausreden lassen, und wenn ich es 2.000 Jahre lang versuchen müsste...“

 

Eure Maria.