Die Antirassismusexpertin Tupoka Ogette hat den Begriff "Happy Land" geprägt. Damit ist folgendes Phänomen gemeint: Privilegierte weiße Menschen glauben, es gebe gar keinen Rassismus (mehr). Sie "sehen keine Farben", halten die Frage "Woher kommst du?" für ein rein freundliches Interesse (und merken nicht, dass sie sie nur Menschen stellen, die nicht so aussehen, wie sie sich eben Deutsche vorstellen), meinen, dass es Zufall sei, dass ihr Ticket nicht kontrolliert wird, wohl aber das des Mannes mit dunklem Bart. Diese Menschen leben in "Happy Land" und nehmen tatsächlich nicht wahr, dass direkt neben ihnen Schwarze Menschen und BiPoC Rassismus erfahren, ja, dass sie, die "Happy Land"-Bewohner:innen, selber Rassismus internalisiert haben. Spricht man sie darauf an, dann reagieren sie verletzt und empört, schließlich haben sie doch nichts zu tun mit "echten Rassist:innen".
In den letzten Monaten denke ich oft an Ogettes Analyse. Sie lässt sich nämlich, so meine ich, auch sehr gut auf das Thema übertragen, das mich in der Kirche beschäftigt wie derzeit kein anderes: Die Frage nach der sexualisierten Gewalt und dem Umgang von uns Kirchenvertreter:innen mit den Erkenntnissen der ForuM-Studie.
Es ist nun über drei Monate her, dass diese erste große Studie zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche erschienen ist und viele Reaktionen deuten für mich darauf hin, dass nicht wenige von denen, die unsere Kirche maßgeblich gestalten, in "Happy Church" leben.
Es gibt die, die sich "das alles" gar nicht vorstellen können. Die, die meinen "so etwas" gebe es woanders oder wannanders, aber sicher nicht in der eigenen Gemeinde, Gruppe, Institution.
Und dann die, die sehr wohl verstanden haben, dass es "das alles" gab und gibt, die aber dennoch auf verschiedene Weisen vermeiden, ihre Vorstellung loszulassen, in einer an sich eben doch guten "Happy Church" zu leben. Sie sind sich ganz sicher, dass die Verantwortlichen ab jetzt anders handeln werden, schließlich haben sie es oft erlebt, dass mit ihnen gut umgegangen wurde. Sie trauern darum, dass die Jugendarbeit nun von den Tätern beschädigt sei, weil sie dort nur Gutes erfahren haben. Sie meinen, es gebe keine Leichtigkeit mehr, weil nun überall problematisiert werde - und übersehen dabei, dass für andere da nie Leichtigkeit war. Sie erzählen ausführlich von all dem, was sie an der Kirche glücklich macht - ausdrücklich allem Abgesang zum Trotz. Und ihre Posts dazu werden dutzendfach geteilt, so groß ist die Sehnsucht nach den guten Geschichten und endlich wieder mehr positivem Selbstbewusstsein.?Ich verstehe das. Auch wenn ich mich nie in der Kirche so vorbehaltlos heimisch gefühlt habe wie viele meiner nächsten Freund:innen - so ahne ich doch, wie schmerzhaft es ist, den Gedanken zuzulassen: Der Ort, der für mich gut und heilsam war, war und ist für andere ein Ort der Gewalt. Und auch ich trage zur Ermöglichung gewaltsamer Orte bei - ohne es zu wollen. 1000 Suppenküchen könnten einen Missbrauch nicht aufwiegen, hat die Journalistin Christiane Florin gesagt. Sich dem zu stellen, tut weh. Auch mir.
Aber: "Ich bin nicht frei, solange noch eine andere Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich." Das hat Audre Lorde einmal gesagt. Ich kontextualisiere diesen Satz: Diese Kirche ist auch kein guter Ort für mich, so lange sie ein Ort der Gewalt für eins meiner Geschwister ist.??Ich meine: Wenn wir weiterkommen wollen auf unserem Weg hin zu einer sichereren, machtsensibleren, gewaltärmeren Kirche, dann müssen die von uns, die noch in "Happy Church" Land leben, es verlassen. Auch meine inneren Anteile, die es sich darin gemütlich gemacht haben (ja, ich hab die natürlich auch!).
Wir alle müssen an je unserem Platz uns den Schatten, den Sünden und den Balken im Auge unserer Kirche stellen und unseren eigenen Verletzungen - die, die nie einen Platz in "Happy Church" hatten, tun das ohnehin schon lang.
Die gute Nachricht ist: G*tt ist bisher immer mitgegangen mit denen, die sich aufmachten aus Hierarchien und Selbsttäuschungen. Hat ihnen Milch und Honig versprochen. Und sie auf dem Weg versorgt mit allem, was nötig war.
Wochenaufgabe: Aufbrechen und vertrauen.