Seit dem Pogrom der Hamas in Israel fehlen mir die Worte, starre ich in mein Handy, höre Podcasts: zB diesen hier. Versuche zu verstehen und kann es nicht.
Linke Accounts, denen ich schon länger auf Instagram folge, die ich für die Guten hielt, verteidigen das Morden, Vergewaltigen, Verschleppen von Menschen durch die Hamas als legitimen Freiheitskampf.
(Welche, die neulich noch das Verhöhnen von Auschwitz als Jugendsünde verteidigten, wollen dagegen plötzlich die Bastion gegen Antisemitismus (natürlich nur den der „anderen“) sein - aber von denen habe ich auch nichts anderes erwartet.)
Ein habilitierter Theologe schreibt im Newsletter einer mittelgroßen kirchlichen Einrichtung, angesichts der reformatorischen Erkenntnis Luthers könnten wir (!!!!) „auch die Tiefen der aktuellen Krise in Israel aushalten. Wir beten für Israel und Palästina. Und wir hoffen auf Frieden - auch für die Ukraine.“ Dann geht es weiter mit Personalia.
Dana Vowinkel, die junge jüdisch-deutsche Autorin, neben der ich noch neulich saß bei einer Veranstaltung mit lauter Romandebüts, hat jetzt Angst vor ihren Lesungen. Sie kann nicht aufhören zu weinen. „Bitte hört auf, mir Nachrichten zu schreiben, ihr würdet hoffen, ich wäre „trotzdem irgendwie okay“ schreibt sie. Eine andere junge Frau, gerade Mutter geworden, ihr Mann ist jüdisch, sagt, kaum jemand frage nach ihnen.
In Berlin steht „Fuck Israel“ an Hauswänden. In München ist meine Spiritusblog-Schwester Beatrice von Weizsäcker mit 2000 anderen auf einer Mahnwache vor der Synagoge. Am Schluss spricht Charlotte Knobloch. Sie sagt: „Ich wusste, dass ich mich auf meine Münchner verlassen kann.“ Ich weine, als ich das lese. Und ich weine jetzt gerade, während ich dies hier schreibe. Weil ich so sehr hoffe, dass sie recht hat: dass wir uns aufeinander verlassen können. Weil ich weiß, dass das hier erst der Anfang ist. Dass noch so viel Schreckliches kommen wird, was Menschen einander antun werden, in den nächsten Tagen und Wochen.
Als ich Ramona Ambs, die kluge Facebookfreundin, frage, ob sie statt mir diesen Platz hier haben möchte diese Woche - da sagt sie Nein. Weil es schöner und tröstlicher für sie sei, wenn auch andere etwas dazu sagen. Wenn auch ich etwas dazu sage.
Und so versuche ich es. Ich leihe mir Worte von Etty Hillesum, an die Ramona mich erinnerte. Ich leihe sie mir, obwohl sie zu groß sind für mich. Leihe sie mir im Wissen, dass sie mir niemals gehören werden.
Etty Hillesum. Sie wurde nicht einmal 30. Ermordet in Auschwitz-Birkenau. Sie schreibt: Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott.
Ich bitte also euch, meine Geschwister, die ihr das lest: Rettet ein Stück von Gott in euch selbst. Bleibt weich. Fühlt mit. Hört zu. Fragt nach. Wenn ihr könnt: Legt manchmal das Handy weg. Betet. Umarmt eine Birke. Fühlt, dass ihr lebt und verbunden seid mit anderen. Tut das, was ihr könnt, mit Liebe: schreiben, kochen, streicheln, spielen. Haltet das Alltägliche heilig. Schöpft Kraft. Ihr müsst nicht die Antwort wissen. Niemand weiß sie im Moment. Aber bitte: seid da.