Letzte Woche hat meine Spiritusblogschwester Beatrice von Weizsäcker über das Säen und das Ernten geschrieben. Und über Hubert Aiwanger. Eine Woche später haben Aiwangers Freie Wähler in den Umfragen noch einmal deutlich zugelegt. Sie liegen jetzt bei 17 Prozent - so hoch wie nie.
Mir macht das Sorgen. Denn es bedeutet doch: Viele Menschen fühlen sich angezogen von Aiwangers Umgang mit den Fragen nach einem antisemitischen Flugblatt, das in seiner Tasche gefunden wurde, als er Schüler war. Ich weiß nicht, ob er es verfasst hat, ich weiß nicht, wie es in seine Tasche kam. Ich weiß aber, dass Aiwanger die Nachfragen eine Schmutzkampagne nennt und die 25 Fragen, die ihm gestellt wurden, im Stil eines trotzigen unreifen Jugendlichen beantwortet hat.
Kurz zusammengefasst: er war es nicht, er erinnert sich nicht, aber das Ereignis war einschneidend und man wird ja in der Jugend Fehler machen dürfen. Ja was denn nun?
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, hat Aiwangers Entschuldigung nicht angenommen. Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, spricht von einer gesellschaftspolitischen Klimaveränderung. Die KZ-Gedenkstätte Dachau hat Aiwanger gebeten, von einem Besuch abzusehen.
All das hält Menschen nicht davon ab, Hubert Aiwanger zuzutrauen, dass er eine wichtige Position in diesem Land übernehmen kann. Im Gegenteil: Es scheint ihn für nicht wenige Wähler:innen noch attraktiver zu machen. Es ist Aiwanger einmal mehr gelungen, sich für ein bestimmtes Milieu zu inszenieren als der, der so ist wie „wir“, während „die da oben“, die Linken, die Juden, die Medien, die in Berlin, übertrieben moralisch sind, nachtragend, Kampagnen fahren gegen den Fürsprecher derer mit gesundem Menschenverstand. Aller Widerspruch scheint ins Leere zu laufen oder die Lage noch zu verschärfen.
Michael Blume, der Beauftragte gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, beobachtet ein Erstarken dualistischer Weltbilder und einen weiteren Ausbruch von Antisemitismus im digitalen Raum in Folge der Aiwanger-Affäre. Ich bin ratlos, wie damit umzugehen ist. Und das ist natürlich keine gute Voraussetzung für das Verfassen eines Textes, der doch eine Hilfe sein will.
Blume, der selber viel Hass und Bedrohung erlebt, plädiert immer wieder für eine monistische Weltsicht: Wir sind eine Menschheit, mit einer allen gemeinsamen Menschenwürde. Gutes und Böses sind nicht auf „die“ und „wir“ verteilt, sondern gehen mitten durch uns hindurch (ausführlich hier).
Vielleicht ist das auch im Kleinen ein Ansatzpunkt: Hubert Aiwanger werde ich nicht ändern können. Und die, die sein Vorgehen gut heißen, vermutlich auch nicht.
Aber ich kann mich üben im Anerkennen meiner eigenen Fehler. Ich kann sie offen legen und dazulernen - auch wenn es weh tut. Als Christin erinnere ich mich und vielleicht ja auch andere immer wieder daran: vor G*tt muss ich nicht lügen, mich nicht in trotzige Ausreden flüchten. Bei ihr gibt es Vergebung.
Und ich kann mich zu denen stellen, die bedroht sind, für die die gesellschaftliche Klimaveränderung, die Hubert Aiwanger mit verursacht hat, kein Spiel, sondern bitterer Ernst ist.
Die Wochenaufgabe ist vielleicht also ganz einfach:
Sei da.