Jetzt ist es schon wieder über eine Woche her, dass DAS Trashformat Deluxe für 17 Tage unserem tristen Januar-Leben Rhythmus, Sinn und Ziel gab - und noch immer ist es wahr: Die 16. Staffel von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ (von Kenner*innen abgekürzt #ibes) war eine der besten ever ever EVER. (Um so erstaunlicher ist es, dass auf evangelisch.de bisher nicht berichtet wurde. Andererseits: Dafür habt ihr ja mich!)
Für die wenigen, die es noch nicht mitbekommen haben sollten: Deutschland hat eine neue Dschungelkönigin und ihr Name ist Djamila Rowe. Rowe erlangte Anfang der Nuller Jahre eine gewisse Bekanntheit, weil sie behauptete, eine Affäre mit einem Schweizer Botschafter gehabt zu haben, was frei erfunden war. Seither ist sie ein „Star“ im Sinne des Star-Begriffs von #ibes, eine Reality-Fernseh-Kandidatin.
Schon lange lebt das Format davon, dass die Kandidat*innen das Publikum überraschen, dass sie Seiten von sich zeigen, die anders sind, als das, was man vermutete. Djamila Rowe ist das in ebenso unterhaltsamer wie anrührender Weise gelungen. Die „Trulla mit den aufgespritzten Schlauchboot-Lippen“ machte jeden Witz, den das clevere Team hinter der Moderation vermutlich über sie vorbereitet hatte, einfach selber („Ich hatte Wangen, da konnte man ne Tasse drauf abstellen“). Selten hat man so gelacht und sich zugleich so wiedererkannt wie bei Rowes Beschreibung ihres Kampfes mit dem Papierstau-kaputten Drucker zuhause und ihrer Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass sie nun einen neuen kaufen und mit dem Laptop verbinden müsse.
Sie sprach offen über ihre Einsamkeit, ihre Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern, erzählte von ihrer eigenen Kindheit in der DDR bei ihren alkoholkranken gewalttätigen Großeltern und in einem Umerziehungs-Heim ebenfalls voller Gewalt. Sie weinte und alles an ihr war echt (okay, außer die Lippen, die Wangen und die Brüste), nichts war Pose. Nichts war, wie bei anderen Kandidat*innen, geplant und für Sendezeit und Sieg konzipiert. Die Zuschauer*innen belohnten sie Tag für Tag dafür mit ihren Anrufen für sie und wählten sie am Ende mit überwältigender Mehrheit zur Gewinnerin dieser Staffel, die wahrlich nicht arm war an ebenfalls beeindruckenden Charakteren.
(Für Insider*innen: die Entwicklung von Gigi, die Aufklärungsarbeit von Jolina, die Migrationsgeschichte von Papis und ja - auch die emotionale Erstarrung von Lucas, all das hätte noch eigene Artikel verdient, aber kehren wir zurück zur Queen:)
Bei ihrer letzten Dschungelprüfung musste sie aus Angst abbrechen, sie holte keinen einzigen Stern. In jeder anderen Staffel wäre zumindest das das Ende gewesen, in dieser überschlug sich das Internet in Aufrufen, nun erst recht für Djamila zu stimmen. Sie selber konnte es nicht glauben. Nachdem die Moderator*innen ihr verkündet hatten, dass sie die Siegerin sei, fragte sie, ob sie sich nicht verzählt hätten, ob das auch notariell geprüft sei. Noch auf dem Thron mit Szepter in der Hand und Blumenkrone auf dem Kopf schien sie völlig ungläubig. Sie sei sehr vorsichtig mit Freuen, sagte sie später, sie habe immer Angst, man könne ihr das Glück wieder entreißen. Man muß keine Psychologin sein, um das zu verstehen, selber ein verletztes Kind in sich zu haben, genügt völlig - und vielleicht sind die hohen Anrufzahlen für Djamila ein Zeichen, dass da draußen mehr verletzte innere Kinder, mehr ängstliche Selbstzweifler*innen sind, als es im Normalbetrieb der Welt so den Anschein hat.
Mit Djamila Rowe hat die Vulnerability, die Verwundbarkeit den Sieg errungen. Und das ist eine gute Nachricht - für uns alle. Bedeutet es doch, dass auch wir verwundbar sein dürfen. Wir dürfen überfordert sein von Druckern und von Kindheitstraumata, voller Versäumnisse und Scham gegenüber unseren Liebsten und unvermittelbar auf Datingplattformen. Wir können zuviel Hyaluron in den Lippen haben und jede Menge Therapiebedarf. All das macht uns keinen Deut weniger liebenswert. Theolog*innen nennen das „Gnade“. Djamila Rowe sagt: „Ich merke, dass so eine Stärke in mir wächst.“
Wochenaufgabe:
Bei Bedarf Best-of-Djamila im Camp nachschauen.
Dran glauben - Es stimmt: Du darfst verwundbar sein. Und: Es wächst eine Stärke in dir.
P.S.:
Wer grundsätzlich wissen will, was an Formaten wie dem Dschungelcamp für Menschen wie zB mich faszinierend ist, der höre der klugen Samira El Ouassil beim Abwägen zu im Podcast von Übermedien ab Minute 30: "Holger ruft an... wegen Dieter Bohlen"