Mein Interview mit dem Engel

Mein Interview mit dem Engel
Es geschah draußen

Mein Interview mit dem Engel

Ich hatte mich bemüht um dies Interview mit einem Engel. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn es irgendeiner der Himmlischen gewesen wäre, Hauptsache, er wäre auskunftsfähig. Ich hatte Fragen vorbereitet. Ob sie wirklich personenbezogen mitgehen oder eher so eine allgemeine Rufbereitschaft aufrechterhalten. Wie sie überhaupt merken, wo sie nötig sind. Ich hatte auch überlegt, wo man sich treffen könnte für ein anständiges Foto – damit der Hintergrund stimmt, das Licht usw..

Aber schon mein Erstkontakt war seltsam. Wo soll man anrufen, wen googlen? So traf ich Angelika, eine Freundin, die meinte sich auszukennen mit Engeln. EsoEso, dachte ich. Aber gut - wenn’s hilft.
Und als ich dann auf der Schwelle ihres Hauses stand, hatte ich plötzlich das Gefühl, ich könnte nicht hineingehen, weil mich etwas hinderte. Und das war hinter mir. Angelika stand mir gegenüber und schmunzelte. Offenbar klappte die Vermittlung - er oder sie oder es war da.
Sie riet mir auf die Gartenbank draußen zu gehen. Das weitere werde sich ergeben. Sie schloss die Tür.
Erste Erkenntnis: So ein Engel kommt anders.

Ich saß also aufgeregt wie ein Erstklässler, bis die Luft bläulich wurde und die Mücken stachen.
„Ist hier jemand?“

Schweigen

„Kann ich mit ihnen reden?“

Schweigen.

Dann wird mein Rücken warm, und ich ahne, dass hinter mir etwas geschieht. Ich drehe mich um - niemand da.

„Die Fragen stelle ich“ sagt eine leise Stimme, kindlich, klar und wie aus Pergament.

„Ok.“ sage ich.

„Warum bist du hier?“ fragt die Stimme.

„Ich möchte einen Engel kennenlernen und ihm Fragen stellen.“

Schweigen.

„Ist das ein Auftrag, oder fragst du selber?“

„Hm, ehrlich gesagt beides. Ich soll was schreiben dazu und ich bin aber auch echt neugierig.“

Schweigen.

„Dann komm morgen wieder.“

„Aber ich würde gern jetzt …“

„Geh und komm morgen Abend wieder.“

 

Ich fühle mich wie vor einer Instanz, die ihren Ladenschluss einhält. Aber was soll ich machen?
Mir wird kalt, also setze ich mich ins Auto und fahre heim.

Morgen.
Morgen habe ich einen vollen Tag.

Zu Tagesbeginn träume ich von einem Gewitter, es ist so dunkel wie auf dem Grund meiner Teetasse, Wasserflächen umgeben mich, niemand ist da außer mir. Eine große Ebene. Ich gehe zwischen den Seen hindurch und das Gewitter kreist um mich. Die Luft knistert, aber ich gehe und schaue den Blitzen zu wie sie einen See nach dem anderen treffen.
Warum habe ich keine Angst?

Müde starte ich in den Tag, aber auch aufgeregt. Der Abend freut sich auf mich, und ich rufe die Freundin an, dass ich wiederkommen will auf ihre Bank.

„Schon ok.“ sagt sie.

Brav sitze ich mit der Kamera und meinem Handy auf der Bank, es dämmert, was wird man auf dem Bild am Ende sehen?

Nach einer halben Stunde höre ich die Stimme.

„Wer ist wie Gott?“ fragt sie.

„Soll ich dazu was sagen?“ frage ich zurück - ich finde mich schlagfertig.

„Wer ist wie Gott?“

„Was weiß ich? Niemand? Der Teufel? Der Mensch?“

Schweigen.

„Ja,“ sagt die Stimme, „alles das. Und all das bin ich und bin es nicht.“

Ich verstehe kein Wort, will aber jetzt die Gelegenheit nutzen:

„Woher wissen Engel, wo und wann sie gebraucht werden?“
„Ich bin doch da.“ tönt es leicht und hell. „Reicht dir das nicht?“

Ich bin etwas genervt.

„Wie wisst ihr, wo ihr eingreifen müsst?“  - zweiter Anlauf.

„Woher weißt du, wann du gebrauchst wirst?“

„Na, ich simse mit Freunden oft, da merkt man schon, was dran ist.“

„Dann kennst du es: Wir sind das, was dazwischen ist.“

„Und könnt ihr helfen, wenn die ganze Welt bedroht ist?“
„Ich sag dir was: Ich konnte nicht verhindern, dass unter Maos Befehl Hunderte Millionen Chinesen Fliegen erschlugen und die Vögel danach von den Bäumen fielen, weil sie nichts zu essen hatten.
Wir können nicht verhindern, wenn Grönland verkauft wird.
Aber höre: wir können etwas Neues daraus machen.“

„Darf ich noch was fragen?“

Schweigen.

„Ich hab gelesen, dass euer oberster Engel Michael den Satan aus dem Himmel auf die Erde geschmissen hat. Was ist da passiert?“

Schweigen.

„Das war ich. Aber frag nicht. Wer alles wissen will, wird verbrennen. Sei froh, dass du dich gegen das Böse entscheiden kannst. Und sei froh, dass du meine Herkunft nicht siehst. Vermeide die Gottesnähe, die würdest du nicht ertragen. Ich bin dazwischen, damit dir das nicht passiert.
Schau lieber an, was Maria gehört hat. Dass in ihr und allen Gott wohnen kann. Verstehst du?Oder als Gott fast verzweifelt ist im Garten vor dem Tod. Wer da noch dabei war. Merk dir das für deine alten Tage.
Und lies, wie wir zu zweit wachten im leeren Grab Jesu. Als Maria kam und den Toten suchte. Wir können die Leere vermessen und dich zurück schicken ins Leben. Merk dir das.“

Mein Handy hat keinen Empfang mehr. Ich würde das alles so gern aufnehmen. Der Akku ist leer, der der Kamera auch. Ich selber bin alle und aufgeladen zugleich. Der Mond tönt ruhig zwischen den Bäumen.

Was geschieht hier?

„Ich geh jetzt,“ sagt die Stimme. „Nur eins noch: Frag deine Mutter, wie sie deinen Vater kennengelernt hat. Wie sie als Schülerin im Bus neben ihm eingeschlafen ist und ihr Kopf an seine Schulter fiel. Und wie er gedacht hat, das ist die Richtige. Und wie er sie nach 16 Jahren gesucht und gefunden hat, als sie grad geschieden war. Und wie sie dich in der zweiten Nacht gezeugt haben. Denkst du, das war Zufall? Frag sie. Und jetzt geh, ich muss weiter.“

„Ja, ja,“ raunt der Mond. „So ist er, der Michael.“  Aber ich bin schon nicht mehr ganz bei Sinnen und höre schon, wie der Mond zu mir redet. Zeit zu gehen.

Das Auto wartet brav an der Gartenpforte. Es springt an, ich bin erleichtert.
Als ich losfahre, sehe ich die Freundin hinter der Gardine winken.

erschienen bei Andere Zeiten