Heute ist Nikolaustag. Die Kinder freuen sich, sie stellen ihre Schuhe raus für die Geschenke. Doch der Nikolaus kommt nicht allein, Knecht Ruprecht ist dabei, ein Gegenspieler, sein Geselle. Die beiden kommen in einer Zeit, in der es wenig Grund zur Freude gibt. Corona hat uns fest in der Hand. Die Pandemie bestimmt schon wieder unser Leben, sie schert sich nicht um Nikolaus. Wir sind es, die sich kümmern müssen. Denn da ist viel im Argen. Viel zu viel.
Heute bin ich Knecht Ruprecht. Er ist nicht freundlich und barmherzig. Was er von Nächstenliebe hält, weiß ich nicht. Was ich in dieser Zeit von Nächstenliebe halte, weiß ich schon. Es ist nicht viel. Oder am Ende doch?
Mehr als einhunderttausend Menschen sind tot. Das ist, als würde es Celle und Lindau nicht mehr geben. Zwei wunderschöne Städte. Ausgerottet von einem Virus. Doch es geht nicht um die Städte, natürlich nicht, sondern um einhunderttausend Menschen. Und ihre Kinder, Eltern, Partner*innen, Geschwister und Freund*innen, die die Welt nicht mehr verstehen. Niemand kennt die Zahl der Schicksale, die mit Corona verbunden sind. Ganz zu schweigen vom Pflegepersonal und den Ärzt*innen, deren Kräfte längst am Ende sind. Was tun wir denen an …
Und dann sind da die Impfverweigerer. Die Impfgegner. Die klar in der Minderheit sind, aber verantwortlich für die meisten Infektionen. Und so tun, als gehe sie das alles nichts an. Die sich in kruden Theorien ergehen, als sei die Virologie bloß eine Meinung. Die glauben, intelligent zu sein, aber bar jeder Vernunft sind. Die behaupten, vorsichtig zu sein, da sie sich täglich testen ließen. Als würde ein Test sie schützen. Als gäbe es so etwas wie „vorsichtig Ungeimpfte“. Wer sich nicht impfen lässt, ist nicht vorsichtig. Weil er das Leben anderer Menschen gefährdet.
Lange habe ich gedacht, macht, was ihr wollt, aber lasst mich in Ruhe. Bringt euch in Gefahr, bringt euch meinetwegen um, es ist mir einerlei. Das ist vorbei. Ich habe kein Verständnis mehr für diese Leute. Ich bin wütend. Ich fühle mich wie Mose, dessen Zorn entbrannte, als er vom Berg Sinai herabgestiegen war, um den Israeliten die Gesetzestafeln Gottes zu bringen … und sie beim Tanz um das Goldene Kalb sah: Er schleuderte die Tafeln fort und zerschmetterte sie am Fuß des Berges. (2. Mose 32,19)
Genau so fühle ich mich.
Von wegen Nächstenliebe! Ich empfinde keine Nächstenliebe für Impfgegner. Wer ihnen gegenüber Toleranz fordert, beißt bei mir auf Granit. Ich weiß, dass das nicht christlich ist, weil Duldsamkeit und Rücksicht edler wären. Ich kann es nur nicht ändern. Ich bin erbarmungslos geworden.
Natürlich hat jeder das Recht, sich das Leben zu nehmen. Ein Suizid auf Kosten anderer aber ist etwas anderes. Der German Wings-Pilot Andreas Lubitz wählte diesen Weg. Er hatte seine Maschine an den südfranzösischen Alpen zerschellen lassen und alle Insassen mit den in den Tod gerissen. Am 24. März 2015 war das. 149 ausgelöschte Leben. Weil einer nicht mehr leben wollte.
Und auch wenn die Impfverweigerer nicht sterben, sondern leben wollen, tun sie letztlich nichts anderes als der Pilot. Sie riskieren das Leben von anderen. Weil es ihnen egal ist, was aus denen wird, wenn sie sich nicht impfen lassen, obwohl sie es könnten. Sie denken ja noch nicht einmal daran, was sie ihren Eltern, Kindern und Geschwistern zumuten, wenn sie krank würden.
Ich habe genug von Leuten, die von Solidarität nichts halten und über Appelle nur lachen. Die ignorieren, wie gut es uns geht, gehen kann, wenn wir nur wollen. Aber sie wollen nicht. Stattdessen meinen sie, ihr Recht auf Freiheit verteidigen und Widerstand leisten zu müssen (einige mit zum Teil inakzeptablen Mitteln). - Freiheitsrecht? Widerstandsrecht? Gegen was? Gegen das Lebens- und Gesundheitsrecht der anderen? Völlig zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht die kruden Vorstellungen der Impfgegner zurückgewiesen (1 BvR 781/21 u.a).
Mit seinem Beschluss hat Karlsruhe übrigens auch den Politikern den Weg gewiesen, den sie längst hätten gehen können. Schon im Juni warnten Expert*innen vor der vierten Welle. Doch die Berliner Politik drückte sich. Ihr (erst wahl-, dann koalitions-)taktisches Zögern ist nicht ganz unschuldig an der gegenwärtigen Lage. Es hat Menschenleben gekostet.
Ich bin geboostert. Und dafür sehr dankbar. Und ich bin wütend, weil sich so lange nichts getan hat und sich partout nichts ändert ohne Zwang. Ich bin eine unchristlich-wütende Befürworterin härterer Maßnahmen. Des Lockdowns für Ungeimpfte, wenn das nicht sinnvoll ist, für alle. Der 2G-Regel, auch in Gottesdiensten. Der Impfpflicht (Ausnahmen nur aus medizinischen Gründen, die ein Amtsarzt attestieren muss). Das alles sofort. Und unter Androhung empfindlicher Geldbußen. Damit nicht noch mehr Menschen sterben.
Vielleicht hat mein Zorn am Ende ja doch etwas mit Nächstenliebe zu tun. Und ich bin nicht nur Knecht Ruprecht. Die Gegenspielerin.