Seit letzter Woche wird die Evangelische Kirche in Deutschland von drei Frauen geleitet.
Zeit also, ein bißchen darüber nachzudenken, was das bedeutet.
Drei Frauen, noch dazu drei recht verschiedene, werden nun die Zukunft der Kirche in den nächsten Jahren maßgeblich mitbestimmen.
Annette Kurschus ist die neue EKD-Ratsvorsitzende (das ist etwas wie die oberste Bischöfin), Kirsten Fehrs ihre Stellvertreterin. Und Anna-Nicole Heinrich ist EKD-Präses (d.h. die oberste Nicht-Theologin in der evangelischen Kirche).
Und auch wenn einiges dafür spricht, dass FINTAs (Frauen, Inter, Nonbinary, Trans, Agender) immer dann in Leitungspositionen aufsteigen, wenn eine Organisation in Schwierigkeiten ist (bestes Beispiel: Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende wurde, als die CDU in der Spendensumpf-Krise war), ist das doch ein gutes Zeichen.
Denn es heißt: Byebye, Schlumpfine-Prinzip!
Die Älteren unter uns erinnern sich: im Comicdorf Schlumpfhausen gibt es einen Architektenschlumpf, einen Dichterschlumpf, einen Trompetenschlumpf, einen Müllschlumpf, einen schlecht gelaunten Schlumpf, einen Papa Schlumpf usw usf - es gibt aber nur EINE Schlumpfine. Und deren einzige Eigenschaft ist es, weiblich zu sein. Damit steht Schlümpfe-Erfinder Peyo nicht alleine. Bis heute bestehen in Literatur, Filmen, Serien handelnde Gruppen noch allzu oft aus mehreren Männern, zu denen eine Frau hinzukommt: Gabi bei TKKG, Penny in den ersten Staffeln von Big Bang Theory, Arwen in Herr der Ringe, Prinzessin Leia in Star Wars, Kang Sae-byeok in Squid Game, Eleven in Stranger Things, Maria Magdalena in bestimmten Darstellungen der Gruppe um Jesus, Miss Piggy in der Muppet Show. Sie alle sind sexy Sidekicks. Die eigentliche Geschichte wird von den männlichen Figuren bestimmt.
(Mehr zum Schlumpfine-Prinzip hier: https://youtu.be/opM3T2__lZA , ein ganz ähnliches Phänomen: mehrere weiße Menschen, zu denen ein*e PoC (Person oft Colour) hinzukommt.)
Das Schlumpfine-Prinzip knüpft an ein altes und wirkmächtiges Narrativ an: Männer sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften. FINTAs haben nur eine Eigenschaft: sie sind keine Männer. Sie sind die Abweichung von der Norm und sie sind alle gleich. Oder wie ein früherer Chef von mir einmal sagte (und das völlig ernst meinte): „Wenn für ein Leitungsamt nur zwei Frauen kandidieren, dann hat das Wahlgremium ja gar keine Auswahl.“
Wenn FINTAs also mehr als die Abweichung sein sollen, müssen sie mehrere sein. Und: sie dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Denn auch das ist eine Folge des Schlumpfine-Prinzips: Viele FINTAs haben gelernt, dass es nur einen einzigen Platz für welche wie sie gibt und dass sie den nur bekommen, wenn sie schlauer, schöner oder männlicher sind als andere FINTAs. Die Folge ist Konkurrenzverhalten zwischen v.a. Frauen und das, was dann „Stutenbissigkeit“ genannt wird.
Die Wahl der drei Frauen an die Spitze der EKD und ihre mediale Rezeption als Team (im Gegensatz zu Heinrich Bedford-Strohm, der als Ratsvorsitzender immer als Einzelperson, als alleiniger wichtigster Repräsentant wahrgenommen wurde) könnte außerdem bedeuten:
Bye-bye Heldenreise. Welcome schöne König*innen und Heldinnenreise.
Im Gegensatz zum einzelnen, von schwächeren Figuren umgebenen Held im Mythosschema der Heldenreise (vgl Joseph Campbell), ist die Heldin im Schema der Heldinnenreise (vgl Maureen Murdock) Teil einer Gruppe, die zusammenarbeitet. Am Ende der Heldenreise hat der Held den Feind besiegt und kehrt siegreich in seine alte Heimat zurück. Am Ende der Heldinnenreise hat die Heldin ihre eigene Identität entwickelt und eine neue Community und Heimat mit-geschaffen. Odysseus und Wonderwoman sind in diesem Verständnis also Helden. Harry Potter, Carrie Bradshaw und Paulus dagegen Heldinnen. Auch Jesus scheint mir, je länger ich darüber nachdenke, durchaus Heldinnen-Qualitäten zu haben.
(Mehr zur Heldinnenreise hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Heroine%27s_journey )
Noch einmal anders hat es eine Gruppe von Frauen, zu denen Antje Schrupp und Dorothee Markert gehören, ausgedrückt: Sie sprechen von souveränen Frauen als „schöne Königinnen“: die „schöne Königin“ kann durchaus für sich allein stehen, bleibt dabei aber immer bezogen auf ihre befreundeten und verbündeten anderen „schönen Königinnen“. (Und sie muß übrigens keine Frau sein.)
(ausführlich hier: https://www.bzw-weiterdenken.de/2012/05/funf-schone-koniginnen-ein-neues-bild-fur-souverane-auftritte-in-der-offentlichkeit/ )
Es spricht einiges dafür, dass die komplexe Situation unserer Welt und unserer Kirche mehr Kooperation als Konkurrenz braucht. Mehr Community-Building als Kampf gegen Feind*innen. Mehr sichtbare Held*innen-Teams als einzelne Helden mit unsichtbaren Unterstützer*innen. Mehr schöne sichtbare König*innen, die sich verbunden wissen mit anderen schönen sichtbaren König*innen.
Ja, es spricht einiges dafür, dass die Heilige Geistkraft die EKD-Synode bei ihrer Wahl mit einer recht guten Intuition ausgestattet hat. Auch wenn natürlich noch viel mehr möglich gewesen wäre (beklagenswert zB: all-white Gremium und kein Ratsmitglied, das für das Thema Inklusion steht).
Dennoch: ein vorsichtiges Halleluja. Sag ich mal.
Wochenaufgabe:
Sich verbünden.
Solidarisch sein. Testen, Masken, Abstand, Impftermin (aber das wisst ihr auch ohne mich).