Birgit Mattausch
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Das tue ich, Birgit Mattausch, hier einmal im Monat für den Spiritusblog. Ich schreibe über das, was mich beschäftigt. In den letzten Wochen ist das #BlackLivesMatter und all die Fragen nach auch meinem eigenen internalisierten Rassismus. Ich lese und lerne (hoffe ich). Und vor allem stelle ich fest, wie weiß ich bin und wie wenig bewusst mir das im Alltag ist – weil Weißsein das „Normale“ ist, etwas, das mir unzählige Privilegien verschafft, derer ich mir nicht oder kaum bewusst bin.
Deshalb habe ich für diesmal Matome Sadiki gebeten, meinen Platz hier im Spiritusblog zu übernehmen – und er hat Ja gesagt.
Matome Sadiki
Ich war auf der Black Lives Matter Demo. Am nächsten Tag hatten wir Familienbesuch. Wir haben Höflichkeiten ausgetauscht und Kaffee und Kuchen genossen.
Sie schaute mir ernst ins Gesicht, mit ihren nervösen Händen fest an ihrer Tasse:
„Sag mal, du warst auf der Black Lives Matter Demo gestern, habe ich gehört. Sowas passiert nicht in Deutschland, oder? Oder hast du sowas hier schon erlebt?“
Meine Antwort: „Du meinst Rassismus?“
Sie: „Ja.“
Ich antwortete mit einem Beispiel: „Als ich noch Student in Göttingen war, sprach ein Ladenbesitzer über mich und meinen Ausweis. Er meinte dabei, als er über mich hinweg mit meiner jetzigen Frau sprach: „Man kann den Afrikanern nicht trauen.“ Ich war wütend und wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte.
Im Vikariat wurde ich zum Beispiel beim Geburtstagsbesuch oft gefragt, ob ich wirklich studiert hätte. Immer wieder musste ich mich in meiner Rolle als Theologe rechtfertigen.
Neulich hier in Bad Cannstatt, als ich in die U-Bahn einsteigen wollte, stieg ein älterer Mann aus – ich machte höflich Platz für ihn. Wie in einem Film drehte er sich um und nannte mich das N-Wort. Mein erster Gedanke in diesem Moment war: Denk daran jetzt nichts Dummes zu tun oder zu sagen.
Meine Frau erzählt oft, dass sie gefragt wird, ob unsere Töchter ihre Kinder seien. Was macht das mit einem Kind, wenn über die ganze Kindheit die Zugehörigkeit zur eigenen Familie in Frage gestellt wird?
Vorgestern: Ein wütender Mann sah meine zweijährige Tochter und sagte: „Noch so eins, das nie richtig Deutsch sprechen wird.“
Sie: „Ich habe immer gedacht, Rassismus passiert bei uns nicht.“
„Ich bin Vater von zwei kleinen Mädels und ich stand mitten in der Black Lives Matter Demo in Stuttgart. Ich habe Parolen wie: NO JUSTICE NO PEACE geschrien. Einige Parolen habe ich nicht ausgesprochen. Ich möchte keinem anderen die Menschenwürde absprechen, auch wenn ich deren Haltung gegenüber People of Colour kenne. Ich habe mitgeschrien für meine Kinder. Ich will, dass meine Kinder in einer Welt leben, in der sie ihre Existenz in dieser Gesellschaft nicht rechtfertigen müssen. In einer Welt, in der sie einfach dazu gehören und ihr Menschensein nicht in Frage gestellt wird. Ich habe geschrien für Gerechtigkeit, weil ich in Deutschland selber schon dreimal mit dem N-Wort gerufen wurde und die Haare meiner Kinder von Wildfremden begrapscht werden. Stell dir vor, was das mit deinem eigenen Menschbild macht. Dein Menschensein wird dir immer wieder abgesprochen, ohne vorherige Provokation dein Dasein in Frage gestellt.
Wir haben gehört und hören immer noch, wie Menschen schreien und weinen.
Sie äußern ihren Frust und machen ihre Freude deutlich.
Sie schreien und jubeln, dass sich endlich etwas bewegt.
Wir reden darüber.
Sie schreien vor Angst und Frust, sie möchten endlich als Menschen wahrgenommen werden.
Eigentlich selbstverständlich, oder?“
Sie: „Eigentlich.“
„NO JUSTICE - NO PEACE“
Ein Geschrei, das uns mit den Propheten verbindet.