Alles wird kürzer, außer ...

Alles wird kürzer, außer ...
Kurzfilme führen ein Schattendasein, seitdem es "abendfüllende" lange Filme gibt – auch im Fernsehen immer noch. Dabei führen längst alle Trends weg vom genormten Programm mit immer gleich langen Sendungen.

Alles wird kürzer, zumindest in den Medien: Texte im Internet sollten nie lang sein (wobei, zugegeben: diese Kolumne es oft war). Formatiertes Radio setzt auf kurze Wortbeiträge, die "durchhör-" und gut wiederholbar sind. Nachrichten- und andere Magazinsendungen des Fernsehens bedienen in erster Linie kurze Aufmerksamkeitsspannen. Selbst Popsongs würden noch "kürzer, eintöniger und billiger", berichtete die "FAS" (€) kürzlich unter der Überschrift "Die Spotify-Diktatur". Nur eine Medienform, die schon immer kurz war, profitiert von diesem Megatrend kaum: der Kurzfilm. Seit die Form des "abendfüllenden Films" ersonnen wurde (deren Name kaum mehr zutrifft, seitdem die Abende länger als anderthalb Stunden wurden) gerieten Kurzfilme in den Hintergrund.

Im Fernsehen gibt es gelegentliche Kurzfilmnächte oder unregelmäßige Reihen wie die "rbb movies" spät in Dritten Programmen. Meist entstehen sie in Zusammenarbeit mit Filmhochschulen des jeweiligen Sendegebiets, also zur Förderung des "Nachwuchses", der gerade lange Filme zu drehen lernt. Regelmäßige Sendungen, die sich mit originären Kurzfilm-Formen befassen, gibt es im großen öffentlich-rechtlichen Angebot zwei: "Kurzschluss" samstags gegen Mitternacht auf Arte mit Kurzfilmen aus aller Welt, und ebenfalls nächtlich, monatlich im MDR "unicato". Da liegt der Fokus auf dem deutschen Film, besonders dem mitteldeutschen im Sinne des Mitteldeutschen Rundfunks. [Transparenzhinweis: Das Altpapier, für das ich regelmäßig schreibe, erscheint ebenfalls beim MDR.]

"Du spricht ja einer Kurzgeschichte auch nicht die Daseinsberechtigung ab, bloß weil es Romane gibt", sagt die für die Sendung zuständige  Redakteurin Katrin Küchler. Es geht um sehr unterschiedliche Themen, mal um Festivals wie das deutsch-polnisch-tschechische "Neiße-Festival", mal um Auswirkungen der Digitalisierung oder Selbstinszenierung vor der eigenen Kamera, mal um einzelne Künstler wie Benjamin Heisenberg. "Wir wollen zeigen, was in der kurzen Form möglich und darstellbar ist, anhand von fiktionalen und animierten Filmen, dokumentarischen, experimentellen und hybriden Formaten", erklärt Küchler.

Grenzen verschwimmen

Im vorigen Herbst ging es um Webserien, die zwar ein kurzes Format auf dem aufsteigenden Ast sind, binge-gewatcht in der Summe aber auch wieder lang. Schließlich ist, "technisch gesehen, jedes Netflix Original eine Webserie", wie Charlotte Schulze, redaktionelle Mitarbeiterin bei "unicato", kürzlich in einer guten Übersicht über insbesondere deutsche Webserien schrieb (shortfilm.de). Digital verschwimmen eben alle Grenzen. Das Internet und darin verfügbare Videos laden zur Verknüpfung mit weiteren Mediengattungen ein. Was ganz besonders die jüngste "unicato"-Ausgabe zeigte, die heute nacht um 0.20 lief und nun bis Mitte September in der Mediathek steht.

Da geht es um eine "besondere Form des Kurzfilms", die Musikvideos. Sie treffen auf einen Moderator, der wie gemacht für das Thema ist. Schon seit 2014 moderiert Markus Kavka, der bei den inzwischen sehr ehemaligen Musiksendern Viva 2 und MTV bekannt wurde, "unicato". Er berichtet nicht nur selber, wie die Einführung der Einschaltquotenmessung im Viertelstundenrhythmus gemeinsam mit dem Niedergang der alten, an Speichermedien, also CDs orientierten Musikindustrie zum Ende der Musiksender beitrug. Gesprächspartner Philipp Käßbohrer von der bildundtonfabrik (die Jan-Böhmermann-Fernsehshows, aber auch Serien für Netflix produziert), erzählt, wie froh er war, dass Youtube aufkam, weil seine frühen Musikvideos dann nicht mehr nur auf in Fastfood-Filialen aufgestellten Fernsehgeräten liefen. "After youtube" heißt dagegen das Buch, das Jessica Manstetten gerade mit herausgab und sich mit "Post-Internet Art" befasst. Sie leitet bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen den "MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo" leitet. Es geht also kreuz und quer durch die Medienkanäle und die jüngeren Jahrzehnte.

Und zwischendurch laufen Musikvideo-Kurzfilme. Ollie Schulz, unter anderem auch aus Böhmermann-Zusammenhängen bekannt, ließ sich für sein Lied "Boogieman" von Kinofilm-Regisseur Jan Bonny einen kurzen Film mit Schauspielern wie Matthias Brandt drehen, während Lars Eidinger in einem Deichkind-Video auftaucht. "Fast schon skulptural" seien die Kostüme, findet Manstetten. Die Liebe fürs Detail ist den Filmen und denen, die darüber sprechen, anzumerken.

Klaus Lemke, Theodor Shitstorm

Die Sendung ist ein "bewusst moderiertes Format", weil viele Filme "einer Kontextualisierung, nicht selten einer Erklärung" bedürften, erklärt Küchler. Meist wird nicht im Voraus über die Filme geredet, sondern erst, nachdem sie zu sehen gewesen sind. Ausnahmen von dieser Regel gibt es auch, in der aktuellen Sendung bei einem Mouse on Mars-Video von Klaus Lemke. Das Werk des bald 80-jährigen Dauer-Veteranen des Jungen Deutschen Films wäre ohne Kenntnis der dabei wichtigen Details nicht ganz leicht zu ertragen.

Woran liegt nun, dass Kurzfilme trotz des omnipräsenten Trends zur Kürze im Fernsehen ein Schattendasein führen? Sicher an der Normierung des Programms, das sich im Lauf der Jahrzehnte auf exakt gleich lange, mindestens 30- oder eher 45-minütige Sendungen, und bei Spielfilmen so gut wie auf immer 90-minütige einpendelte. Sendeplätze und ihre Uhrzeiten wurden "gelernt", weshalb auch niemand mehr Programmzeitschriften braucht. Das "Kleine Fernsehspiel" auf dem ZDF-Sendeplatz für etwas experimentellere Filme (montags, nach Mitternacht natürlich) trägt seinen traditionsreichen Namen, da die dort gesendeten Filme zunächst häufig unterschiedlich kurz waren. "Es kommt vor, dass Filme, die durch einen Sender gefördert, sprich mitfinanziert werden, an das gewünschte Programmraster angepasst werden. So wird ein knapp 20-minütiger Film, der in seiner ursprünglichen Konzeption in Inhalt und Form die perfekte Länge hat, auf 30 oder mehr Minuten aufgeblasen", sagt Küchler. Dabei tue man damit niemandem einen Gefallen.

Was aber auch längst klar ist: Das Fernsehverhalten ändert sich fundamental. Nonlineares Gucken ist zulasten des linearen auf dem Vormarsch. Da spielt keine Rolle mehr, ob eine Sendung genau 45 Minuten dauert und die nächste pünktlich beginnt. Im Gegenteil dürfte, wie bei Spotify, jedes Gefühl von Länglichkeit bestraft werden. "Das Fernsehen hat seinen historischen Auftrag erfüllt", würde Lars Henrik Gass sogar sagen, der kämpferische Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage seit mehr als 20 Jahren (in einem charmant beißenden "Filmdienst"-Beitrag).

Kuratorische Zusammenhänge

Bietet der bevorstehende Übergang zum nonlinearen Fernsehen Kurzfilmen Chancen? Noch mehr als jetzt werden Formate sich dahin entwickeln, zeit- und ortsunabhängig konsumierbar zu sein, glaubt Katrin Küchler. Was öffentlich-rechtliche Mediatheken dazu beitragen können: "kuratorischen Anspruch", der etwa Kurzfilme nach bestimmten Themen bereitstellt und in der "unendlichen Vielzahl an kurzen Clips" fehlt. Schließlich sind längst nicht alle kurzen Filmbeiträge Kurzfilme "im Sinne einer eigenen künstlerischen Filmform". Das Ziel gerade der Öffentlich-Rechtlichen sollte sein, "den Kurzfilm als eigenständige Kunstform zu etablieren, heraus aus der 'Unfertigkeit', weg vom 'Katzentisch' – nicht zuletzt zur Unterstütztung der Programmvielfalt."

Dass solche kuratorischen Zusammenhänge ähnlich unterhaltsam wie anregend und informativ funktionieren können, zeigt "unicato" ziemlich gut. Und dass es künftig noch mehr kurze weitere Filmformen geben wird, zeigt die aktuelle Ausgabe. Am Ende ist Dietrich Brüggemann zu Gast. Der Regisseur von Kinofilmen und TV-Produktionen wie dem Tukur-"Tatort" "Murot und das Murmeltier" hat mit Theodor Shitstorm eine eigene Band gegründet und dreht dafür Musikvideos. Da einer jüngsten Trends klar zum Smartphone als Kamera, also zu im Hochformat gedrehten Filmen geht, drehte er seinen Kurzfilm zum Song "Kunst" vertikal – mit der pfiffig smartphonegemäßen Metaebene, dass im Bild der Smartphone-Kamera immer ein Smartphone zu sehen ist. Schade, dass für so etwas im linearen Fernsehen derzeit so gut wie keine Sendeplätze existieren.