Dies ist kein Jahresrückblick

Dies ist kein Jahresrückblick
Aber kurz vorm letzten der Zehner Jahre auf das rasante Zusammenwachsen der Medien zurück- und vorauszuschauen, schadet nichts. Es geht um die neue "Spiegel"-Affäre, Amazons "Alexa" und Europas noch allergrößte Zeitschrift.

Gerade hagelt es Jahresrückblicke. Dabei haben die es oft schon daher schwer, weil die Aktualität laufend weitergeht und vieles über den Haufen werfen kann. Beispielsweise mag es bis Mittwochmittag noch sinnvoll geschienen haben, anhand der Jahresbilanz der Reporter ohne Grenzen den Zustand der Medienfreiheit zu beleuchten. Dann kam der "schwarze Tag" für die Medienbranche, wie häufig getwittert wurde.

Tatsächlich wird der bei Spiegel Online mit zeitweise vier Artikeln in eigener Sache oben auf der Startseite aufgedeckte "Betrugsfall im eigenen Haus" lange nachhallen. Bei aller Kritik ist der "Spiegel" ja in seinen beiden Formen, der gedruckten wie als Portal, eines der Leitmedien. Ob die Form ideal ist, die Ullrich Fichtner zur Öffentlichmachung der Sache gewählt hat und die schon wieder dem Großes-Kino-"Spiegel"-Stil folgt, mit dem auch Claas Relotius seine Erfolge feierte, gehört zu den vielen Fragen, über die bereits gestritten wird. Vor allem wird die Sache dem deutschen Journalismus insgesamt schaden.

Die Medien, zumal die journalistischen, stehen unter multiplem Druck: erstens unter wirtschaftlichem, weil in ihrem internet-basiertem Zusammenwachsen auf sämtlichen Geräten die Einnahmen sinken. Zweitens unter dem Echtzeit-Druck, weil eigentlich immer die aktuelle Lage gespiegelt werden muss (und wenn das für vermeintliche Starrreporter mal nicht gilt, bestätigt die Ausnahme die Regel). Drittens stehen sie unter psychologischem Druck, weil auch in Mitteleuropa viel scharfe Kritik, oft jenseits aller akzeptablen Grenzen geübt wird (und jenseits Mitteleuropas, selbst in den USA in weit größerem Ausmaß). Viertens, Mitschuld auf unterschiedlichen Ebenen tragen sie ebenfalls, wie der aktuelle Skandal zeigt. Wen das interessiert, ist das heutige, wie immer morgenaktuelle Altpapier zu empfehlen.

"Smartcards" & "Super-Mediatheken"

In anderthalb Wochen beginnt das letzte der Zehner Jahre, in einem Jahr stehen die nächsten 20er Jahre bevor. Das sagt deshalb etwas, weil die letzten 20er Jahre dank "Babylon Berlin" zuletzt wieder ziemlich präsent waren. Die viel gelobte Serie wird fortgesetzt, die nächste Staffel (deren Handlungszeit sich in die 1930er Jahre bewegt) wird 2019 bei Sky zu sehen sein. Der Koproduzent ARD wird sie in den 2020ern ausstrahlen.

Auch das zeigt, wie Grenzen verwischen – etwa zwischen dem Free-TV (wie ein inzwischen überholter Ausdruck lautete) öffentlich-rechtlicher Prägung und privatwirtschaftlichem Pay-TV. Überholt ist "Free-TV", weil zunehmend alle, die werbefinanziertes Fernsehen sehen wollen, auch dafür bezahlen müssen, für "Smartcards" zum Satellitenempfang oder das private "Programmpaket" im digitalen Antennenfernsehen. Im digitalen Kabelfernsehen müssen sie nicht extra dafür bezahlen, zahlen aber schon dem Kabelbetreiber und zwar vergleichsweise viel. Die Frage, ob der jetzt schon größte Kabelbetreiber in Deutschland, Vodafone, den zweitgrößten, Unitymedia, übernehmen darf, wird inzwischen von der EU-Kommission überprüft und sollte eines der größeren Medienthemen 2019 werden.

Jedenfalls, das Skizzieren solcher Systeme wie Öffentlich-Rechtliche, Privatfernsehen und Pay-TV ist überholt. Bezahlpflichtige Streamingdienste wie Netflix passen nicht in dieses Raster. Dazu sollen noch größer angekündigte oder angelaufene senderübergreifende deutsche "Super-Mediatheken" kommen. Was Ankündigungen angeht, herrscht große Konkurrenz. Dass längst nicht alle Konkurrenten die angestrebte Reichweite erreichen können, ist klar. Es könnte sogar sein, dass das nur einer übrig bleibt. So verhält es sich ja überall im Internet – auch im Segment der nicht bezahlpflichtigen, werbe- und datenfinanzierten Streamingdienste, das außerdem noch genannt werden muss: Googles Youtube hat längst keine Konkurrenten mehr.

Obwohl das System des klassischen Fernsehens obsolet ist, benutzten manche wichtige Akteure den 1980er-Jahre-Begriff "Duales System" auch 2018 noch, zum Beispiel Mathias Döpfner. Da sprach der Springer-Chef in seiner Eigenschaft als Zeitungsverlegerverbands-Präsident (die selbst auch ein bisschen paradox ist, schließlich hat sein Konzern die meisten Zeitungen außer "Bild" und "Welt" längst verkauft). Döpfner ging es um seinen relativen Erfolg, die träge deutsche Medienpolitik zum einzigen Ergebnis, das sie 2018 überhaupt erreichte, getrieben zu haben, zum neuen Telemedien-Staatsvertrag.

"Alexa, öffne ..!"

Das Zusammenwachsen beschränkt sich ja nicht auf vergleichbare Medienformen wie audiovisuelle Inhalte. Es umfasst etwa auch reine Audio-Inhalte, die immer häufiger mit denselben Geräten genutzt werden, also (sogenannten) Smartphones oder Tablets. Auf denselben Geräten müssen reine Text-Inhalte ebenfalls ihre Leser finden. Da kommt der Telemedien-Staatsvertrag ins Spiel, der die Online-Inhalte der Presseverleger von der empfundenen Konkurrenz textbasierter Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen befreien soll. Ob die Empfindung stimmig ist – einer von vielen Punkten, über die sich lange streiten lässt.

Richtig ist die Annahme, dass die Öffentlich-Rechtlichen sehr sichere Einnahmen haben, die die Verlage zusehends weniger haben, und diesen daher nicht auf allen möglichen Feldern Konkurrenz machen sollten. Eher falsch dürfte die Annahme sein, dass weniger öffentlich-rechtliche Online-Texte den Verlagen mehr Einnahmen bescheren. Schließlich geht schon jetzt der größte Teil der Onlinewerbe-Einnahmen an Google, Facebook und Co. Und diese Entwicklung verschärft sich rasant, die Dominanz dieser Konzerne wächst. Was besonders für das "Co" gilt – zum Beispiel in der Form von Amazon und seinem Gerät "Alexa".

"Keine andere technologische Innovation hat in den letzten zwei Jahren eine so schnelle Marktdurchdringung erlebt wie die smarten Sprachassistenten", teilte die Bauer Media Group, nach eigenen Angaben "Europas größter Zeitschriftenverlag und eines der führenden Medienhäuser weltweit", gerade mit. Es geht darum, der Zielgruppe der Zeitschrift "Lecker" ("unkonventionellen" "Food-Trend-Lovern") anzugewöhnen, zu ihrem Sprachassistenten "Alexa, öffne Lecker!" zu sagen. Erwähnung verdient die Pressemitteilung, weil Bauer gerade sang- und klanglos ohne Pressemitteilung die einst ziemlich große Zeitschrift "Maxi" einstellte (die auf ihrer letzten Titelseite einlädt, "gelassen wie nie ins neue Jahr" zu starten). Tatsächlich dürfte Amazon schon bald zu den größten Nummern im deutschen Werbemarkt zählen; sich auf seinen Geräten zu etablieren, ist etwas, an dem große Medien, die vor allem auf Werbeinnahmen setzen, arbeiten. Auf dem Zeitschriftenmarkt zeigen sich die rasanten Entwicklungen der Medienlandschaft am krassesten. Und nun ist auch noch das letzte große Flaggschiff mit tatsächlich aktueller Relevanz, der eingangs erwähnte "Spiegel", angeschlagen ...

"Motorwelt" und "Junge Welt"

Eine Entwicklung, die 2018 recht wenig Aufmerksamkeit erfuhr (aber auch erst 2020 wirksam werden soll): Sogar "die auflagenstärkste Zeitschrift Europas" wird freiwillig deutlich seltener erscheinen. Dabei hat die "ADAC-Motorwelt" gar nicht das Problem, am Kiosk um Aufmerksamkeit potenziell interessierter Käufer kämpfen zu müssen, sondern wird den gut 13 Millionen Mitgliedern des Verbands zugeschickt, die im Rahmen ihrer Mitgliedsbeiträge auch dafür bezahlen. Genau das Zuschicken scheint das Problem zu sein, berichtete die "Wiwo" (im Kern auch eine Zeitschrift) ebenfalls: Die Portokosten von "rund 50 Millionen Euro pro Jahr" seien dem ADAC zu hoch gewesen, und die Deutsche Post wollte sie für ihren Großkunden nicht etwa senken, sondern kündigte sogar eine Portoerhöhung an.

Und das stimmt, wie finstere Klänge aus einer völlig anderen Ecke des Geschäfts mit gedruckten Medien zeigen. Dass der Monopolist Deutsche Post "2019 das Porto für den Versand von 'leichten' Tageszeitungen in einem Ausmaß erhöhen" wolle, "das für kleinere Blätter und Verlage existenzbedrohend ist", beklagt, bislang ohne größeres Echo, auch die kleine, linke Tageszeitung "Junge Welt". Vertreter der Post würden wahrscheinlich entgegnen, dass ihr Unternehmen in anderen Bereichen, zumal beim (ganz anders als der Presseversand) immer wichtiger werdenden Paketversand, durchaus in scharfem Wettbewerb stehe. Zum schärfsten Konkurrenten der Post entwickelt sich paradoxerweise auch ihr wichtigster "Großkunde" – eben Amazon. (Und der hierzu verlinkte Text steht bei boerse.ard.de, könnte also einer der Texte sein, die demnächst wegen des Telemedienstaatsvertrags nicht mehr in solcher Form erscheinen dürfen).

Es wächst eben sehr vieles aus fast allen Richtungen in fast allen zusammen. Die Auswirkungen dürften in vielen Detailaspekten dramatisch sein, der ist Ausgang offen. Was ja auch heißt, dass es spannend bleibt.

 

Die nächste Medienkolumne wird am 10. Januar erscheinen. Frohe Weihnachten und guten Start ins neue Jahr!