Artikel 13, Artikel 11 und die Lobbys

Artikel 13, Artikel 11 und die Lobbys
Das EU-Urheberrecht ist immer noch in Arbeit – und in einigen Teilöffentlichkeiten heftig umstritten. Droht vielen europäischen Youtube-Kanälen demnächst die Abschaltung? Oder wiegelt Googles Videoportal bloß seine jungen Nutzer auf?

In der fragmentierten Medienwelt gibt es viele Öffentlichkeiten. Eine ist die der Youtuber, die selbst eine große, vielfältige Szene bilden. Wer oft auf evangelisch.de ist, könnte Jana kennen. Wer eigentlich keine deutschen Youtuber kennt, dürfte am ehesten LeFloid kennen, der im Wahlkampf 2015 als Angela-Merkel-Interviewer Schlagzeilen machte. Viele Youtuber-Videos unterscheiden sich schon auf die ersten Blicke und Klänge von anderen Medieninhalten: durch schnelleres Sprech- und/ oder Schnitt-Tempo und schnelle Bewegungen, sei es der Kamera, sei es der Akteure vor ihr, wenn sie heftig gestikulieren (oder einfach nur vor Energie vibrieren). Außer mit Posen sind die Videos gerne auch vollgepackt mit Video- und Musik-Ausschnitten – also mit genau dem, womit Youtube ohnehin überquillt.

All das Tempo heißt nicht, dass Zuschauer, die nicht zur Zielgruppe gehören, nicht dennoch Geduld aufbringen müssen, um zum Beispiel das neue Lefloid-Video "Das Monster! Die CORDON-CALZONE! Combi & Taste #CaT" (die Emojis dazwischen lassen sich hier leider nicht abbilden ...) vollständig anzusehen. Groß ist die Zielgruppe aber, Lefloids Kanal hat über drei Millionen Abonnenten. Und Geduld, die längst nicht alle Nutzer aufbringen, erfordern andere Medien-Formen ja auch, etwa längere Text-Kolumnen wie diese. Es existieren eben viele Öffentlichkeiten mit Schnittmengen, aber auch krassen Unterschieden nebeneinander.

Eine weitere ist die "FAZ", die Zeitung, die lange Jahre stolz darauf war, auf ihrer Titelseite allenfalls ein schwarzweißes Bild zu zeigen. "FAZ"-Ausgaben enthalten immer noch große Textflächen, was ein bisschen auch daran liegt, dass viele Firmen Werbung lieber vor Youtube-Videos als in Zeitungen schalten. Die "FAZ" brachte zuletzt eine Menge unter Youtubern vieldiskutierter Artikel über Youtuber, im Wirtschaftsressort, im Feuilleton und "So wiegelt Youtube die Kinder auf" in ihrer Sonntagszeitung "FAS"  – online illustriert mit Lefloid.

"Uploadfilter"! "Internetzensur"?

Hintergrund: Die Chefin der Google-Firma Youtube, Susan Wojcicki, hatte im Oktober die "Dear Creators", also Youtuber erneut und drastisch zu Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform aufgerufen. Die finale Fassung dieses lange schon in Planung befindlichen Gesetzespakets wird gerade "im Geheimen zwischen Vertretern von EU-Kommission, Parlament und Rat ausverhandelt" (netzpolitik.org). Viele Youtuber, die mit ihren Videos ja teilweise viel Geld verdienen, folgten dem Appell. Lefloid hatte es auf seine Weise ("WEHRT EUCH! Stoppt Artikel 13! Heute!") bereits im Juni getan und vor "Uploadfiltern" und "Internetzensur" gewarnt. Eine besonnenere, aber auch kritische Einschätzung des Gesetzesplans gab damals auch evangelisch.de-Redaktionsleiter Hanno Terbuyken.

Zu Youtubes jüngstem Umgang mit dem Thema stellte die "FAZ" gute Beobachtungen an, etwa die, dass das Video "Warum es Youtube nächstes Jahr nicht mehr gibt" des Kanals "Wissenswert" sehr viel mehr Abrufe hat als das Video "Warum Youtube 2019 NICHT tot ist | Faktencheck" des Kanals "MrWissen2go", obwohl dieser vom ARD/ZDF-Angebot funk.net veranstaltete Kanal deutlich mehr Abonnenten hat:

"Die Plattform verhalf den entsprechenden Videos, zu denen sie vorher selbst aufgerufen hatte, durch Startseitenplazierungen und Trending-Einstufungen zu großer Reichweite und Sichtbarkeit. ... So erreichte das Video des Kanals 'Wissenswert' eine Top-1-Plazierung, obwohl der Kanal nur 300 000 Follower hat. Das Video hat mittlerweile mehr als 3,7 Millionen Aufrufe, das ist das Zwölffache der normalen Reichweite des Kanals".

Offenkundig mischt Youtube unter die vom streng geheimen Algorithmus errechneten Tipps in der Randspalte, was es seinen Nutzern als nächstes anzugucken empfiehlt, das, was seinen Interessen in den Kram passt. Und zeigt weiter unten an, was nicht.

Ähnlich macht es die "FAZ" natürlich auch, machen es alle Medien. Um die EU-Urheberrechtsreform läuft eine gewaltige Lobbyschlacht. Dass der von Wojcicki erwähnte Artikel 13 nur ein Teil dieser Reform ist, verkompliziert die Sache. Die deutschen Verlage setzen Hoffnungen auf das im selben Rahmen als Artikel 11 geplante EU-weite Leistungsschutzrecht (LSR). Auch da sind die genaue Ausgestaltung und Konsequenzen umstritten:

"Gebührenpflichtige Links/ Presseverlage können künftig von allen, die Links auf ihre Inhalte setzen, Lizenzgebühren verlangen. Nachrichtenportale werden so zunichte gemacht. Nein zur Link-Steuer!",

spitzt das Portal savetheinternet.info zu, dessen auch von Lefloid empfohlene Online-Petition gegen das Gesetzespaket inzwischen mehr als 2,6 Millionen Europäer unterschrieben. Nicht so arg sieht es Barbara Wimmer von futurezone.at:

"Die Verlinkung von Artikeln durch Privatpersonen gilt nach gängiger Rechtsprechung nicht als Veröffentlichung. Die Regeln greifen daher hier nicht. Das gilt auch, wenn Internet-Nutzer Links über Twitter oder über Facebook teilen. Für Blogger dürfte der Paragraf ebenfalls nach einer ersten Einschätzung keine Relevanz haben. Details zur Umsetzung sind allerdings noch unklar."

Grüne dagegen und dafür

Inzwischen ist das Gesetzespaket sogar innerhalb der Fraktionen umkämpft. Die deutsche Europa-Abgeordnete der Piratenpartei, Julia Reda, Mitglied der Grünen-Fraktion [Mitglied der Partei Die Grünen, wie ich zunächst irrtümlich schrieb, ist sie also nicht; CB], engagiert sich vehement dagegen und meint zum LSR, dass die – wiederum unterschiedlichen – Positionen von EU-Rat und Parlament beide "die Link- und die Informationsfreiheit attackieren". Die grüne deutsche Europa-Abgeordnete Helga Trüpel engagiert sich vehement für "eine Verbesserung der Lage in Richtung eines fairen Netzes" (helgatruepel.de), die schließlich auf einer "jahrelangen demokratischen Debatte" basiert.

Und die EU ist ohnehin kompliziert. Im laufenden "Trilog" verhandeln EU-Parlament, EU-Kommission und Ministerrat miteinander. Vor Weihnachten soll ein Ergebnis vorliegen, dem Anfang 2019 noch mal das Parlament zustimmen muss. Sonst "beginnt der gesamte Prozess von vorne und es kommt zu keiner Urheberrechtsreform" (futurezone.at). Im Mai finden ja EU-Wahlen statt, und anschließend dürfte es noch schwieriger werden, Mehrheiten zu organisieren.

Und dieser Gemengelage gilt die Lobbyschlacht. Viele Interessenverbände bringen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Argumente vor. Dazu gehört, dass deutsche Verlagsmedien das EU-LSR lieber nicht groß thematisieren. Sie haben schon beim 2013 eingeführten deutschen LSR die Erfahrung gemacht, dass ihre Leser insbesondere im Internet dagegen sind (und dass das deutsche LSR bislang praktisch wirkungslos ist, macht es noch komplexer. Mit EU-weiten Regeln werde sich das ändern, hoffen die Verlage, vereinfacht gesagt). Allerdings sind Zeitungen im Netz ja längst ein Medium unter sehr vielen und keine Gatekeeper mehr. Aber Youtube als Quasi-Monopolist bei frei zugänglichen Online-Videos ist einer, für den ausschließlich seine eigenen Regeln gelten, und verfolgt ebenfalls eigene Interessen.

Was fehlt: Vertrauen in die EU

In der Sache könnten Wojcicki und Lefloid durchaus recht haben. Wenn in einem Video "ein Bild oder 'ne Soundspur oder ein File oder ein Videoausschnitt" von etwas urheberrechtlich Geschütztem enthalten ist (wie Lefloid im "WEHRT EUCH!.."-Video , äh ... ruft), könnten Uploadfilter die Veröffentlichung verhindern. Youtuber-Videos sind oft voll von solchen Elementen. "Was, wenn an der Wand hinter ihnen ein urheberrechtlich geschütztes Gemälde hängt, oder wenn ein Popsong im Hintergrund läuft, oder wenn sie ganze Passagen aus einem Buch vorlesen?", fragte Wojcicki gerade die "Süddeutsche". Wie verbissen urhberrechtlich selbst um zweisekündige Audio-Samples gestritten werden kann, zeigte eindrucksvoll der Streit zwischen Moses Pelham und Kraftwerk, der 2016 vor dem Bundesverfassungsgericht landete – und noch nicht abgeschlossen ist: Vor dem EU-Gerichtshof geht er weiter.

Seit Juni entstanden zu umstrittenen Artikeln zusätzliche Kompromissformeln. Wie sie sich auf Zitate, Remixe, Memes und Youtuber-Videos auswirken werden, ist kaum vorherzusagen. Ausblicke wagen die (befangenen) großen deutschen Medien selten. In den Fachportalen gehen sie inzwischen in die Richtung, dass die guten Absichten sich kontraproduktiv auswirken und "die Marktposition von Giganten wie Google, Facebook und Amazon" stärken dürften (netzpolitik.org; futurezone.at sieht's ähnlich). Kann das ein Grund sein, auf europäische Regeln für das US-amerikanische Oligopol des Plattform-Kapitalismus lieber ganz zu verzichten?

Auswirkungen sind schon daher kaum vorauszusagen, weil es weder Beispiele noch Maßstäbe gibt. Youtube hat sich zum kulturellen Gedächtnis der Welt mit unübersehbarem Umfang entwickelt. Es wächst inzwischen um über 400 neue Stunden pro Minute (während es 2012 noch bloß "72 Stunden" waren). Und gehört dem zweitgrößten Medienkonzern der Welt, dessen Umsatz allein 2017 um mehr als 16 Milliarden Euro anstieg. Bisherige EU-Initiativen zum Internet wie die zur Datenschutzgrundverordnung DSGVO haben, auch weil sie voller lang erkämpfter Kompromisse stecken, niemanden richtig überzeugt. So übel, wie ihre vielen scharfen Kritiker glaubten, haben sie sich aber auch nicht ausgewirkt.

Es ist enorm kompliziert – und schade, dass es der EU bislang nicht gelungen ist, beim ungeheuer wichtigen und idealtypisch internationalen Thema Internet Vertrauen in ihre Fähigkeiten aufzubauen.