Infrastruktur ist langweilig

Infrastruktur ist langweilig
Datenschutz, Abmahnungen, Radio: Im Medienbereich läuft vieles in Deutschland nach ganz guten, aber alten Gesetzen – oder nach neuen, die bloß gut gemeint sind. Dabei zerfließen die traditionellen Grenzen immer schneller.

Die drohende Abschaltung des UKW-Radios war vor vier Wochen hier Thema. Sie wurde dank eines doppelten Rückgriffs in die Vergangenheit noch mal abgewendet. Der eine bestand in der Person Friedrich Bohl: Helmut Kohls einstiger Kanzleramtschef wurde von der Bundesnetzagentur, die als Nachfolgerin des 1998 aufgelösten Bundespostministeriums ja auch ein Kind der Kohl-Ära ist, zu vermitteln gebeten. Und war erst mal erfolgreich:

"Die Sender zahlen etwas mehr, die Be­treiber*innen senken die Preise ein wenig, und die Dienstleister*innen schrauben ihre Gewinnmarge runter",

fasste die "taz" zusammen. Allerdings schwant ihr schon, dass der Streit bei der nächsten Preiserhöhunge-Runde neu beginnen dürfte.

Der zweite Griff in die Vergangenheit ist eine Art Entprivatisierung: 180 UKW-Antennen kaufte kurzerhand die bayerische Landesmedienanstalt. Wie recht es der Netzagentur ist, dass nun eine Anstalt des öffentlichen Rechts (bzw. zwei Anstalten, da der Bayerische Rundfunk mit 10 Prozent beteiligt ist ...) die Sendeanlagen besitzt, wäre eine Anschlussfrage. Die Antwort hinge mit einem Spezifikum des bayerischen Medienrechts zusammen ("dass Rundfunk ausschließlich in ... öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben werden kann"). Insofern ist das formal in Ordnung. Allerdings betont die BLM, am "Ziel, auf eine preiswertere terrestrische DAB+-Infrastruktur umzusteigen", festzuhalten. Was bedeutet, dass ihre zu einem ungenannten Preis gekauften UKW-Antennen mittelfristig abgeschaltet werden sollen. Bei den DAB+-Antennen handelt es sich um eine völlig andere Infrastruktur, die nicht zuletzt der Media Broadcast gehört, dem Verkäufer der UKW-Antennen.

Da ist noch die Ansicht des niedersächsischen Landesrechnungshofs zur Radio-Frage interessant (die die "Medienkorrespondenz", nicht frei online, vermeldete):

"dass 'es in einem Zeitraum von 20 Jahren bisher nicht gelungen ist, bei den Nutzern eine nennenswerte Ausstattung mit DAB- oder DAB-plus-Empfangsgeräten zu erreichen",

und es daher nötig sei, dass sich alle Beteiligten

"entweder auf klare und krisensichere Rahmenbedingungen sowie überschaubare Fristen zum Ersatz von UKW durch DAB plus verständigen oder die Förderung der Verbreitung von DAB plus möglichst umgehend beenden."

Was unwahrscheinlich ist. Kritik der niedersächsischen Rechnungsprüfer muss ja allenfalls den NDR interessieren, für den allein seine eigenen Aufsichtsgremien zuständig sind, die kaum die von allen Bundesländern gemeinsam beschlossenen Budgets aufbrechen werden. In Bayern herrschen wie gesagt andere Voraussetzungen. Und gesamtgesellschaftlich wie auch im Medienrecht gibt es eine Menge drängenderer Probleme. Deshalb dürfte Radio noch viele Jahre lang analog über UKW und digital über DAB+ (von allen, die wollen, oder dafür Rundfunkbeitrags-Geld bekommen) und übers Internet gesendet werden.

Datenschutz als "Mainstream"?

Ende Mai trat die Datenschutzgrundverordnung DSGVO final in Kraft. Wie von vielen Kritikern prognostiziert, ist rasch "die Abmahn-Maschinerie angelaufen" (heise.de mit über 1750 Kommentaren!) und ein Blogsterben zu beobachten. Enno Park listete Ende Mai in seinem Blog, das seither ebenfalls ruht, 320 Blogs auf, die wegen des Aufwands zur Anpassung an die EU-Richtlinie aufgegeben hätten.

Zu diesen Themen befragte die "Süddeutsche" den "Vater der DSGVO" und Protagonisten des hier erwähnten Dokumentarfilms "Im Rausch der Daten", den Grünen-Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht. Der antwortet tapfer:

"Kein Blog, der offline gegangen ist, wurde dazu gezwungen. Es war ihre eigene Entscheidung. ... Für Blogs gab es praktisch keine inhaltlichen Änderungen, viele waren auch vorher nicht datenschutzkonform ... Man kann nicht sagen, der Datenschutz gilt für manche Seiten und für andere nicht."

Was immerhin konsequent klingt. Durchaus möglich, dass die Dominanz der sog. soz. Medien Blogbetreiber die Lust genommen hat. Wenn Albrecht dann aber argumentiert:

"Die großen Datenverarbeiter wie Google oder Facebook haben sehr viel Geld in den Datenschutz gesteckt ... Allein Facebook hat mehrere Tausend Stellen aufgrund der DSGVO geschaffen."

ist das anfechtbarer. Heuert Facebook nicht vor allem Löschkräfte an, um auch wegen des – ähnlich umstrittenen – deutschen NetzDG Ärger vom Netzwerk fernzuhalten? Nur wenn die DSGVO nicht bloß Blogs reguliert, sondern auch Giganten wie den Facebook-Instagram-Whatsapp-Komplex, wenn etwa Beschwerden wegen Datenschutz- "Zwangszustimmung" auf dem langen Weg vermutlich bis vor den Europäischen Gerichtshof Erfolg haben, dürfte die EU-Verordnung mittelfristig als sinnvoll empfunden werden. Einen überzeugenderen Dreh hat da die Leiterin des neuen Europäischen Datenschutzausschusses gefunden: "Datenschutz goes Mainstream", zitiert die "SZ" Andrea Jelinek. Mainstream ist ja ein weitgehend negativ besetzter Begriff, entsteht aber durch das, was die breite Mehrheit zu tun pflegt. Und wenn die sich an Datenschutz orientiert, können insgesamt die Vorteile überwiegen.

Wo Albrecht, der ab Herbst übrigens neuer Grünen-Minister in der Kieler Jamaika-Koalition wird, aber recht hat: was die Abmahnwelle angeht. "Das Abmahnwesen in Deutschland ist ein Sonderfall und keineswegs neu'", sagte er auch noch. Beinahe wäre das Problem gemildert worden. Ende Mai gab es Initiativen der Unionsparteien und der SPD dazu. Allerdings hatten sie unterschiedliche Verbesserungsideen, daher verlief alles erst mal wieder im Sande. Bekanntlich streiten die Regierungsparteien auch auf wichtigeren Politikfeldern.

So bleibt ein wesentlicher Aspekt der DSGVO-Problems leider das deutsche Desinteresse an komplexen Strukturen. Datenschutz ist zwischen den traditionell zuständigen Bundesländern und internationalen Konzernen mit Europasitz in Dublin ein Querschnittsthema, an das sehr viele Gesetze sauber angepasst werden müssten. Und bei physischen Infrastrukturen, über die etwa Radio ausgestrahlt wird, wollte der Gesetzgeber auch einfach alles "dem Markt" mit immer noch mehr Teilnehmern sowie einer Vielzahl noch ein bisschen zuständiger Medienanstalten und Behörden überlassen.

Telemedien und Mediatheken

Wo es richtig flott zugeht: beim vor einer Woche angesprochenen Komplex "Telemedien". Am Staatsvertrag gibt es weiterhin viel Kritik; dass der neue Auftrag "nicht zeitgemäß" ist, findet Diemut Roether in "epd medien". Die Idee einer gemeinsamen Mediathek unterschiedlicher deutscher Anbieter stößt aber auf wachsende Zustimmung. Youtube und Netflix funktionieren ja weniger wegen einzelner Höhepunkte, sondern weil sie sehr vieles, tendeziell alles anbieten. Wer ansatzweise konkurrieren möchte, muss also ebenfalls möglichst viel bieten.

Eine von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern betriebene Mediathek schlug der neue Chef der Sendergruppe ProSiebenSat.1 gerade vor. Die Idee ist besser, als sie auf Anhieb klingt. Immerhin beherrscht ProSiebenSat.1 mit seinem "Maxdome" die – wie jeder gelegentliche Nutzer öffentlich-rechtlicher Mediatheken weiß – nicht ganz einfache Technik. Und mit dem US-amerikanischen Discovery-Konzern (u.a. "Eurosport") hat es schon einen Besitzer einer größeren Menge Sportrechte an Bord. Tatsächlich antwortete der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm schon positiv.

Doch müssen alle Seiten betonen, abwarten zu müssen, was das Bundeskartellamt sagen wird, das ähnliche, bloß kleinere Pläne vor wenigen Jahren verboten hatte. Dass das Kartellamt das Zusammenwachsen der Medien antizipiert hat, kann niemand behaupten. Wobei es eine dem Bundeswirtschaftministerium zugeordnete Behörde ist, die sich an geltenden Gesetzen orientiert, die natürlich reformiert werden könnten. Wobei wir wieder bei der Frage sind, ob der Gesetzgeber das denn rechtzeitig tun wird ...

Fließende Grenzen

Es ist schon wieder tief unten in der Kolumne, ein Update muss aber noch sein: Vor zwei Monaten wurden die Nominierungen zum Grimme Online Award/ GOA bekannt, am vergangenen Freitag die Preise vergeben.

Die evangelisch.de-Reportage "Eine Kirche wird zur Moschee" hat nicht gewonnen. Das ist schade, aber nicht mehr als bei den anderen Nominierten auch [muss und kann ich als Mitglied der Nominieungskommission sagen ...]. Alle hätten Preise verdient, alle haben aber auch etwas von der Nominierung gehabt, weil der GOA sich im Feld der sehr vielen deutschen Medienpreise gut entwickelt hat: Die Angelegenheit ist bis zur Verleihung spannend für alle. Vorher wissen (anders als in den frühen Jahren des Preises) auch die Gewinner nicht, wer gewinnt, weswegen alle anreisen, z.B. auf blog.grimme-online-award.de interviewt wurden und allerhand Aufmerksamkeit bekommen.

Dass es "etwas überraschend in diesem Jahr keinen Gewinner in der Kategorie 'Information' gab", wunderte einige Berichterstatter. Wobei etwa die "Riffreporter" (die Anfang des Jahres auch Thema dieser Kolumne waren) doch einen GOA gewannen, aber nicht in der Kategorie "Information" sondern in "Wissen und Bildung" – was vor allem zeigt, dass die Grenzen im Internet sehr fließend sind (oder es im Fluss kaum noch sinnvollen Grenzen gibt).