Presseähnlicher Rundfunk

Presseähnlicher Rundfunk
So etwas soll es im Internet künftig nicht mehr geben. Die Einigung auf diesen Kompromiss war medienpolitisch eine ziemliche Überraschung. Ist sie auch eine gute Idee?

Donnerstag vor einer Woche war nachrichtlich ein unruhiger Tag. Außer der Fußball-WM, die normalerweise immer schnell die Themenlage beherrscht, begann der größte Streit seit langem in der Bundesregierung, ja mitten in ihrer größten Fraktion. Eine Insel der Harmonie aber gab es in Berlin: die rheinland-pfälzische Landesvertretung. Dort fand am selben Tag die Pressekonferenz zum neuen Telemedien-Staatsvertrag mit Ministerpräsidenten und Intendanten sowie Zeitungsverlegerverbands-Präsident Mathias Döpfner statt. Gleich am Anfang stellte Ministerpräsidentin Malu Dreyer fest, dass es "nur Gewinner" gäbe. Kommentare aus Presse-Medien (wie dieser) sehen das auch so: "Nun ist es im Streit zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Verlegern über die Onlineangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio doch noch zu einer Einigung gekommen".

Wurde das aus der Zeit gefallene Problem der "Presseähnlichkeit" von Internetauftritten, also "Telemedien" öffentlich-rechtlicher Sender – um diese außer im Medienpolitik-Jargon unbekannten Begriffe ging es in dieser Kolumne – also pünktlich zur Sommerpause überraschend gelöst? Überraschend: ja, schließlich hatten sich die Fronten in diesem Streit seit 2011 absurd verkeilt.

Gelöst: jein. Ob die Einigung, derzufolge die öffentlich-rechtlichen Onlineangebote künftig "ihren Schwerpunkt in Bewegtbild und Ton haben" sollen, "um sich von den Angeboten der Presseverlage zu unterscheiden", sinnvoll sein kann, ist ungewiss. [Wobei ich an dieser Stelle wieder Befangenheit bekunden muss: Schließlich erscheint das Altpapier, das bis August 2017 bei evangelisch.de erschien, nun beim MDR; was die Neuregelung für die keineswegs presseähnliche, aber zweifellos textlastige, weder Bewegtbild noch Ton enthaltende Kolumne bedeutet, muss sich zeigen].

Am Textverzicht gibt es viel Kritik. "Erst wenn der letzte Text bei tagesschau.de verschwunden, Google News vom Netz gegangen und der Fortbestand von bild.de im Grundgesetz verankert ist, werdet ihr merken, dass euer aktuelles Geschäftsmodell echt scheiße ist", schrieb Altpapier-Kollegin Juliane Wiedemeier an die Verlage. Der Verzicht werde öffentlich-rechtliche Angebote im Netz "zwangsverschlechtern", glaubt ZDF-Fernsehratsmitglied Leonard Dobusch bei netzpolitik.org, doch "die Verlage nicht retten ..: Abgesehen davon, dass die lautesten Kritiker von öffentlich-rechtlichen Textinhalten Vertreter hochprofitabler Medienkonzerne sind, ist öffentlich-rechtliche Konkurrenz kein Grund für wirtschaftliche Probleme einzelner Verlag(sangebot)e. Das lässt sich in den USA beobachten, wo das Zeitungssterben besonders weit fortgeschritten ist, es aber keine nennenswerte öffentlich-rechtliche Konkurrenz gibt."

Eine Sender-Verlage-Mediathek?

Müssen wir das Zeitungssterben dann also hinnehmen? Hm. Viel an der Kritik stimmt, Geschäftsmodell-Fehler haben die Verlage (wie viele im Netz) genug gemacht. Die Online-Konkurrenz unter Anbietern aller Art ist in Deutschland besonders groß, auch weil Internetauftritte besonders vieler Zeitungen miteinander konkurrieren. Doch scheint mir schon plausibel, dass Sender-Internetauftritte die Konkurrenz weiter verschärfen. Wenn etwa Nachrichtensendungen auf Hintergründe im Internet bei tagesschau.de und heute.de verweisen, entledigen sie sich des Auftrags, differenzierter und hintergründiger als in drei Minuten im Fernsehen zu berichten, und lenken Internetnutzer, die auf Verlags-Webseiten ja auch fündig würden, auf ihre eigenen Portale. Wenn die vom sicheren Rundfunkbeitrag finanzierten Anstalten da zugunsten der privaten Konkurrenz zurückstecken, muss das kein Fehler sein.

Insofern wäre eine "gemeinsame Mediathek mit Angeboten von Sendern und Verlagen" keine schlechte Idee. Diese Idee ventiliert gerne (und bis nach Frankreich) der derzeitige ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm. Schon weil er auch mal Bundesregierungssprecher war, lässt sich ihm zutrauen, solche Pläne längerfristig zu verfolgen. Dass Döpfner, der außer BDZV-Präsident auch Chef des Springer-Konzerns ist, eigene Hintergedanken hegt, wird allerdings auch befürchtet.

Sollte die Auslegung der Einigung dahin gehen, dass die Öffentlich-Rechtlichen auf Textangebote, an denen auf dem freien Markt kein Mangel herrscht (wie etwa Universal-Nachrichtenportale), verzichten, aber solche, die der Markt eher nicht trägt, die aber Mehrwert zum Beispiel durch Überblick bieten [wobei ich natürlich auch, befangen, ans Altpapier denke ...], könnte der Kompromiss tatsächlich viele Gewinner haben. So weit zum Ja-Anteil des oben genannten "Jein".

Was den Verlegern eher egal ist ...

Der Nein-Anteil zeigte sich bereits in der Konstellation der Pressekonferenz-Teilnehmer. Die Ministerpräsidenten der Länder machen die Rundfunkstaatsverträge, an die die Anstalten gebunden sind. Insofern liegt nahe, dass deren Intendanten bei solchen Terminen auch dabei sind. Mathias Döpfner brachte etwas Glamour mit und sorgte für Medien-Berichterstattung, ist aber eben nur Vertreter einer betroffenen Branche. Vertreter anderer betroffene Branchen äußern sich nun "fassungslos", wie es die Film- und Fernsehproduzenten (in einer für Lobby-Pressemitteilungen ziemlich vernünftigen Erklärung) formulieren.

Das betrifft das, was die Sender als Gegenleistung für den Textverzicht und als Erfolg verbuchen können: "ihr Mediatheken-Angebot zu verbessern, insbesondere durch europäische Lizenzproduktionen zu ergänzen und die Verweildauern zu verlängern". Was für Sender und ihre Zuschauer natürlich schön ist, einerseits. Dass ARD und ZDF "Spiel- und Dokumentarfilme sowie Fernsehserien künftig zeitlich weitgehend unbegrenzt in ihren Mediatheken und auf kommerziellen Plattformen wie YouTube oder Facebook anbieten können" sollen, ärgert andererseits die Produzenten:

"Dabei steht die Filmbranche vor der gleichen Herausforderung wie die freie Presse: Nur wenn sich Inhalte über eine digitale Auswertung refinanzieren lassen, können wir eine vielfältige und kreative Medienlandschaft garantieren."

Gerade Filme kleiner Produktionsfirmen, die ARD, ZDF und sogar ihre Nebensender oft nur spätabends senden, werden keineswegs vollständig von den Sendern finanziert, sondern müssen sich aus vielen Töpfen Budget zusammenkratzen. Manche bieten ihre Filme im eigenen Internetauftritt als Video-on-Demand an, wie die Berliner Firma Playloud (um deren Ansatz es demnächst an dieser Stelle gehen wird). Die neue Regelung "'verbaut der mittelständischen Filmwirtschaft regelrecht den Zugang zum Online-Markt.' Für Dokumentarfilmer wird das zu einem geradezu existenziellen Problem", befürchten die Produzenten.

Dass die Sender, die um ihre künftigen Einnahmen, also die Rundfunkbeitrags-Höhe noch kämpfen (was für medienpolitische Spannung in der zweiten Jahreshälfte sorgen wird) für längere Mediatheken-Verweildauern mehr bezahlen, ohne ausdrücklich dazu verpflichtet worden zu sein, ist nicht gerade wahrscheinlich. Filmproduzenten-Vertreter saßen eben nicht mit am Tisch. (Sondern fordern jetzt erst "entschlossene Unterstützung der Politik" ein).

Dritterseits, dass sich der Online-Markt aktuell in einem Idealzustand befindet ist, würde außer Google, Facebook, Amazon und Co auch niemand sagen. Youtube ist auf dem Weg, das alleinige kulturelle Gedächtnis der Menschheit zu werden. Dort ist ungefähr alles zu finden, was jemals gefilmt wurde, z.B. auch die eingangs erwähnte Pressekonferenz, woran wirtschaftlich außer Google nur wenige (die Kanäle, die Youtubes sukzessive verschärfte Bedingungen erfüllen) etwas partizipieren. Da wäre ein zweites Gedächtnis, etwa in Gestalt einer europäischen Mediathek mit einer relevanten Masse an fair bezahlten Inhalten, keine schlechte Idee. Im Gegenzug zum Beispiel die Youtube-Aktivitäten öffentlich-rechtlicher Sender zu beschränken, wie es in Österreich geschieht, wäre ein Ansatz – der hierzulande bisher keine Rolle spielte, da dieser Aspekt Zeitungsverlegern eher egal ist.

Die Medien wachsen im Internet eben nicht nur von zwei Seiten zusammen, wie es auf der Berliner PK schien, sondern von vielen, und "zusammenwachsen" trifft es auch nicht perfekt, weil es so langsam und organisch klingt. Insofern Jein: Die Lösung der Verkrustungen von vor circa einem Jahrzehnt ist eine positive Entwicklung. Aber es gibt noch viele weitere veraltete Fronten, überholte Regeln und planlos eingeschliffene Gewohnheiten, die in ähnlicher Weise aufgebrochen werden müssen.