Tore schießen Geld

Tore schießen Geld
... glauben zumindest die Unternehmen, die das öffentlich-rechtliche ZDF bei der Champions League überboten haben. Es wird Zeit, sich von den langen Fernsehfußball-Abenden mit Oliver Kahn und Bayern München im Free-TV zu verabschieden.

Nach Bayern Münchens Auswärtssieg am Dienstag sieht es aus, als könnten Fernsehfußball-Freunde noch mindestens drei Champions League-Spiele mit deutscher Beteiligung im öffentlich-rechtlichen, frei empfangbaren Fernsehen ansehen. Vielleicht werden es, inklusive Finale, sogar vier.

In der nächsten Saison 2018/19 aber wird es solche Spiele jedenfalls nicht mehr frei empfangbar zu sehen geben. Dann teilen sich auf komplizierte Weise zwei andere Unternehmen der Bewegtbild-Übertragung die teuren Fernsehrechte: die Pay-TV-Plattform Sky, die auf ihren Kanälen derzeit noch alle Champions League-Spiele zeigt (künftig aber nicht mehr alle vollständig zeigen wird), und DAZN, das übers Internet streamt und sich daher gerne als "das Netflix des Sports" präsentiert. Ausgesprochen werden möchte das britische Portal gerne "Da Zone". Das wäre englischer Slang für "The Zone".

Es gehört der britischen Perform Group, die in Deutschland schon länger Portale wie spox.com und sportal.de betreibt. Die bieten zum Beispiel auch Nachrichtenportalen laufend aktualisierte Fußballspiel-Liveticker in Textform an. So etwas dürfte, wenn viele Spiele nicht mehr im frei empfangbaren Fernsehen laufen, auch wieder wichtiger werden. Aber das zählt natürlich nicht zu den Hintergedanken des Fernsehrechte-Geschäfts, dessen deutscher Wert auf rund 200 Millionen Euro pro Saison beziffert wird.

DAZN möchte, wie Netflix, viele Abonnenten für zurzeit 9,99 Euro monatlich anlocken. Es wird, dem Blog allesaussersport.de zufolge, 104 Spiele zeigen, während Sky, das in der laufenden Saison noch "146 Spiele der Königgsklasse live" sendete, also alle, auf nurmehr 34 Einzelspiele vollständig live kommen solle . Dafür werde es alle übrigen in Konferenzschaltungen zeigen, bei denen allerdings höchstens ein Drittel der Spiele zu sehen sein darf. DAZN zeigt gar keine Konferenzen. Ein paar weitere der enorm komplizierten Details schlüsselte gerade der "Kicker" auf.

Jedenfalls, die langen Europapokal-Abende im ZDF, die noch vor den Werberahmenprogramm-Krimis mit dem kurzen "UEFA Champions League Magazin" beginnen und irgendwann weit nach Abpfiff in die Markus-Lanz-Talkshow übergehen, in der dann natürlich besonders gerne Fußballer sitzen, werden der Vergangenheit angehören.

Manche, die das Aufblasen der Begleitberichterstattung kritisiert haben, könnten ihn vermissen, den Mix aus maximal vorhersagbaren Gesprächen, in denen (Ex-)Fußballer immer mit minimaler Variationsbreite betonen, dass ihre Mannschaften Leistung abrufen müssen (oder, falls sie gerade verloren haben: nicht abgerufen haben) einerseits und dem idealerweise bis in die Nachspielzeit offenen Ausgang des Spiels andererseits. Natürlich gab viel zu kritisieren. Dass die Öffentlich-Rechtlichen die Honorare freiberuflicher Sport-Experten wie Oliver Kahn nicht nennen möchte, zum Beispiel, oder dass Kahn durch seine Auftritte überdies seinen Werbe-Marktwert erhöht, den er unter anderem als "Markenbotschafter" eines Sportwetten-Anbieters einsetzt.

Claus Kleber wie Arjen Robben

Oder dass die Kommentatoren während des Spiels in ermüdender Redundanz immer das schildern, was gerade auf dem Fernseh-Bildschirm sehen ist: Mal das Spiel, mal die Mimik von Arjen Robben auf der Ersatzbank – was Robben denkt, wenn er auf der Bank sitzt, ist 2018 ein wichtiges Thema der Fußballpublizistik ... – und immer wieder Hinweise auf die App, die das ZDF zur Champions League anbietet, sobald diese eingeblendet werden. Oder dass die Nachrichtensendung "heute-journal", die zu den wichtigeren öffentlich-rechtlichen Aufgaben gehört, immer noch knapper ausfällt als nötig, weil außer Gewinnspiel und Image-Spot der UEFA auch noch mindestens ein Eigenwerbe-Trailer des ZDF in die Halbzeitpause passen muss. Manchmal guckt Claus Kleber wie Arjen Robben auf der Ersatzbank, könnten Zuschauer sich denken.

Aber das sind eben Fernseh-Rituale. Und das Marktanteils-Kalkül geht leidlich auf: Die Champions League funktioniert als das gerne postulierte "Lagerfeuer". Zu den "beeindruckenden 29,7 Prozent Marktanteil" am Dienstag (quotenmeter.de) gehörten laut der GfK-Messung auch 2,58 Millionen "junge" Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren, "womit ebenfalls ein neuer Saison-Rekord möglich war", der im Halbfinale vermutlich geknackt werden, aber nur bis zur Nationalmannschaften-WM im Sommer halten wird.

Dass es ab Herbst keine internationalen Vereins-Wettbewerbe mehr übertragen kann, darüber darf sich das ZDF nicht beschweren. Die Formulierung "im öffentlich-rechtlichen, frei empfangbaren Fernsehen" hier am Anfang war umständlich, aber notwendig: Privates frei empfangbare Fernsehen gibt es ja ebenfalls. In Gestalt des Senders Sat.1 hatte es bis 2012 die Champions League übertragen – bis es bei der Versteigerung der Rechte vom ZDF überboten worden war, das mit sicheren Rundfunkgebühren (die damals auch noch so hießen) rechnen darf, statt auf Werbeeinnahmen spekulieren zu müssen. Das wurde mit Recht viel kritisiert. Schließlich soll öffentlich-rechtliches Fernsehen bieten, was die Privatsender nicht bieten, anstatt genau dasselbe.

Und 2017 wurde dann das ZDF, das sich aktuell nicht mal darauf verlassen darf, dass der Rundfunkbeitrag parallel zur sonstigen Teuerung steigt, von neuen internationalen Wettbewerbern genauso überboten worden, wie es einst das nationale Privat-TV überbot. Sky und DAZN können, weil sie in vielen Staaten aktiv sind, Fernsehrechte in großem Umfang international einkaufen.

Internetausbau? Fußballkneipen?

Ob das einen Aufschrei der Fußballfans und Rundfunkbeitragszahler geben wird, muss sich zeigen. Vielleicht protestieren Sponsoren, die sehr viel Geld bezahlen, um durch Logos auf Trikots, Bandenwerbung und Interviewwänden ins Unterbewusstsein ihrer Zielgruppen zu dringen. Das erfordert Reichweite. Vielleicht beschleunigt die Entwicklung den Siegeszug der Streamingdienste à la Netflix – auch wenn das in Deutschland, wo die Fußball-Begeisterung dezentral funktioniert, die Internet-Verbindungen jedoch keineswegs überall gut genug für schnelle Bewegtbilder sind, kein Selbstläufer wird. Da müsste erst mal der Internetausbau beschleunigt werden. Vielleicht profitieren Fußballkneipen, von denen es allerdings weniger gibt als früher, weil Sky natürlich lieber mehr einzelne Abos an Privatkunden verkaufen möchte und den Kneipen immer noch höhere Abo-Kosten aufbürdet.

Einen Vorgeschmack bietet bereits die laufende, vergleichsweise sehr langweilige Bundesliga-Saison. Die Handvoll Montags-Spiele, die extra für die Bedürfnisse des jungen Bundesliga-Fernsehrechte-Besitzers Eurosport etabliert wurden, erregen einerseits viel Ärger bei den Fans. Andererseits gibt es auch Verständnis. Dass entgegen einer gerne bemühten Redensart Geld auf Dauer sehr wohl Tore schießt und die englischen Fußballvereine in den letzten Champions League-Runden deswegen so stark vertreten sind, weil sie die allerhöchsten Fernsehrechte-Einnahmen erzielen, wissen Fans auch. Dass die Tore wiederum Geld schießen, wenn sie im Free-TV verknappt werden, darauf spekulieren sozusagen die Rechtekäufer.

Wobei auch das nur eine Etappe der dynamischen Entwicklung sein dürfte. Eigentlich braucht es in der Digitalära des Echtzeit-Internets mit schnellen Videoverbindungen Zwischenhändler ja immer weniger. Die US-amerikanische National Football League bietet zwar nicht das, was in Europa Fußball heißt, aber ihren Fans in aller Welt gestreamte Spiele unmittelbar an. Bis die geschäftstüchtige europäischen Ligen die Margen, die Sky und DAZN einzustreichen hoffen, auch lieber selber verwenden würden, um die mutmaßlich am meisten Tore schießenden (bzw. verhindernden) Fußballer mit noch höheren Gehältern locken zu können, dürfte eine Frage der Zeit sein. Medial ist das Ganze eine spannender Prozess mit offenem Ausgang, so wie ein Fußballspiel. Ob sich ein Fußballspiel im Fernsehen angeschaut zu haben gelohnt hat (oder haben würde), weiß man ja auch immer erst, wenn es vorbei ist.