Unbeantwortbar

Unbeantwortbar
Zu vielen Fragen rund um die sozialen Medien ist es schwer, schnell eine gute Antwort zu finden. Schon, weil es oft noch gar keine Erfahrungswerte gibt. Wird deshalb in Deutschland lieber gar nicht darüber diskutiert?

Fake-News waren in der ersten Jahreshälfte großes Thema in deutschen Medien. So etwas wie die Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten, die vor einem Jahr viele Trump-Gegner (darunter viele Medien) völlig überrascht hatte, sollte sich bei der Bundestagswahl nicht ereignen. Es hat sich auch nicht ereignet. Die Wahl wurde nicht oder wenig manipuliert, ihr Ergebnis spiegelt vermutlich wider, was die wählenden Deutschen wirklich denken. Insofern ist das Thema auf der deutschen Agenda weit runtergerutscht – leider.

In den USA wurden in den letzten Wochen Manipulationen des Wahlkampfs, von denen bis dahin interessengeleitet geraunt wurde, sozusagen offiziell. "Plötzlich sind Google und Facebook ganz kleinlaut", schrieb SPON über Anhörungen im Kongress, und nannte interessante Zahlen: Auf Twitter hätten "37.000 automatisierte Accounts mutmaßlich russischen Ursprungs" binnen drei Monaten mit "1,4 Millionen Twitter-Botschaften" "potenziell 288 Millionen Menschen" erreicht; Facebook zufolge hätten "russische Quellen ... zwischen 2015 und 2017 Kommentare, Berichte und andere Inhalte in die Timelines von bis zu 126 Millionen Nutzern in den USA gespült".

Wie sehr man den börsennotierten Konzernen Twitter und Facebook vertraut, die Werbung verkaufen und in eigenen Zwängen stecken (jetzt nicht zuletzt, weil nun ja Trump regiert ...), ist gleich eine weitere Frage. Das Posting, das Mark Zuckerberg in Timelines von noch mehr Nutzern spülte, und seine Beteuerung "Protecting our community is more important than maximizing our profits" sind jedenfalls aufschlussreich für digitalen Turbokapitalismus. Und dass unter dem zuvor gültigen Profitmaximierungs-Paradigma auch russischen Facebook-Nutzern und -Kunden "Limited Offers" unterbreitet worden waren, im amerikanischen Wahlkampf zu werben, machte rt.com ("Russia Times") gerne publik.

"Press 'Like' To Help Jesus Win!"

Beispiele, was für Postings russisch gesponsort in US-amerikanischen Netzwerken erschienen, zeigen etwa eine SPON-Klickstrecke oder die "Washington Post". Weit herum ging das spektakuläre Bild, das einen Satan und Jesus über der facebookigen Aufforderung "Press 'Like' To Help Jesus Win!" zeigt. Einige Zielgruppen dürfte der Satan mehr angesprochen haben als der strahlend weiße Jesus mit Hipster-haftem Bart, den die Gestalter ihm gegenübergesetzt haben – und das dürfte beabsichtigt gewesen sein. Statt um Unterstützung einer Seite ging es eher ums Gegeneinander:

"Another ad, from a Russian-controlled group called Heart of Texas, announced a rally to take place May 21, 2016, under the banner of 'Stop Islamization of Texas.' A separate Russian-controlled group, United Muslims of America, publicized a competing rally to 'Save Islamic Knowledge' at the same place and time, prompting two groups to face off in competing demonstrations in Houston – a sign of how Russians hoped to turn divisions into open conflict",

so die "Post" (die übrigens dem Amazon-Mogul Jeff Bezos gehört). Wobei Facebooks Kunden geläufige Mittel nutzten, unterschiedlichen Nutzern eben genau das vorzuschlagen, was ihnen gefallen dürfte. "Predictive Targeting" heißt das, auch auf Deutsch (dass es für viele Internet-Begriffe gar keine deutschen Worte mehr gibt, ist auch ein Unschärfe-Problem). Jedenfalls soll dieses Targeting "Streuverluste" "vermindern; es "bedeutet, die Beziehung des Kunden zu dessen Wohle zu digitalisieren", erklärt der deutsche Verband der Internetwirtschaft, eco e.V..

Das eco-Zitat entstammt natürlich einem völlig anderem Zusammenhang und ist überhaupt nicht verwerflich (auch wenn sich darüber, was genau zum "Wohle" anderer beiträgt, in der Werbung und in Wahlkämpfen streiten lässt...). Laufend poppen Fragen auf, die nicht nur nicht leicht, sondern oft gar nicht zu beantworten sind. Um zum Beispiel den Demokraten-Senator Al Franken zu zitieren:

"Google has all knowledge that man has ever developed. You can’t put together roubles with a political ad and go hmm, those two data points spell out something bad?" ("Guardian")

Wäre es also besser, Google als Hüter des Wissens der Menschheit erkennt und verhindert künftig Anzeigen, die Böses anrichten sollen, oder wäre das Zensur? Wenn nicht, wer entscheidet, wo das Gute endet? Etwa bei der nächsten USA-Wahl, bei der der amtierende Präsident, der das in seinen Augen Böse oft, schnell und laut zu benennen pflegt, vermutlich nochmals antreten wird? Und wie wäre das in Deutschland, wo Googles Marktanteil noch größer ist als in den USA, deren Gesetzen der Konzern in erster Linie unterliegt?

Natürlich bleibt es sehr gut, in Echtzeit vielfältige Informationen zur Verfügung zu haben. Natürlich wäre es gut, wenn nicht alles Wissen bei Google gespeichert, vermutet und abgefragt würde. Das Internet wurde ja als dezentrales Netzwerk entwickelt, damit eben nicht alles an einem Ort zusammenläuft (und im Kriegsfall auf einmal angegriffen werden kann). Allerdings ist es auch mit maßgeblicher Hilfe der US-Army entwickelt worden, und dass die größten und wichtigsten Internetkonzerne US-amerikanische sind und am liebsten alles speichern, war schon unter Trumps Vorgängern Konsens.

Hoch spannend, kaum beachtet

Wobei auch zu solchen Fragen gerade spannende Prozesse laufen. "Müssen US-Unternehmen, die global agieren, all ihre Daten an US-Behörden weitergeben? Diese Frage wird vom Supreme Court ... entschieden werden", meldete der "Standard" zu einem Streit zwischen Microsoft und dem US-amerikanischen Justizministerium über "Zugriff auf E-Mails, die in Irland gespeichert sind". Dass Präsident Trump, der nicht mal das EU-USA-"Datenschutz"-Abkommen "Privacy Shield" schätzt, in dem europäische Datenschützer völlig andererseits "erhebliche Mängel" sehen, seinen Positionen in diesem Supreme Court schnell viel Einfluss verschafft hat, könnte einen Ausschlag geben.

Wobei die EU auch nicht der zahnlose Tiger ist, als der sie derzeit oft erscheint. Zum Beispiel gab es - wiederum unter weitgehenden Medien-Desinteresse - just einen "wichtigen Etappensieg für Nutzerrechte im EU-Parlament" (noch mal netzpolitik.org). Dort wurde, gegen eine "Allianz aus Datenfirmen wie Google und Facebook, Telekommunikationsanbietern wie der Telekom und Vodafone, Tech-Riesen wie Microsoft und Apple, Presseverlagen", die "ePrivacy-Verordnung" angenommen. Auf der nächsten Etappe, in Verhandlungen mit der EU-Kommission und den nationalen Regierungen, wird die Verordnung weiter verändert werden. Wie aus deutscher Sicht, deuteten Medienkongresse-Reden an: Auf den Münchener Medientagen beschwerte sich die RTL Deutschland-Chefin Anke Schäferkordt über diese "ganz große Keule des Verbraucherschutzes". Beim Zeitschriftenverleger-Verband VDZ reagierte die (Bundes-)Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters ("... kann nicht so bleiben wie im aktuellen Entwurf").

Bezeichnend ist, dass außer bei solchen Rede-Gelegenheiten auch dieses Thema kaum diskutiert wird. Schäferkordt hat als Vorstandsmitglied bei Bertelsmann, das in der Liste der weltgrößten Medienkonzerne immer weiter zurückfällt, gut klingende Argumente: etwa die Befürchtung, die Verordnung werde faktisch nur für europäische Unternehmen gelten. Bekanntlich ist es für Verlage wie Bertelsmanns Gruner + Jahr schon jetzt schwer, im Internet Einnahmen zu erzielen. Sie erhalten von Google trotz eines längst gültigen deutschen Gesetzes ("Leistungsschutzrecht für Presseverlage") kein Geld für ihre Inhalte, sie sind auf Facebook angewiesen und auf die Betreiber der App-Stores, also Apple und ganz besonders wiederum Google. Kann es der EU gelingen, für europäische Unternehmen gleiche Regeln durchzusetzen wie für US-amerikanische, die quasi-monopolistisch globale Quasi-Infrastrukturen betreiben?

In der Falle der Facebook-Logik

Das sind weitere offene Fragen, zu denen sich noch viel schreiben ließe. Immerhin gibt es die 2016 beschlossene, ab 2018 wirksame EU-Datenschutzgrundverordnung. Das darin verankerte "Marktortprinzip" soll es Facebook unmöglich machen, sich in der EU auf die besonders schwachen Datenschutzgesetze seines Europa-Sitzes Irland zu berufen, und wird bereits in Urteilen unterer Gerichte erwähnt. Und dass Facebook von mächtigen Regierungen geliked (bzw. bei der Profitmaximierung möglichst wenig gestört) werden möchte, beweist der Konzern ja in China. Was gleich wieder zu kniffligen Zensur-Fragen auf der Ebene der Inhalte führt. (Und auf der bezahlter Anzeigen)

Es wimmelt also vor Fragen, die schwer bis gar nicht zu beantworten sind. Diskutiert wird darüber in Deutschland gerade – wenig bis gar nicht (außer bei netzpolitik.org). Obwohl es um Medien-Themen geht, geben viele renommierte Qualitätsmedien auch in dieser Hinsicht ein schwaches Bild ab. Nicht zuletzt auch die Öffentlich-Rechtlichen, die Facebook und Co. vor allem erwähnen, um dort Fans zu gewinnen (meinen "Jahrbuch Fernsehen"-Essay zu diesem Thema gibt's inzwischen frei online).

Es scheint so, als hätten sich viele Medien in der Falle der Facebook-Logik verfangen, komplizierte Themen, zu denen sich nicht schnell der Daumen heben lässt (oder eben nicht), im Zweifel lieber nicht zu behandeln.