So egal ist die Wahl eigentlich nicht

So egal ist die Wahl eigentlich nicht
Der Höhepunkt des Medien-Wahlkampfs steht bevor, und wer gespannt sein möchte, darf bei den großen Sendungen nicht auf Inhalte achten. Die bisher beste Wahlshow kam von einem kleinen Privatsender, und am besten streiten lässt sich über ein nichtlineares Online-Format.

 Herzlich willkommen zum Start der neuen wöchentliche Medienbeobachtungs-Kolumne auf evangelisch.de! (Mit dem Altpapier geht es im September an anderer Stelle weiter; mehr dazu kommende Woche auf @altpapier.)

Mit dem "TV-Duell" am Sonntag erreicht der Fernsehwahlkampf seinen Höhepunkt. Wer sich dafür interessiert, könnte zum Beispiel gespannt darauf sein, ob Tools wie das neue "Debat-O-Meter" (sueddeutsche.de: "So küren Sie die Sieger der TV-Duelle", und zwar "vom Sofa aus") sich bewähren oder es doch wieder die vermeintlich lustigsten Tweets einbetten, um zu zeigen, was "das Netz"so meint. Oder darauf, welcher der vier Fragesteller positiv oder negativ auffällt; während in der öffentlich-rechtlichen Talkshowflut ja weiter dichte Konkurrenz herrscht, müssen Peter Kloeppel und erst recht Claus Strunz ums ernst-genommen-Werden ringen.

Vielleicht darauf, ob sich Martin Schulz' Auftritt etwas von der Handschrift des ehemaligen "Tempo"-, "Beckmann"- und SPD-Wahlkämpfe-Haudegens Markus Peichl erkennen lässt. Oder darauf, ob das Ganze so statisch-absurd sein wird, dass die vier übertragenden Sender "im Zweifel lieber auf das Duell (hätten) verzichten sollen", wie der immer gern empörte Chef der Journalistengewerkschaft DJV schon mal im Voraus angeregt hat.

Das heißt: Inhaltlich gespannt ist niemand. Darauf, dass Angela Merkel und Martin Schulz genau die Leistungen abrufen werden, die sie in all den "Sommerinterviews" und seit Monaten vor allen Kameras zeigen, die ihre Wahlkampfmanager an sie heranließen (mehr an Schulz, an Merkel weniger), dürfte Verlass sein.

Der Fernseh-Wahlkampf 2017 gilt als langweilig (und ob das im internationalen Vergleich nicht ein gutes Zeichen ist, ist eines der spannendsten Diskussionsthemen). Bloß vor Sendungs- oder zumindest Sendungstitel-Ideen sprüht er nur so. Es gibt "Wahlchecks", den "Schlagabtausch", den "TV-Dreikampf" und "TV-Fünfkampf", das "Duell vor dem Duell", "Wie geht’s, Deutschland?" und die "Wahlarena", eines der "Townhall"-Formate. Und das war nur eine Auswahl der Sendungen auf den wichtigen Sendeplätzen der vier – noch – großen Sender,

Auf den peripheren Nischen-Sendeplätzen hagelt es weitere Wahl-Sendungen. "Überzeugt uns! Der Politikercheck" und "Wähl mich! - Jungpolitiker auf Stimmenfang", die ARD und ZDF rund um mitternächtliche Sendeplätze herum bereits versendet haben, die beide aber noch bis Sommer 2018 in den Mediatheken zu haben wären, verdienen noch ein paar Blicke.

Die überkandidelte ARD-Show "Überzeugt uns!" dürfte als Beweis dafür, dass noch schnelles Hin- und Herspringen zwischen klassischer Talkshow, Einspielern und vorgelesenen Facebook-Kommentaren noch keine jugendliche Wirkung erzeugt. Das auf einer schweizerischen Idee basierende ZDF-Format "Wähl mich!" zeigte immerhin, wie interessant es sein kann, wenn sich ganz einfach zwei unprominente und ziemlich junge Leute in Halberstadt und Ravensburg über aktuelle Politikhemen unterhalten. Allerdings zeigte es das nur am Rande, denn pro 30-Minuten-Folge wurden nicht nur zwei solcher Gespräche zusammengefasst, sondern überdies mehrere abstruse Spiele nach unsinnigen Regeln.

Erst sollten die jungen Bundestagskandidaten sich ihren "Wunschwähler" zum Beispiel anhand von Frisur und Lieblingsserie ausmalen. Dann machte sich die Sendungs-"Presenterin" anhand eines tatsächlich von einem Karikaturisten gezeichneten Bildes schnell auf die Suche so einem Wunschwähler. Anschließend trafen dieser und der Kandidat zum Gespräch zusammen, das mit einer kleinen Wahl endete: Der Wähler sollte ankreuzen, ob er seinen Gesprächspartner nun wählt. Der Politiker musste den ausgefüllten Ja/Nein-Wahlschein auseinanderfalten und noch kurz etwas dazu sagen. "Das ist Demokratie", kommentierte die Presenterin, als einer mal nicht "gewählt" wurde – obwohl geheime Wahlen ja ein ziemlich wesentliches Merkmal der Demokratie sind.

Am aufschlussreichsten an "Wähl mich!": Am Anfang der Sendungen war oft von "House of Cards" die Rede, da junge Bundestagskandidaten und Wähler die Netflix-Serie gerne sehen. Wer "House of Cards" mag und jung ist, muss sich geradezu beleidigt fühlen von einer Sendung, die jungen Leuten nicht zutraut, auch nur eine Minute lang politischen Gedankengängen folgen zu wollen, und sie mit allen Tricks, die lineare Fernsehsender kennen, vom Wegzappen abhalten möchte. Als Beispiel für "langjährige Unterforderung des Publikums", die Altpapier-Kollege René Martens in der "Medienkorrespondenz" formulierte, ragt "Wähl mich!" heraus.

Privatsender können Spiele einfach besser

Die Wahlberichterstattung ist nicht nur Indiz dafür, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen selbst auf nischigsten Sendeplätzen einiges schief läuft. Sondern auch dafür dafür, dass das Privatsender Spiele immer noch besser können. Zumindest darf man auf ProSiebens "Ein Mann, eine Wahl" mit einem als "liberal, links und konservativ" verkleideten Klaas Heufer-Umlauf im September gespannt sein.

Und wenn der berüchtigste, aber auch innovativste unter den deutschen Privatsendern einen marokkanischstämmigen Kabarettisten mit Politikern wie nicht nur Jens Spahn (bekannt aus "Überzeugt uns!" und eigentlich allen Sendungen, in denen halbwegs bekannte junge CDU-Vertreter gefragt sind), sondern auch mit dem mecklenburg-vorpommerschen AfD-Fraktionsvorsitzenden Leif-Erik Holm zusammenspannt, gehört das zum Instuktivsten im Wahlkampf-Fernsehen 2017. Auf RTL 2 hörte sich Abdelkarim gemeinsam mit Holm in einer Berliner Moschee das "Allahu akbar" an und entlockte ihm ein "Wir dürfen nicht verallgemeinern". (Und dass eine Tochterfirma der NDR-Firma Studio Hamburg ist, die "Endlich Klartext – Der große RTL II Politiker-Check" für den Privatsender produziert hat, ist noch ein aufschlussreiches Detail).

Natürlich stellt so eine Sendung einen einmaligen Zwei-Folgen-Ausreißer im Programm dar. Wie die Privaten ticken, zeigt besser das wahlnavi.de, das die RTL-Gruppe kürzlich lancierte. "Es soll Ihnen die Möglichkeit geben, einfach und übersichtlich zu testen, welche Parteien Ihren Ansichten am nächsten kommen", informiert die Webseite. Das geschieht anhand von vielen Fragen zur Flüchtlingspolitik sowie einzelnen zur Rente und zu Marihuana und erinnert an den Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Bloß handelt es sich hier – wie im deutschen Privatfernsehen fast immer – um ein importiertes, in diesem Fall von kanadischen Wissenschaftlern entwickeltes Konzept.

Was zum, ähm, Service des RTL-Angebots gehört: die auf wahlnavi.de prominent verlinkte Option "mit Facebook verbinden und Ergebnisse mit Ihren Freunden teilen und vergleichen". Dass Facebook in ziemlich vielen Milieus im Ruf eines Datenkraken steht, dem selbst Menschen, die Facebook-Funktionen schätzen, ihren "Standort in der politischen Landkarte" bestimmt nicht anvertrauen sollten, hat sich bei der RTL-Gruppe offenbar noch nicht herumgesprochen. Netzpolitik, Medienpolitik und Medienkompetenz sind bei RTL halt ebenso ferner-liefen-Orchideenthemen wie in den großen Parteien. (Und den kleineren auch, seitdem die Piraten sich aus dem Rennen genommen haben).

Wobei es die Piraten noch gibt. Das zeigt sich etwa auf dem empfehlenswertesten öffentlich-rechtlichen Angebot zur Bundestagswahl, bei kandidatencheck.wdr.de.

Schon die Übersichts-Seiten lohnt es anzusehen, schon weil die Kandidaten so authentisch ungephotoshoppt aussehen und es Betrachtern überlassen bleibt, ob sie beim notwendig nichtlinearen Anklicken inhaltlich vorgehen oder lieber visuellen Impulsen folgen. Dann könnten sie – nur zum zufälligen Beispiel – in der Out-of-Bed-Frisur des Soester Afd-Kandidaten einen Klickimpuls sehen, oder mal überprüfen wollen, ob der Paderborner Kandidat der Partei "Die Partei" sich absichtlich wie ein AfD-Vertreter angezogen hat. Wer letzteres tut, stößt auf erbarmungswürdige (oder doch wieder großartige?) Satire und dürfte anschließend fest entschlossen sein, am 24. September unbedingt jemand anders zu wählen ... Ansonsten hat sich der Rheinländer Martin Schulz natürlich auch vor dieser Kamera präsentiert.

Der "Kandidatencheck" wurde, als er vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl erstmals startete, auch harsch kritisiert (ruhrbarone.de: "Der Großdwestdeutsche Rundfunk produziert eine online Nazi-Show"), bekam später jedoch einen Grimme-Online-Award [Disclaimer: Ich war in der Nominierungskommission, die die Webseite vorschlug]. Zwar haben NPD-Kandidaten nun gar nicht teilgemommen. Doch lässt sich in der Tat inhaltlich darüber streiten, ob auch extreme Parteien so ein Forum bekommen sollten. Das Argument, dass Parteien, die nicht verboten sind und deren Mitglieder sich vor der Kamera nicht verfassungsfeindlich äußern, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aus dem niemand austreten kann, die Chance dazu bekommen müssen, muss keineswegs der Weisheit letzter Schluss sein.

Aber inhaltlicher Streit sollte zu einem Wahlkampf dazu gehören. Und ein Medien-Wahlkampf, in dem allenfalls über Talkshow- und Gameshow-Regeln und vielleicht noch die Moderatoren gestritten werden kann, ist wesentlich langweiliger als es eine Bundestagswahl verdient hat.