"Die sind so süß!" Polyamore Menschen im Kirchenkaffee

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THEMENREIHE POLYAMORIE
"Die sind so süß!" Polyamore Menschen im Kirchenkaffee
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?

Nach dem sonntäglichen Abend-Gottesdienst in der Evangelischen Hochschulgemeinde (EHG) sitzen wir immer noch ein wenig zusammen und tauschen uns aus: über den Glauben, über den Alltag, das Studium, die Arbeit, über Freundschaft, Liebe und Beziehungen. 

Die jungen Menschen kommen dabei miteinander ins Gespräch wie bei einem klassischen Kirchenkaffee – nur mit Wein oder Saft und Chips anstatt Kaffee und Kuchen. Maja, die seit letztem Jahr zum "harten Kern" der EHG gehört, kam letztens ein wenig aufgeregt dazu. Sie käme gerade von einem Date. Während wir an unseren Drinks nippten, erzählte sie mir – und damit auch den anderen, die dabeistanden –, dass sie gerade den Partner ihrer neuen Flamme kennengelernt hätte, mitsamt deren Hauskatzen. "Die sind so süß", schwärmte sie. Ich fragte neugierig nach: "Wer jetzt – die Katzen oder das Ehepaar?" Maja meinte entschlossen: alle.

Ich war freundlich interessiert und fragte, ob der Partner ihrer Freundin denn sympathisch sei und wie das erste Aufeinandertreffen in dieser Polykülsituation gelaufen sei. Da ich noch nichts von ihrer neuen Beziehung wusste, fragte ich auch hier nach, seit wann sie sich denn träfen. Maja erzählte gern über alles und freute sich sichtlich über mein Interesse und auch die Offenheit der anderen. 

Vielleicht finden Sie diese beschriebene Situation unüblich für ein kirchliches Aufeinandertreffen? Ich nicht. Denn in einer Gemeinschaft, auch einer kirchlichen, sollte jede:r mit den Dingen kommen können, die sie:ihn gerade beschäftigen. Nicht nur bei jungen Menschen sind dies eben oft auch Themen rund um Beziehungen, Sexualität und Liebe. Und schließlich geht es bei polyamor lebenden Menschen ja nicht immer nur um Dates, sondern auch um Trennungen oder darum, dass ein:e Partner:in im Krankenhaus ist, dass man gemeinsam auf Urlaub war etc. 

Für mich als Pfarrerin ist also in einer solchen gemeindlichen Situation auch wichtig: Wie gehe ich damit um, wenn Menschen von queeren und/oder von nicht-monogamen Beziehungserfahrungen erzählen? Wie kann ich einen Raum schaffen, in dem sich Menschen eingeladen fühlen, über sich etwas zu erzählen, was andere vielleicht überrascht oder herausfordert? Nicht zuletzt spielt dabei immer auch meine theologische Haltung eine Rolle. Denn ähnlich wie bei schwulen, lesbischen, bisexuellen und Genderthemen ist Kirche nicht unbedingt der Ort, wo polyamor lebende Menschen offene Türen erwarten. Was aber, wenn wir sie überraschen, ihnen zuhören, ihre Lebenswelt (versuchen zu) verstehen und mit ihnen auch über Themen rund um ihren Glauben ins Gespräch kommen?!

Wenn Sie sich fragen, wie Sie das Thema ethische Nicht-Monogamie bzw. Polyamorie in ihrem Gemeindekontext einbringen können, dann wäre meine Antwort ein Dreischritt: Informieren, Zuhören, positiv Position beziehen.

Wie bei (anderen) queeren Menschen auch, ist die Begegnung mit und die Akzeptanz von poly Menschen das Wichtigste, um sie als Teil der kirchlichen Gemeinschaft zu inkludieren. Wissen über das Thema ist enorm hilfreich bei Gesprächen, Offenheit unumgänglich. Denn was ich nicht weiß, kann ich fragen. Dabei ist es jedoch wichtig, keine übergriffigen Fragen zu stellen oder gleich mit (stereotypischen) Vorannahmen zu kommen. Lassen Sie stattdessen Ihr Gegenüber erzählen. 

Wenn Sie alle unsere Beiträge aus der "Themenreihe Polyamorie" (hier in diesem Blog) gelesen haben, dann haben Sie nun ein kleines, aber feines Fundament, um über Polyamorie ins Gespräch zu kommen – und vor allem: mit polyamoren Menschen. 

Polyamorie ist keine Phase, sie bedeutet nicht, dass Liebe geteilt wird und dadurch weniger stark oder verbindlich ist; sie ist kein Konzept zum Betrügen und Fremdgehen – sondern geht im Gegenteil mit sehr viel Kommunikation, Verbindlichkeit und vor allem Konsens und Aufrichtigkeit einher. Sie ist EINE Möglichkeit von vielen, Beziehung(en) zu leben und zu lieben.

In der eigenen Pfarrgemeinde oder kirchlichen Gruppe akzeptiert zu sein, ist das A und O, damit sich polyamore Menschen von Kirche ernst genommen fühlen und dort wohlfühlen können. Ein nächster Schritt, den sich viele polyamor lebende Menschen wünschen, ist die Möglichkeit einer Segnung ihrer Beziehungen. 

Warum nicht? Warum sollten wir Liebe, die mehr als eine:n Partner:in inkludiert, nicht von Gott segnen lassen? Während sich der Staat noch viele Gedanken darüber macht, wie man Verantwortungsgemeinschaften auch rechtlich verbindlich machen kann, hat Kirche – zumal die evangelische – hier die Chance, einen Schritt voraus zu sein und Angebote für polyamor lebende Menschen zu machen. Es liegt also an uns Akteur:innen der evangelischen Kirche(n), Kasualhandlungen für polyamore Menschen zu gestalten. Ich plädiere dafür, diese Chance zu nutzen.

Es wäre ein eigener Beitrag, sich all den nicht-monogamen und vielfältigen Beziehungskonstruktionen in der Bibel zu widmen, deshalb hier nur ein kleiner Hinweis: Weder im Ersten noch im Zweiten Testament gibt es eine Forderung zur Monogamie. Die Thematik ist theologisch, historisch sowie soziokulturell komplex; im sog. Alten Testament finden sich aber bekannterweise Lebensweisen, in denen der Vater (zum Beispiel Abraham) mit mehreren Frauen zusammen war. Dies ist freilich nicht mit der heutzutage gelebten konsensuellen Nicht-Monogamie vergleichbar, sollte aber bei theologischen Debatten nicht außer Acht gelassen werden.

Unser EHG-Mitglied Maja sagte an jenem Abend im Clubraum: "Es ist schön zu wissen, dass ich hier von meinem Leben erzählen kann, was mich gerade bewegt. Deshalb komme ich so gerne!" Das sollten alle Menschen im Gemeindekontext sagen können – egal ob sie klassisch monogam verheiratet sind, konsensuell nicht-monogam leben oder (überzeugte) Singles sind. 

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Dies war der vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie, die Kolleg:in Sonja Thomaier und ich als Möglichkeit einer theologisch-kirchlichen und gesellschaftspolitischen Beschäftigung mit dem Thema konsensuelle Nicht-Monogamie hier veröffentlicht haben.

Folgende Beiträge sind in der Reihe erschienen:

Teil 1: Was ist eigentlich Polyamorie? (Katharina Payk)

Teil 2: "Es ist nicht defizitär, mehr als einen Menschen zu lieben." (Katharina Payk)

Teil 3: Polyamorie - eine familienethische Leerstelle (Sonja Thomaier)

Tel 4: Jenseits der unsichtbaren Rolltreppe (Sonja Thomaier)

Teil 5: Aus dem Bücherregal (Sonja Thomaier)

Teil 6: "Die sind so süß!" Polyamore Menschen im Kirchenkaffee (Katharina Payk)