Es reicht! Über Rassismus und Queerfeindlichkeit in Kirche und Gesellschaft

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Jhenning / Pixabay
Es reicht mit Queerfeindlichkeit in Kirche und Gesellschaft, findet Dr. Kerstin Södeblom.
Über Rassismus und Queerfeindlichkeit in Kirche und Gesellschaft
Es reicht! Über Rassismus und Queerfeindlichkeit in Kirche und Gesellschaft
Wo mensch* hinschaut gibt es Übergriffe auf queere und Schwarze Menschen, People of Color und andere Mitglieder von Minderheiten. Ohne Rücksicht auf Verluste wird diffamiert und draufgehauen. Wo kommt der Hass her? Was ist da bloß los?

Im Januar 2023 fand in Berlin ein Universitätsgottesdienst zum Thema „queere Visionen“ statt (hier mehr dazu).  Aus dem Gottesdienst wurden von rechtsradikalen Aktivist:innen wie Leonard Jäger („Ketzer der Neuzeit“) und Jasmin Neubauer @liebezurbibel – ohne Wissen und Erlaubnis der Veranstalter:innen - Sequenzen gefilmt, aus dem Kontext gerissen und mit hämischen Kommentaren montiert ins Netz gestellt. Der vermeintlich sichere Schutzraum des Gottesdienstes (hier mehr zur Unsicherheit sicherer Orte von meinem Kollegen Rainer Hörmann) wurde verletzt, Gottesdienstteilnehmende wurden ohne ihr Einverständnis gefilmt und zur Hintergrundbühne rechtsradikaler Hetze gemacht.

Überall in Deutschland und weltweit werden queere Personen vor Bars oder im öffentlichen Raum angemacht, angefeindet oder sogar überfallen. Der Trans* Mann Malte C. wurde letztes Jahr auf dem CSD in Münster ermordet, weil er sich schützend vor zwei lesbische Frauen gestellt hat, die zuvor beleidigt wurden. Wo ich hinschaue, Hass und Gewalt gegen Minderheiten, die zum Sündenbock für alles und jedes herhalten müssen.

In Uganda wurden im März 2023 ein verschärftes „Anti-Homosexualitätsgesetz“ verabschiedet, das so genannten „aktiven Homosexuellen“ mit der Todesstrafe oder zumindest mit 20 Jahren Gefängnis droht. Auch in anderen afrikanischen Ländern wie Kenia, Tansania und Ghana steigt die sowieso schon starke Homo- und Transfeindlichkeit weiter an. Begründung: Homosexualität sei mit einer christlichen Lebensführung und christlichen Werten der Länder nicht vereinbar.

Es ist unsicher und gefährlich, als queere Personen oder Mitglied einer anderen Minderheit im öffentlichen Raum sichtbar zu sein, in Deutschland genauso wie weltweit. Das BKA zählte 2021 insgesamt 870 Straftaten wegen „sexueller Orientierung“ – ein Anstieg um 50 Prozent zum Vorjahr. Im Feld „Geschlecht oder sexuelle Identität“, das auch transfeindlichen Hass erfasst, waren es 340 Delikte, ein Plus von 66 Prozent. Letztere Kategorie wurde erst 2020 eingeführt. Und das Innenministerium selbst spricht von einer „hohen Dunkelziffer“ (mehr hier)

Und immer wieder werden so genannte christliche Werte ins Felde geführt, um queere Menschen zu verunglimpfen, zu beleidigen und zu verdammen. Was ist denn bloß los, dass queere Personen selbst im 21. Jahrhundert und trotz aller rechtlichen Errungenschaften zumindest in westlichen und nördlichen Ländern Europas und den USA immer noch Angst vor Hass, Ausgrenzung und Gewalt haben müssen und dass es immer wieder zu Übergriffen bis hin zu Mord kommt?

Und es geht nicht nur queeren Menschen so. Sarah Vecera, engagierte Autorin, Person of Color (PoC) und stellvertretende Leiterin der "Vereinten Evangelischen Mission" (VEM) musste bei einer Lesung in einer Kirche in Leipzig aus ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“ gegen einen rassistischen Übergriff beschützt werden. Sie musste eine weitere Lesung absagen, weil sie bedroht wurde. Mittlerweile denkt sie auf ihrem Insta-Kanal darüber nach, ob sie ihre Arbeit fortführen kann, da sie Angst um Leib und Leben ihrer Familie hat.

Was ist das für ein Wahnsinn und was ist da los, dass eine geschätzte und engagierte Theologin mit Gewalt daran gehindert wird, aus ihrem Buch zu lesen und über Rassismus zu sprechen, den sie jeden Tag selbst erlebt? Was ist da los, dass sie - trotz Solidaritätserklärungen - nicht gegen rassistische Gewalt geschützt wird? Was ist da los, dass queere Personen nicht mehr in eine Bar oder auf einen CSD gehen können ohne Angst haben zu müssen, bedroht oder geschlagen zu werden oder sogar ermordet?

Welche Macht haben minderheitenfeindliche rechtspopulistische und rechtsnationale Gruppen und Einzelpersonen mit rassistischer und queerfeindlicher Hetze in Deutschland und weltweit?
Wer ist da, um Bedrohte zu beschützen?
Wer ist da, um klar zu sagen, dass humanistische und christliche Werte nichts mit Hass und Gewalt zu tun haben? Wer ist da, klar und deutlich zu sagen, dass die biblische Botschaft für Respekt und Achtung aller Menschen steht, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Alter, Behinderung, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung?

Ich bin wütend. Und manchmal könnte ich nur noch schreien. Gleichzeitig verunsichert mich diese Entwicklung - wie viele andere auch. Wir befinden uns mitten in der Karwoche. Die Woche, in der ein gewisser Jesus aus Nazareth vor etwa 2000 Jahren verleumdet wurde. Er war unbequem und anders, er wurde verraten, diffamiert und schließlich ans Kreuz genagelt. Und niemand war da, um ihn zu beschützen. Am Kreuz betete Jesus Worte des 22. Psalms: 

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Auch heute noch greifen einige Gläubige in Bedrängnis auf die alten Psalmworte zurück. Ich zitiere heute einen Ausschnitt aus einem Klagepsalm, den ich vor kurzem geschrieben habe:

 „Lebendige*r Gott*, Ewiges Du,/
verzweifelt und fassungslos ruf ich dir zu:/
Menschen werden bedroht von Unterdrückung, Rassismus und Gewalt./
Das muss auf Erden enden, sonst wird sie nicht mehr alt./
Verantwortung übernehmen, dafür sind ich, du, ihr, wir gemacht./
Kämpft gegen menschenverachtende Ideologien und Taten, nehmt euch davor in acht! /

Aber was red´ ich, dir muss ich das nicht sagen./
Die Wirklichkeit heute, muss ich trotzdem beklagen./
Ratlos und wütend steh ich vor dir./
Wenn´s um Hass und Unrecht geht,
da werd´ ich zum Tier./

Lebendige*r Gott*, beschütze uns vor Hass, Fundamentalismus und Wahn./
Wie Minderheiten behandelt werden, zeigt deutlich: es geht uns alle an./
Voller Sorgen vertrau ich auf dich – mit und ohne Worte und Ton/
Und rufe zu dir: Kyrie eleison!“

Zum Weiterlesen:

Rainer Hörmann, (K)ein sicherer Ort, in: evangelisch.de (29.3.2023)

Philipp Greifenstein, Der „Ketzer der Neuzeit“ und die reale Gefahr für queere Christen, in: Die Eule (23.2.2023)

Getöteter Trans Mann Malte C. Wider die Queerfeindlichkeit, in: taz (5.9.2022)

Sarah Vecera, Wie ist Jesus weiß geworden. Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus, Ostfildern 2022

Bettina Ullrich, Sarah Vecera: Engagiert gegen Alltagsrassismus, in: Ev. Sonntagsblatt (22.2.2022)

Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023

Alexander Eser-Ruperti, „Hassgesetzgebung“. Uganda verabschiedet drastisches Anti-LGBTQ-Gesetz, in: Frankfurter Rundschau (22.3.2023)