…und dann wird's gemütlich?

Matthias Albrecht
Advents- und Weihnachtszeit
…und dann wird's gemütlich?
Beim Versuch, die Adventszeit zu etwas Besonderem zu machen, verlieren sich viele in Stress. Wie wir dieser Tage zu geistlicher Besinnung kommen können, verrät uns Paul Gerhardt in seinem Lied "Wie soll ich dich empfangen".

"… und dann wird's gemütlich!" Kennen Sie die Familie Hoppenstedt? Jedes Jahr amüsieren sich Millionen Menschen über die Sketche des Komikers Loriot, in denen besagte Familie ihr Weihnachtsfest gemeinsam feiert. Das Zitat markiert den Versuch von Mutter und Vater Hoppenstedt, einen minutiösen Zeitplan für ihren Heiligabend zu entwerfen. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Selbst den Zeitpunkt, an dem sich ein Gefühl der Gemütlichkeit einstellen soll, will das Ehepaar präzise festlegen.

Humor funktioniert dann besonders gut, wenn Menschen sich selbst im dem Erzählten wiedererkennen. Wir merken dann, wie merkwürdig, ja teilweise absurd, wir uns bei Lichte betrachtet oft in unserem Leben verhalten. Genau das bringt uns zum Lachen. Auch bei den Geschichten von der Familie Hoppenstedt. Viele versuchen, die Weihnachts- und Adventszeit zur schönsten Zeit des Jahres zu machen und verzetteln sich bei diesen Bestrebungen. Statt der schönsten Zeit des Jahres empfinden viele dann eher die stressigste Zeit des Jahres. Manche Christ:innen mögen nun sagen, dass es nur denen so geht, die sich dem Konsum verschreiben und den eigentlichen Sinn des Festes, Christus, nicht vor Augen haben. Doch vorweihnachtlicher Stress, das geht auch in fromm. Ist der christliche Adventskalender rechtzeitig bestellt? Was tun, wenn er ausverkauft ist? Soll ich die nächsten vier Wochen jeden Morgen zum Frühgebet gehen? Ich bin ja eigentlich keine Frühaufsteherin. Wäre es dann nicht gut, im Advent wenigstens eine tägliche Stille Zeit zumindest am Wochenende zu halten? Und reicht wirklich ein Gottesdienst am Heiligen Abend oder sollte ich Jesus nicht so viel Ehre geben, dass ich auch noch die Christmette um 23:00 Uhr besuche?

Wie wir das Gedenken der Wiederkunft und Geburt Christi angemessen begehen können, beschäftigt Christ:innen schon seit langem. Bereits im 17. Jahrhundert setzte sich Paul Gerhardt in seinem berühmten Adventslied damit auseinander. So fragt er in der ersten Strophe:

Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn ich dir,
o aller Welt Verlangen,
o meiner Seelen Zier?
O Jesu, Jesu, setze
mir selbst die Fackel bei,
damit, was dich ergötze,
mir kund und wissend sei.

Gerhardt weiß sehr genau, dass wir als Menschen schier überfordert sind, selber zu wissen, wie wir auf die Ankunft des Heilandes reagieren sollen. Aus dieser Erkenntnis heraus wendet er sich direkt an den, der keine Grenzen hat. Der Dichter fragt Jesus selbst, wie wir ihn empfangen sollen. Gerhardt bittet Christus, Licht in das Dunkel unserer Gedanken zu bringen. Eine Fackel soll der Heiland uns beisetzen, damit wir in ihrem Lichte, also in dem Licht, das das Licht der Welt gestiftet hat, erkennen können, was ihm wohlgefällig ist. Ein besseres Mittel gegen Weihnachtsstress gibt es nicht. Zur Ruhe kommen, sich auf den konzentrieren, dessen Ankunft wir feiern und ihn in unser Herz sprechen lassen. Wenn wir das tun, dann wird die Besinnlichkeit, die so viele in diesen Tagen teilweise verzweifelt suchen zu einer wahren Besinnung auf Christus. Wer den Advent hierzu nutzen will, den lädt Gerhardts Choral ein, sich selbst und sein Leben im Lichte Jesu zu betrachten.

Was hast du unterlassen
zu meinem Trost und Freud,
als Leib und Seele saßen
in ihrem größten Leid?
Als mir das Reich genommen,
da Fried und Freude lacht,
da bist du, mein Heil, kommen
und hast mich froh gemacht.

Der § 323c des deutschen Strafgesetzbuches regelt, dass "[w]er bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet […] bestraft" wird. Allerdings nur dann, wenn die Hilfe "den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist". Der Gesetzestext spiegelt einen Konsens unserer Gesellschaft wieder, der weit über den Rahmen des Strafrechts hinausgeht: Wer helfen kann, der sollte es tun, außer es ist unzumutbar. Keine:r muss in ein brennendes Haus, das jede Sekunde einstürzen wird, rennen, um die sich dort Befindenden zu retten. Wird es doch getan, ist es eine Held:innentat. Solche Held:innen werden gefeiert, verehrt, idealisiert. Darunter liegt, dass wir schier nicht aus dem Staunen darüber herauskommen können, dass eine:r dazu bereit ist, das eigene Leben für andere aufs Spiel zu setzen. Die Sehnsucht nach Held:innen, die sich selbst zurückstellen und alles geben, um uns zu retten, ist groß. Das zeigt sich nicht zuletzt in den vielen Geschichten über Superheld:innen. Doch während Superheld:innen nur in der Fantasie existieren, sind Jesus Christus und sein Wirken Realität. Er ist der wahre Held, der nichts unterlässt, um uns zu helfen. Dabei handelt in ihm Gott selbst . Wenn wir in Gefahr, Not und Leid sind, sei es innerlich, äußerlich oder beides, dann steht uns Christus zur Seite. Um das tun zu können, nimmt er alles aufs sich, sogar den Tod am Kreuz.

Drinnen haben sie Lobpreis gefeiert. Ich stand vor der Kirchentür. Durfte nicht mehr rein. Nicht mehr an den Ort, an dem Fried und Freude lachen. Der Ort, der mir so viel bedeutet. So geht es vielen Christ:innen, die von ihrer Gemeinde ausgeschlossen wurden, weil sie gleichgeschlechtlich lieben oder weil ihr Geschlecht nicht zu dem Geschlecht passt, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen worden ist. Auch wenn es nicht jede:r von ihnen sofort spüren konnte, so stand doch allen in dieser Situation ihr starker Held zur Seite. Jesus Christus. Er hält die Hand, trocknet die Tränen, tröstet die Verzweiflung– derer denen versucht wurde, das Reich zu nehmen. Und er tat noch viel mehr. Nichts hat er unterlassen, um diesen Geschwistern eine neue geistliche Heimat zu schaffen. So können heute viele sagen: Ich stehe in meiner neuen Gemeinde, mache wieder Lobpreis. Neben mir mein:e Partner:in. Wir sind ein Paar, das alle kennen, alle mögen, alle willkommen heißen. Oder: In dieser Gemeinde haben sie nicht den Mann, den sie sehen weggeschickt, sondern die Frau, als die Gott mich geschaffen hat, getauft. Ich danke dir Jesus. Kann kaum fassen, was du für mich getan hast. Du hast mich froh gemacht.

Ich lag in schweren Banden,
du kommst und machst mich los;
ich stand in Spott und Schanden,
du kommst und machst mich groß
und hebst mich hoch zu Ehren
und schenkst mir großes Gut,
das sich nicht lässt verzehren,
wie irdisch Reichtum tut.

Tiefgreifende Scham und Schuldgefühle erleben viele Menschen, die Partner:innen des gleichen Geschlechts lieben. Auch Personen, die Diskriminierung wegen ihres Geschlechts erleben, geht es so. Sich klein machen, unsichtbar, bücken, verstecken, den Blicken entziehen wollen, nicht glauben zu können, dass es jemals wieder eine Zeit geben wird, wo mensch ins Licht der Öffentlichkeit treten will, das kennen viele nur zu gut. Diese inneren Banden rühren nicht von ungefähr. Wer von Geburt an Hohn und Spott über das, was er ist, ausgesetzt wird, der verinnerlicht diese schlimmen Erfahrungen. Sie werden ungewollt ein Teil des Selbst. Die Erkenntnis, wer du bist, wird davon unheilvoll bestimmt. Die guten Gaben der Sexualität und des Geschlechts drohen nur noch als Schande begriffen zu werden, statt dass sie dankbar angenommen werden können. Viele konnten bereits erleben, dass Jesus sie aus diesem inneren Gefängnis befreit. Der Heiland dieser Welt richtet die, deren Rücken gekrümmt wurde, wieder auf. Christus macht uns groß, führt uns zu seinen Ehren und beschenkt uns reich. Das wunderbare an seinen Geschenken ist, dass wir sie niemals mehr verlieren können. Christus ist der Herr der Ewigkeit. Wenn wir auf ihn schauen, auf ihn vertrauen, dann kann uns Heil und Würde nie mehr genommen werden. Ich wünsche uns allen, dass wir uns das immer wieder bewusst machen. Auch in diesem Advent, wo uns neben Diskriminierung und Ausgrenzung noch so viel anderes belastet, sei es eine neue Virusvariante oder Kriegsgebaren an der ukrainisch-russischen Grenze. Lassen Sie uns, uns davon nicht verzehren, sondern auf Paul Gerhardts Worte hören:

Das schreib dir in dein Herze,
du hochbetrübtes Heer,
bei denen Gram und Schmerze
sich häuft je mehr und mehr;
seid unverzagt, ihr habet
die Hilfe vor der Tür;
der eure Herzen labet
und tröstet, steht allhier.

AMEN.