Kirchenbank und Küchentisch

Kirchenbank und Küchentisch
Katharina Payk
Predigt vom Küchentisch aus
Was uns Quarantäne-Gottesdienste lehren können, kommentiert Katharina Payk.

Viele Kirchengemeinden bieten während der Corona-Quarantäne auf den verschiedensten Plattformen Online-Gottesdienste an (evangelisch.de berichtete). Dies bedeutet eine Menge Arbeit für die Veranstaltenden und Mitwirkenden, da die Formate angeglichen, Tools und Apps eingerichtet, Videos und Audios aufgenommen werden müssen und alles telefonisch oder schriftlich organisiert werden muss.

Viele Pfarrer_innen fühlen sich aber voll in ihrem Element. Sie spüren, wie sehr es Kirche gerade jetzt braucht, wie sie als Seelsorgende, Hoffnung und Trost Gebende und Zeremonienmeister_innen gefragt sind. Für viele Gemeindemitglieder jedoch – manche ältere Menschen etwa – ist ein online Gottesdienst schwer zugänglich. Es braucht Hilfe von anderen Gemeindemitgliedern, damit sie sich in Youtube, Zoom oder irgendwelchen anderen Apps zurechtfinden. Aber das Ganze hat auch eine positive Seite: Seitdem Kirche so viel im Netz und „von zu Hause aus“ zugänglich ist, nehmen auch andere Menschen als sonst die Angebote wahr. Eine Freundin postete gestern auf Facebook, sie nehme seit der Corona-Quarantäne sonntags an drei Gottesdiensten, statt wie sonst an einem, teil. Andere Menschen wagen sich überhaupt einmal (wieder) in einen Gottesdienst. Und das ist etwas ­ – in dieser schwierigen Zeit – sehr Erfreuliches. Es ist eine Chance für die Kirche, sich nun auch denen, die oft als kirchenfern bezeichnet werden oder den Aussteiger_innen als offener Ort der Gemeinschaft zu zeigen. Und vice versa ist es eine Chance für Kirchenfrustrierte, mal wieder ganz unverbindlich und vor allem anonym in Gottesdienste und andere kirchliche Angebote zu schnuppern. Dies betrifft auch viele queere Menschen, die durch schlechte bis traumatische Erfahrungen aus der Kirche ausgetreten sind oder ihr zumindest fernbleiben, weil sie ihren Vertreter_innen und oder ihrer Lehre nicht mehr vertrauen.

Vielleicht schauen manche LGBTIQs mal wieder rein. In meiner Gemeinde tun das zumindest gerade ein paar. Wir feiern derzeit Gottesdienst über den Messengerdienst Signal – damit alle mitmachen können. Während ein Videostream nämlich die Gefahr birgt, dass man eher „konsumiert“, den Gottesdienst nebenher laufen lässt oder sich unbeteiligt fühlt, ermöglicht es ein Chat-Gottesdienst, dass die Teilnehmer_innen auch etwas beitragen können und der Ablauf dynamischer und interaktiver wird.

Am vorletzten Sonntag durfte ich die Predigt halten, diesmal ganz ungewohnt von meinem Küchentisch aus. Anhand eines Bibeltextes sprach ich über queere und feministische Perspektiven auf die derzeitige Ausnahmesituation. Ich wagte es, im Vorfeld einige kirchenkritische queere Menschen einzuladen, in unsere Signal-Gruppe zu kommen und teilzunehmen. „Ihr könnt mitsingen und mitbeten, Fürbitten und Amen posten – oder einfach nur zuhören und mitlesen. Ganz wie ihr wollt!“, war meine Ansage im Vorfeld. Und tatsächlich feierten viele Menschen mit, viel mehr als sonst. Schwule, lesbische, bisexuelle, trans Menschen. Junge und ältere Menschen, Menschen mit Kindern, Kolleg_innen, Freund_innen, Mitbewohner_innen, Familie. Einige von ihnen waren auch vergangenen Sonntag wieder dabei.

Das ein oder andere Gespräch entwickelte sich nach dem Gottesdienst, auch mit meinen queeren Geschwistern. Die Rückmeldungen gerade auch der „kirchenfernen“ Bekannten waren umwerfend. Eine Person rief mich tief berührt an und sagte, es sei für sie „heilsam“ gewesen, dass sie als trans Mensch ganz selbstverständlich und explizit in der Liturgie vorkam, dass sie nicht gedacht hätte, dass dies in einem Gottesdienst möglich sei. Das zeigte mir wieder, um welche basalen Bedürfnisse es oft noch geht: genannt werden, anstatt mitgemeint zu werden oder sogar: anstatt nicht vorzukommen. Und das unverbindliche Reinschnuppern wurde dadurch zu einer schönen Erfahrung.

Natürlich ersetzt so ein Online-Gottesdienst nicht die reale Versammlung in der Kirche, der Kapelle oder dem Gemeindehaus. Vieles Menschliche bleibt auf der Strecke, denn die Körper im Raum schaffen Atmosphäre, Geborgenheit und Gemeinschaft. Aber die Körper im Raum beschäftigen mich aus queerer Perspektive schon lange auch aus einem anderen Grund. Wie offen und zugänglich ein Gottesdienst ist, entscheidet unter anderem auch die Konstitution des Raumes Kirche: Gibt es Kirchenbänke oder einen Sesselkreis, muss ich zum Beten aufstehen, muss ich für eine Fürbitte oder das Abendmahl nach vorne gehen und etwas tun, muss oder darf ich beim Friedensgruß andere ansprechen, berühren?

Was für die einen unpersönlich wirkt, bietet den anderen die nötige Anonymität, um an einem Gottesdienst teilnehmen zu können. So etwa die Kirchenbank. Ein Sesselkreis kann ein Gefühl von Miteinander herstellen: Alle können sich anschauen. Für manche aber kann er unangenehm, ja grausam sein, da sie den Blicken der anderen ständig ausgesetzt sind. Und das betrifft nicht selten queere Menschen, Menschen, die sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen oder psychische Erkrankungen haben, Menschen mit Be_hinderungen, dicke Menschen, trans Menschen usw.

Seitdem wir in meiner Gemeinde die Fürbitten im Chat machen, beteiligen sich sehr viele Gottesdienstteilnehmer_innen. Denn ein Post im Messenger ist einfacher, als in der Kapelle vom Sessel aufzustehen, nach vorne zu gehen und vor der Gemeinde laut zu sprechen. Wir werden solche Dinge für unsere Gottesdienste sicherlich zukünftig berücksichtigen. Vielleicht macht ihr ähnliche Erfahrungen in euren virtuellen Gottesdiensten?

Diese Zeit ist für uns alle nicht einfach und für manche sehr schlimm. Auf vielen Ebenen können wir aber auch lernen. Über die Erreichbarkeit von Gottesdiensten und über die Erreichbarkeit von queeren Menschen zum Beispiel.