Queer in Nepal

Queer in Nepal
Fünf Wochen war ich in Nepal. Die Gastfreundlichkeit der Menschen und die Schönheit des Landes haben mich verzaubert. Und ich war erstaunt, wie fortschrittlich Nepal hinsichtlich der gesetzlichen Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi*, Trans*, Inter* und Queers (LSBTIQ) ist.

Bist du verheiratet? Wie viele Kinder hast du? Diese beiden Fragen waren allgegenwärtig, als ich im Mai und Juni 2019 durch Nepal gereist bin. Gewundert hat mich das nicht. Traditionelle Familienbilder und konservative Familienwerte in der mehrheitlich hinduistisch geprägten Bevölkerung hatte ich erwartet. Was ich nicht erwartet hatte: Nepal hat eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung hinsichtlich der Gleichstellung von LSBTIQ.

Die Rechte von LSBTIQ in Nepal gehören zu den am weitesten fortgeschrittenen in Asien. Die nepalesische Verfassung erkennt ihre Rechte als Grundrechte an. Die nepalesische Regierung hat nach dem Ende der Monarchie 2007 Homosexualität im ganzen Land legalisiert und führte mehrere neue Gesetze ein. Diese neuen Gesetze enthalten unter anderem verschiedene Schutzmaßnahmen gegenüber sexuellen Minderheiten und Menschen mit einer non-binären Geschlechtsidentität. 

Die von der verfassunggebenden Versammlung am 16. September 2015 gebilligte nepalesische Verfassung enthält mehrere Bestimmungen zu den Rechten von LSBTIQ-Personen. Dazu gehört ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Ausrichtung durch den Staat oder durch private Parteien. Sie beinhalten außerdem die Berechtigung zu besonderen Schutzbestimmungen, sowie das Recht zur Geschlechtsumwandlung. Auch das Recht auf Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen für geschlechtsspezifische und sexuelle Minderheiten ist vorgesehen.
Aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofs von Nepal Ende 2007 hat die Regierung auch die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe geprüft. Diese ist bisher aber nicht anerkannt worden. 

Trotz vieler unterstützender Gesetze und Bestimmungen werden LSBTIQ-Menschen in Nepal oftmals von ihren Familien ausgegrenzt und gesellschaftlich diskriminiert. Gerade aufgrund des Einflusses der traditionell ausgerichteten verschiedenen Religionsgemeinschaften besteht ein erheblicher Druck, sich anzupassen, einen Partner des anderen Geschlechts zu heiraten und Kinder zu bekommen. Blue Diamond, eine nepalesische LSBTIQ- Initiative bemüht sich in Kathmandu und anderen nepalesischen Städten Betroffene zu unterstützen. 

Kyle Knight ist ein Mitarbeiter von Human Rights Watch, der zur Situation von LSBTIQ in Nepal forscht. Er hat dazu in einem Interview Folgendes gesagt (ich habe einen Ausschnitt des Interviews übersetzt und bearbeitet).

„Der Weg zur Akzeptanz einer Gruppe, die früher zuweilen offen als „sozialer Giftstoff“ verspottet wurde, war weder linear noch vorhersehbar und erforderte eine einzigartige Kombination aus Mut und politischer Weisheit. Die Beschäftigung von LSBTIQ-Aktivist*innen mit den Gesetzestexten war entscheidend. Allerdings war das in einer Gesellschaft mit einem dichten patriarchalischen Rechtssystem keine leichte Aufgabe. 
Nepal wurde nie kolonialisiert, und sein zentrales Rechtssystem ist ein einzigartiger, umfassender Kodex, der Zivil- und Strafrecht miteinander verbindet. Ein Drittel des 700-seitigen Originalentwurfs von 1854 befasste sich mit dem Austausch von Nahrung und Sex zwischen Kasten. Eine umfassende Überarbeitung in den 1960er Jahren führte eine Klausel ein, die ‚unnatürlichen Sex‘ verboten hat (…).

Diese Gesetzgebung blieb bis 2007 bestehen. Um die Jahrtausendwende trat Nepal in die brutalste Phase seines bis 2007 währenden Bürgerkriegs ein. Häufige Ausgangssperren in städtischen Gebieten und eine verstärkte Kontrolle des öffentlichen Raums trugen zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber LSBTIQ-Menschen bei. Betroffene und ihre Unterstützer nutzten eine im Bürgerkrieg eingerichtete Außenstelle der Vereinigten Staaten, um ihre Beschwerden vorzubringen. Der Erfolg war unterschiedlich.

Aktivist*innen für LSBTIQ-Rechte in Nepal wandten für ihre Arbeit verschiedene Strategien an.
Erstens bildeten sie früh Allianzen - Frauenrechtsgruppen waren in den Anfängen der Bewegung klare Verbündete. Dieses Unterstützungsnetzwerk wurde erweitert, um auch Mitglieder von politischen Parteien einzubeziehen.
Zweitens sind LSBTIQ-Leute über die Bildung von Parteien hinaus selbst in die Politik eingetreten.  Dies spiegelte sich am deutlichsten im Aufstieg von Sunil Babu Pant wider. Er wurde Im Jahr 2008 Asiens erster offen schwuler gewählter Beamter auf Bundesebene. Aber es war nicht nur Sunil Babu Pant. Hunderte von Lesben, Schwulen, Bi* und Trans* Leuten, von denen viele mit Menschenrechtsgruppen in Verbindung stehen, haben sich in den letzten Jahren für Wahlen und Regierungsämter beworben und den politischen Mainstream-Raum beansprucht.
Drittens verbreiteten nepalesische LSBTIQ-Aktivist*innen ihre Botschaft in zwei sehr unterschiedlichen Klangvarianten: Sie nutzten die Yogyakarta-Prinzipien, um internationale Menschenrechte für ihre Anliegen einzufordern. Es sind Richtlinien, die internationale Menschenrechte in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität auslegen. Gleichzeitig nutzten sie bei der UNO internationale Mechanismen, die Jahre zuvor zum Schutz von Menschenrechten für Minderheiten entstanden waren.“

Und was bleibt? Wer die Entwicklungen im Nachbarland Buthan verfolgt hat, kann ganz gut einschätzen, wie weit verbreitet Homo- und Transfeindlichkeit in den Anreinerstaaten des Himalayagebirges noch ist. In Buthan wurde Homosexualität erst im Mai 2019 vom Unterhaus des Parlaments entkriminalisiert. Das Oberhaus, der Nationalrat, muss das Gesetz allerdings noch ratizfizieren. Dagegen ist Nepal im Hinblick auf Gleichstellung von LSBTIQ schon weit gekommen. Aber es gibt im Hinblick auf Aufklärung, Arbeitsschutz und gesellschaftliche Gleichberechtigung auch weiterhin viel zu tun.

 

Zum Weiterlesen:
Kyle Knight: How did Nepal Become a Global LGBT Rights Beacon? (08.11.2017)
Danny Coyle, Where Will All The Young Queers Go? (23.07.2017), in: Himal Southasian