Was Joseph und Billy Elliot gemeinsam haben

Was Joseph und Billy Elliot gemeinsam haben
Wie lässt sich die Hochzeit eines homosexuellen Paares feiern? Wie reagieren auf den Wunsch eines Trans*Menschen nach einem Segnungsritual für die Geschlechtsangleichung? Wie im Konfirmandenunterricht über Sexualitäten ins Gespräch kommen? Ein Buch will Rat und Ideen geben.

"Sexualität und Kirche" lautet der Titel des Ende Januar erschienenen Buches etwas plakativ. Präzisier ist da schon die Unterzeile: "Gottesdienst- und Andachtspraxis zu Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*sexualität". Anliegen von Gabriele Meister ist es, über Sprachlosigkeit in Gemeinden und Kirchen hinwegzuhelfen, die entstehen können, wenn es um Themen wie Hochzeit / Segnung eines schwulen Paares oder die Aufnahme eines intersexuellen Kindes in den Kindergarten geht. Dabei wählt die studierte Theologin und freie Journalistin einen Zugang, der es, wie sie schreibt, auch "Durchschnittsgemeinden" ermöglichen soll, diese Themen zu behandeln. Statt Spezialistentum will sie "auf grundlegende, einfache Art Anregung und Hilfe bieten". Dafür hat sie viel Material zusammengetragen: Predigttexte von hetero- wie homosexuellen Pfarrerinnen und Pfarrern, dazu Vorschläge für Gebete, Lieder, Bibelstellen.

Ein Anfangskapitel lädt ein, mit Gemeinden ins Gespräch zu kommen, die bislang wenig oder gar keine Berührung mit Trans*- oder Homosexuellen hatten, an deren Tür also nicht einmal im Jahr eine bunte CSD-Parade vorbeirauscht. Hier findet sich beispielsweise eine Predigt von Holger Pyka, in der er die (Film-)Geschichte von Billy Elliot, dem Jungen aus dem britischen Arbeitermilieu, der Tänzer werden will, mit der biblischen Erzählung von Joseph zusammenbringt. Joseph ist wie Billy Außenseiter, drangsaliert von seinen Brüdern, aber von Gott wohlwollend betrachtet. "Wer anders ist, hat in der Bibel gute Chancen", heißt es in der Predigt, "aber er hat es nicht leicht in der Welt, die ganz eigene Wunden für die bereithält, die anders sind".

Holger Pyka fragt aber nicht nur, wie viel Platz solchen Menschen in der Gemeinde eingeräumt wird, sondern auch, ob und wie die Gemeindemitglieder sich selbst ihr eigenes Anderssein, die eigenen "Träume vom Tanzen" eingestehen.

Unter den Predigten, die sich an eine Regenbogengemeinde wenden, thematisiert etwa "kreuz & queer"-Bloggerin Kerstin Söderblom offen die eigenen Ängste und was ihr Mut gibt, die Vision einer gerechten und solidarischen Welt nicht aufzugeben.

Bewegend und engagiert auch die Predigt der transidenten Pfarrerin Elke Spörkel, in der sie, mit Verweis auf Jakobs Kampf am Fluss Jabbok, das Thema Transidentität auf allgemeine Weise der Gemeinde vermittelt. "Mit der Erfahrung des Segens ist für Jakob [nach einer langen Nacht des Kampfes] die Hoffnung auf ein neues, auf ein verändertes Leben erlebbar."

Aber auch hier bleiben die Wunden der Welt nicht erspart. Die transidente Pfarrerin wird, so erfährt man in einem Interview, durch anhaltendes Mobbing gezwungen, ihre Gemeinde zu verlassen und eine Stelle als Krankenhausseelsorgerin zu übernehmen.

Generell sind die Interviews, die Gabriele Meister mit "Betroffenen", mit Verantwortlichen, mit Eltern geführt hat, eine wichtige Ergänzung zu Predigten und Gebetstexten. Sie "erden" mit den Schilderungen von Leid ebenso wie Zuversicht und gutem Ausgang die geistlichen Impulse. Es ist eben nicht alles gut, selbst wenn vieles auf einem guten Weg ist.

Wichtig erscheint mir, dass mit Gabriele Meisters Buch neue Wege und offenere Formen des Sprechens aufgezeigt werden, idealerweise kein Sprechen über-, sondern miteinander. Mit dem großen Bogen, der über den sehr verschiedenen Themen und Menschen aufgespannt wird, hat sich "Sexualität und Kirche" sehr viel auf sehr knappem Platz vorgenommen, ist aber ein guter Einstieg für jene, die sich Ideen und Anregungen für eine Segnung, eine Andacht, für die Behandlung von Homo-, Trans*sexualität in der Gemeinde holen wollen. Es ist Ratgeber und Materialsammlung. Das Buch ist aber auch ein gutes Lesebuch für alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen, die sich einfinden wollen, in das was ist und wie es sein könnte. So gesehen ist es auch ein Buch, das Mut macht, dass sich etwas ändert, etwas geändert werden kann - mit Gottes Segen!

Buchinfo: Gabriele Meister - Sexualität und Kirche. Gottesdienst- und Andachtspraxis zu Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*sexualität, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 174 Seiten, 20 ?Euro. (Das Buch ist auch als e-book erhältlich.)