Die Rauhnächte sind derzeit en vogue. Die „besondere“ Zeit zwischen den Jahren, die zwölf Nächte zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar, die irgendwie spirituell besonders aufgeladen zu sein scheinen. Als „Brauchtum“ lässt sich das touristisch vermarkten und auf privater Ebene als Achtsamkeitsübung realisieren.
Ein Ritual aus der Ratgeber-Literatur kommt dem Wunsch nach effizienter Spiritualität besonders entgegen. Man schreibt 13 Wünsche auf einzelne Zettel, faltet sie und gibt sie in eine Schale. Jeden Tag zieht man einen Zettel und verbrennt diesen ungeöffnet, zwölf Mal, bis am Ende ein Zettel übrig bleibt. Den öffnet man - um den darauf notierten Wunsch muss man sich dann im neuen Jahr selbst kümmern, während die anderen vom lieben Gott, den Göttern oder irgendwelchen Heinzelmännchen übernommen werden. Das nennt man wohl Reduktion von Komplexität.
Dass es so was gibt, hat sich gerade jetzt erwiesen: Das ganze Jahr war ein Thema, die Sichtbarkeit von Lesben in der Homosexuellen-Community zu stärken. Frau wollte nicht länger bei der „Schwulenparade“ lediglich mitgemeint sein. Konkreter war es an einem Streit um ein Mehrgenerationenhaus in Berlin zu sehen, wo die lesbische Initiative im Verfahren um die Vergabe mehr als unfreundlich von der Schwulenberatung ausgebotet wurde. Rechtzeitig zum Jahresende wurde das Thema nun aber endgültig abgeräumt, da Schlagersängerin Kerstin Ott (mit einer Frau verheiratet) im Duett mit Schlagersängerin Helene Fischer (jüngst von Florian Silbereisen getrennt und nun mit einem anderen Mann zusammen) das Lied „Regenbogenfarben“ singt. In der Weihnachtssendung von Helene Fischer geadelt zu werden ... mehr lesbische Sichtbarkeit geht ja wohl nicht.
Frommer Wunsch wird es allerdings bleiben, dass sich in der katholischen Kirche jemals noch etwas hinsichtlich der Würdigung gleichgeschlechtlicher Ehen und Partnerschaften tut. Unmittelbar vor Weihnachten erinnerte die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V. nochmals an eine Postkarten-Aktion (Foto), mit der ein Aufruf des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode vom Anfang dieses Jahrs unterstützt werden sollte, auch in der katholischen Kirche über die Segnung lesbischer und schwuler Paare nachzudenken. „Meinen Segen habt ihr!“ lautet die Aufmunterung, die von Besucherinnen und Besuchern des Katholikentages unterschrieben wurde. Je 100 Postkarten wurden an die 27 Diözesanbischöfe in Deutschland verschickt. Werden sie gelesen oder unbemerkt auf dem Stapel "Unerledigtes" landen?
In der evangelischen Kirche ist es hinsichtlich der Segnung / Trauung homosexueller Paare besser bestellt. Dass auch hier noch was geht, zeigt ein Blick auf den grün-gelb-orangefarbenen Flickenteppich und die Liste der evangelisch.de-Redaktion.
Aber es ist nur ein Wunsch unter vielen. 13 Zettel würden wahrscheinlich gar nicht ausreichen, möchte man auch nur annähernd dem gerecht werden, was es zu tun gilt, wo sich etwas ändern muss: In Berlin wächst die Zahl der Straftaten gegen trans-, intersexuelle Menschen, Schwule und Lesben. Die Hauptstadt sei als Beispiel genannt, weil hier - im Gegensatz zu anderen Bundesländern - trans- und homophobe Straftaten als solche erfasst werden.
Aber auch international: Human Rights Watch veröffentlichte Anfang Dezember eine Studie über die schädlichen Auswirkungen des sogenannten Gesetzes gegen „Homo-Poropaganda“ in Russland. Ein Bericht der OSZE bestätigt die brutale Verfolgung von LGBTI in Tschetschenien. In Tansania wurde öffentlichkeitswirksam und leider sehr real zur Hetzjagd auf Homosexuelle aufgerufen. Im Irak, so die Einschätzung der Bundesregierung, werden LGBT immer noch von konfessionellen Milizen verfolgt und erhalten wenig Schutz durch den Staat.
Aber auch jenseits vom Versuch, weltweit gegen solch unmittelbare Gewalt gegen Homo-, Bi- und Transsexuelle anzugehen, muss sich die Community selbst Fragen von erstarkendem Nationalismus, Rassismus, Kolonialismus, Trans- und Frauenfeindlichkeit, ganz generell der Frage nach dem Umgang untereinander stellen. Dass solche Debatten in einem teilweise inquisitorischen Ton geführt werden, mag abschrecken, macht sie aber nicht obsolet. Und dann, gern verdrängt im Bild der heirats- und feierseligen Welt von Schwulen und Lesben: Armut bzw. die Ungleichverteilung von Chancen und Vermögen in unserer Gesellschaft wie in unserer Community.
Nur wenige dieser Themen werden sich von selbst erledigen. Sie werden sich nicht in Rauch auflösen, auch wenn der Wunsch nach Veränderung auf einem Zettel an höhere Mächte - oder an Helene Fischer - übergeben wird. Doch jenseits von allgemeinen, politischen Wünschen gibt es natürlich immer den Wunsch nach persönlichem Glück: in Frieden leben zu können, Freundinnen und Freunde zu finden, gesund und sicher zu sein, zu lieben und geliebt zu werden. All diese Wünsche werden sich nicht von alleine realisieren, mitunter ist auch ein ganz schönes Stück Arbeit nötig (vorallem in der Liebe!). Umso schöner und tröstlicher, wenn man weiß, dass auf unserem menschlichen Bemühen - trotz allem oder gerade deswegen - ein Segen liegt.