Aufgehende Saat

Aufgehende Saat
Festgottesdienst "40 Jahre HuK"
Foto: evangelisch.de/Markus Bechtold
Pfarrer Nulf Schade-James predigt während des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2017 im Festgottesdienst "40 Jahre HuK" in der Pfingstkirche in Berlin-Frierdrichshain.
Auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin feierte die Gruppe "Homosexuelle und Kirche" (HuK) ihr 40-jähriges Bestehen. Allen Grund zur Freude. Wenige Wochen vorher wurde ich angefragt, ob ich die Predigt im Festgottesdienst halten könnte. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Gott schenke uns ein Herz für ihr Wort und ein Wort für unsere Herzen. Amen. Ich lese aus dem Markusevangelium Kapitel 4, die Verse 26-29.

Jesus sprach: "Die Gottesherrschaft ist so, wie wenn eine Person Samen auf die Erde streut, nachts schläft und tagsüber aufsteht, und der Same geht auf und wächst – die Person weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst einen grünen Halm, dann eine Ähre, dann eine Ähre voller Korn. Sobald die Frucht ausgereift ist, legt, wer gesät hat, die Sichel an, denn die Ernte ist reif."

Liebe Schwestern und Brüder, wie ich mich freue, wie ich fröhlich bin, und manchmal kann ich es  noch gar nicht glauben: 40 Jahre "Homosexuelle und Kirche". Und genauso wie ich mich freue, sollt auch ihr euch freuen! Danke, dass ihr durchgehalten habt, dass ihr nicht aus Verzweiflung der Kirche den Rücken zugedreht habt! Danke, dass ihr der Liebe Gottes getraut habt! Danke, dass ihr die Exoten unter der LGBT-Gemeinschaft seid, ihr Betschwestern, wie wir manchmal despektierlich genannt wurden.

40 Jahre HuK, keine Versicherung, sondern eher eine Verunsicherung. Verunsichert all jene, die sich nicht vorstellen konnten, dass Frauen die Frauen lieben und Männer die Männer lieben von GOTT geliebt sind. Verunsichert eine Kirche, die sich nicht vorstellen konnte, wieviel Segen auf uns liegt.

Wie schade, dass manche bis heute nicht bemerken, fühlen, sehen, spüren wie wir Lesben und Schwule mitten drin sind in der Geschichte Gottes. Was wäre unsere Kirche so arm ohne die vielen lesbischen und schwulen Schwestern und Brüder. Und das nicht erst seit 40 Jahren. Aber damals, vor 40 Jahren, hier in Berlin auf dem Kirchentag, ging ein Sämann hinaus um zu säen.

Ich stelle ihn mir vor, diesen Menschen und frage mich, welche Kraft hat ihn wohl geführt, welcher Geist ihn wohl beseelt, dass er solchen Mut aufbrachte. In seiner Hand satt Samenkörner ein Schild auf dem mit deutlich lesebaren Buchstaben steht: Alle Homosexuellen treffen sich HALLE 23, darunter etwas kleiner: am Stand der Christen für den Sozialismus.

1977, ein Schild auf dem HOMOSEXALITÄT steht. Meine Freundin Judith war damals mit dabei und einer der Ersten, der dem Sämann magnetisch gefolgt ist. Er ließ sogar seine Gemeindegruppe unter einem Vorwand zurück und ging zur Halle 23 auf dem Markt der Möglichkeiten. Und er war nicht allein. Das Schild war magnetisch. "Ich konnte gar nicht mehr den Blick vom unaussprechlichen Wort lassen", sagte er später zu mir.

Genauso erging es mir zwei Jahr später auf dem Kirchentag in Nürnberg. Magnetisch angezogen, überall wo das Wort "schwul" oder "homosexuell" stand. Die Saat ging auf. Was damals in Berlin auf dem Kirchentag als Samenkorn gepflanzt wurde, brachte viel Frucht.

In dem Buch "Aufgehende Saat" das in diesen Tagen von der HuK veröffentlicht wurde, schreibt einer der Gründungsväter: "Ich glaube, dass man erst in ein paar Jahren so richtig beurteilen kann, was wir damals in der Kirche in Bewegung gebracht haben. Jedenfalls beschäftigen sich seit der Zeit Kirchenleitungen, Akademien, kirchliche Verlege und so weiter endlich mit dem bisher ziemlich totgeschwiegenen Thema 'Homosexuelle Christen'." (Zitat Heinz Brink)

Der Visionär von damals sollte Recht behalten. Die Frucht ging auf. Genauso, wie er es vorausgesagt hat. Im Gleichnis, von dem uns Jesus erzählt, hört sich das alles ganz anders an. Da ist nicht vom Kampf die Rede. Alles ist sehr schön.

Da ist nur der Mensch mit seinem Samen, der Erde, seinem Tagesablauf und der Ernte. Arbeit und Mühe mit Säen und Ernten, gutes Wetter oder Naturkatastrophen, Gedanken und Sorgen spielen keine Rolle. Da wird nichts von Widerständen und Entlassungen erzählt, nichts vom täglichen Kampf um Anerkennung, nichts von Diskriminierungen und Spott.

Alles andere, die Umwelt, die Menschen, Beziehungen kommen nicht vor. Selbst von Gott und seinem Segen ist nicht die Rede! Die Gottesherrschaft kommt von allein. Wir können nichts tun, außer säen, nachts schlafen und tagsüber aufstehen, auf jeden Fall feiern und dabei dem Wachsen zusehen und zum Schluss ernten.

Der Rest geschieht "automatisch", wie es im griechischen Text heißt, von allein. So ist das eben. Ein Wunder Gottes. Das klingt doch super. Damit könnte ich mich eigentlich zufrieden geben. Kann ich aber nicht!  Stattdessen bohrt es in mir: Ist das wirklich alles? Kann ich wirklich nichts tun? Sollte ich nicht erinnern und mahnen, mich darüber empören, dass in Tschetschenien Konzentrationslager für Schwule eröffnet wurden, dass dort und  anderswo auf der Welt Schwule Männer gefoltert und gemordet werden? Dass die sogenannten christlichen Volksparteien sich noch immer gegen die Homoehe stellen, obwohl 83 Prozent unseres Volkes dafür ist. Soll ich wirklich unerwähnt lassen, dass hier in Berlin fast täglich Schwule geschlagen, bespuckt, ja sogar ermordet werden. Jüngstes Opfer ist Stefan Unterweger  - möge die Liebe Gottes in jetzt umhüllen und er Frieden finden in ihrem  Licht.

Ist das nicht ein bisschen einfach? Ich warte mit allen Christinnen und Christen seit mehr als 2000 Jahren auf Gottes Reich - und - was passiert? Worauf warten wir eigentlich? Worauf wartet Gott? So kann Jesus das doch nicht nur gemeint haben: Abwarten, warten und die Hände in den Schoß legen. Nicht ganz jedenfalls. Ein Sämann geht zu sehen. und Jesus hat schließlich auch gesät, mit seinem Leben das für uns Christinnen und Christen zum Beispiel wurde.

Jesus war für die Menschen da. Er nahm sich Zeit, bei ihnen zu sein, er hat ihnen zugehört, er hat mit ihnen geredet, sie begleitet, geheilt, getröstet, aber vor allem Jesus hat die Menschen geliebt. Frauen, Kinder, Geächtete, Betrüger Jesus war nie untätig In seinem Handeln erkannten die Menschen damals, erkennen wir heute Gottes Reich. In der Liebe, der Zuwendung und Achtung, in vielem Unsichtbaren, das wir mehr spüren als begreifen. Und das kann ich auch, können wir auch! Jede, jeder an ihrem, an seinem Ort. Mit den eigenen Gaben und Kräften. Und mit Gottes Hilfe. Also wer jetzt denkt, die Arbeit ist getan, wir haben ja gesät, jetzt warten ab, trinken Tee oder ein Bier und schauen was da wächst, wer so denkt wird enttäuscht. Denn der Same muss in die Erde, jedes Jahr immer wieder aufs Neue, solange bis das Reich Gottes sich erfüllt. Dazu sind wir beauftragt, wir die Betschwestern, die davon überzeugt sind, dass ein Leben ohne an den lieben Gott zu denken, nichts bringt, wir alle, die wir uns durch die Liebe Gottes so gestärkt fühlen.

Jetzt heute und hier fängt es wieder an das Säen, das Abwarten. Zuletzt die Ernte. Wieder einmal, um dann in zehn, 20 oder 30 Jahren: Vater unser im Himmel. Dein Reich ist da. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unseren Verstand wach und unsere Hoffnung groß und stärke unsere Liebe in Christus Jesus, Amen.

40 Jahre HuK: Das wird mit einem Festgottesdienst in der Pfingstkirche in Berlin-Friedrichshain gefeiert.