"Im Mondlicht sehen schwarze Jungs blau aus"

"Im Mondlicht sehen schwarze Jungs blau aus"
Szene aus dem Film "Moonlight": Juan (Mahershala Ali) bringt dem jungen Chiron (Alex R. Hibbert) das Schwimmen bei.
© A24 / DCM (David Bornfriend)
Erhofft, aber doch unerwartet ist "Moonlight" mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet worden. Er handelt vom "Anderssein" und der Suche nach Identität, Liebe und Heimat.

In drei Kapiteln erzählt "Moonlight" vom Heranwachsen des schwarzen Jugendlichen Chiron in Miami. Als schmächtiger Zehnjähriger (Alex Hibbert) von Mitschülern drangsaliert, findet er in dem Erwachsenen Juan einen Mentor und Beschützer. Gespielt wird Juan von Mahershala Ali, der dafür den Oscar als bester Nebendarsteller erhielt. Juan bringt Chiron das Schwimmen bei, erzählt ihm die Anekdote, dass im Mondlicht alle schwarzen Jungs blau aussehen, um sogleich anzudeuten, dass man so leicht nicht aus seiner Haut kann oder in sie hineinfindet. "An einem bestimmten Punkt musst du dich entscheiden, wer du sein willst", sagt er dem Jungen, "und niemand kann dir diese Entscheidung abnehmen!" Und der liebevolle Mentor hat seine bereits getroffen: Er ist Drogendealer und wie sich bald herausstellt, gehört Chirons Mutter Paula (Naomie Harris) zu seinen Kundinnen.

Deren Abhängigkeit überschattet zunehmend Chirons Zeit als Jugendlicher (nun gespielt von Ashton Sanders), in der er seine Liebe zu dem sechszehnjährigen Kevin (Jharrel Jerome) entdeckt und die Konsequenzen spüren muss, die diese Liebe hat. Es ist Juans Freundin Teresa (Janelle Monáe), die ihm am Tisch sagen wird, dass ihre Wohnung ein sicherer Ort sei, egal, was draußen vorgefallen sein mag: "In meinem Haus gibt es nur Liebe und Stolz." Als Erwachsener, im dritten Kapitel des Films, wird Chiron (Trevante Rhodes), nun als "Black" muskelgestähltes Mitglied einer Gang in Atlanta, Kevin (nun gespielt von Andre Holland) wiedersehen.

"Moonlight" handelt, und das ist die Stärke des Films, von vielen Momenten des Lebens. Er ist die Geschichte eines schwulen Jungen ebenso wie die eines Jungen in der Black Community. Er ist - darin anders als "Brokeback Mountain" - nicht in die Ferne der sechziger Jahre versetzt, sondern spielt in unserer heutigen Gesellschaft. Die Rolle der Frauen wird beleuchtet, aber eigentlich ist es "ein Film über schwarze Männlichkeit". So der Regisseur Barry Jenkins. "In diesem Film untersuche ich schwarze Männlichkeit im Allgemeinen, im Speziellen aber auch schwarze Männlichkeit in sozial schwachen Gegenden amerikanischer Großstädte." Der Film basiert auf dem Theaterstück "In Moonlight Black Boys Look Blue" von Tarell Alvin McCraney, der zusammen mit Barry Jenkins auch das Drehbuch des Films (ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichnet) schrieb.

In ihrer Kritik für epd-Film merkt Alexandra Seitz an, dass "Moonlight" es schaffe, die Klischees und stereotype Figuren des sozial engagierten Kinos (etwa die crackabhängige alleinerziehende Mutter; der irgendwie väterliche Dealer; die drangsalierenden Mitschüler, das Ghetto, der Knast) auf eine Weise zu entlarven, "die den Blick befreit und hinlenkt auf etwas, das dahinter liegt und das der Mensch in seinen Umständen ist". "Moonlight" konzentriere sich auf "das Motiv der Zurichtung zu einer gewalt-geprägten Männlichkeit, dem letztlich eine Absage erteilt und das überwunden wird".

Dafür hält der Film auch mythische wie religiöse Bilder bereit. Schon der Name Chirons deutet die Außenseiter-Existenz an, das "Anderssein", das "Dazwischen" an, denn in der griechischen Mythologie ist Chiron (Cheiron) ein Kentaur, halb Mensch, halb Pferd. Die Szene, in der Juan Ciron das Schwimmen beibringt, ist gleichzeitig eine Tauf-Szene. "Du bist in der Mitte der Welt", heißt es beschwörend, während Juan den Jungen im Wasser liegend hält. Und es ist ein Versprechen: "Ich halt dich, das verspreche ich dir. Ich lass dich nicht los!"

Als Juan Chiron zu seiner Mutter zurückbringt, fragt diese ihn, wer er sei. Juan antwortet mit "Niemand". Es ist die Antwort, die Odysseus in der griechischen Sagen-Welt dem Zyklopen Polyphem gibt; es ist die Identität, die sich selbst verleugnen kann, um sich zu retten, und schließlich doch den Weg nach Hause, in die Heimat findet.

Dass es nicht einfach wird, davon erzählt nicht nur die Odyssee.

"Moonlight" startet am 9. März 2017 in den deutschen Kinos.