USA: Kirchen werden sehr starke Rolle im Kampf gegen Homophobie spielen

USA: Kirchen werden sehr starke Rolle im Kampf gegen Homophobie spielen
Foto: Matthias Albrecht
Markus Müller
Markus Müller hat den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl vor Ort erlebt. Im Interview spricht der Halbamerikaner, der in der christlichen Schwulenbewegung aktiv ist, über die politische Situation nach Trumps Sieg und wie die LGBTIQ-Community, sowie die Kirchen darauf reagieren.

Albrecht: Wie haben die Menschen, mit denen Du zu tun hattest, das Ergebnis der Wahl aufgenommen? Was ist passierte als klar war, Donald Trump wird der nächste Präsident der USA?

Müller: Ich war zu der Zeit in Chicago und San Francisco und da waren jeden Abend Demonstrationen. Für viele, auch für mich war es ein Alptraum, aus dem wir irgendwann hofften zu erwachen. Aber der Traum endete nie, es gab kein Erwachen. Und irgendwann hat man sich damit abfinden müssen, dass er wirklich gewonnen hat. Die Stimmung war zwischen betrübt und wirklich beängstigt. Also gerade die Schwulen oder Freunde von mir, die afrikanischer Abstammung sind, oder Latinos die machen sich richtig Sorgen, so richtig Überlebenssorgen. Diese Menschen fragen sich, was aus Amerika wird, nicht nur was Trump macht, sondern diese Bewegung, die ihn gewählt hat. Er hat da etwas hervorgerufen, das sogar stärker war als er selber – er hat nie geglaubt, dass er gewinnt. Er hat da so etwas wie ein Hornissennest aufgestochen, das sich die letzten acht Jahre während der Obama-Zeit aufgebaut hat. So als Gegenbewegung gegen einen schwarzen Präsident, hat sich wirklich ein neuer Rassismus entwickelt, der über Trump salonfähig geworden ist.

Albrecht: Was hast Du bei den Demonstrationen in Chicago und San Francisco erlebt?

Müller: Es war einerseits festlich, man hat sich unter den anderen geborgen gefühlt. Da war aber auch sehr viel Wut, Angst und Sorge um die Zukunft. Es war ein bisschen vergleichbar mit den Protesten damals gegen den Golfkrieg  bei Bush. Damals wohnte ich in San Francisco. In beiden Fällen ist es diese Angst vor dem Ungewissen.

Albrecht: Trump hat in den letzten Tagen mehrere Personalentscheidungen bekannt gegeben. Er präsentierte, wer Teil seiner Regierung wird. Was bedeuten diese Postenbesetzungen für LBGTIQ´s?

Müller: Da mache ich mir die größten Sorgen. Trump selbst sehe ich nicht so als überzeugt homophob, er ist aus New York, er war früher Demokrat, er hat sich die Republikaner ausgesucht, weil er mit ihnen erfolgreicher sein konnte als mit den Demokraten. Er war auch der erste republikanische Präsidentschaftskandidat, der sich als Freund der Schwulen positioniert hatte, gerade im Rahmen von Orlando, nach diesem schrecklichen Massaker an Schwulen in dieser Disco, hat er sich hingestellt und gesagt, ich beschütze euch arme Schwule vor diesen Islamisten. Das hat natürlich in sein anti-islamisches Konzept gepasst. Das ist die eine Sache.

Was gefährlich ist, sind die Leute mit denen er sich umgibt. Angefangen mit Steve Bannon, seinem Hauptberater. Diese ganze alt-right-Geschichte und Breitbart News, das ist eine Gesellschaft von Rassisten. Auch dieser Spruch "Make Amerika great again", für viele in dieser alt-right-Bewegung heißt das eigentlich: "Make Amerika white again". Also ein: "Lass uns zurück in die Zeit gehen, in der die Weißen an der Macht waren, das Sagen hatten und wirtschaftlich am besten da standen".

Weiter Sorgen macht mir Mike Pence, er trifft die Vorentscheidungen, wer dem neuen Kabinett angehört. Ich sage immer, Mike Pence ist die beste Lebensversicherung für Trump, weil von seinen Ansichten her ist Mike Pence viel, viel, viel schlimmer als Trump. Pence war Gouverneur von Indiana und bekannt als offen homophob. Er hatte damals 2006 eine Verfassungsänderung unterstützt, mit dem Ziel, die gleichgeschlechtliche Ehe von Anfang an zu unterbinden, damit dies gar nicht erst vor dem obersten Gericht landen würde - was ja schließlich passiert ist. Trump hat im September auch gesagt, dass er solche eine Verfassungsänderung unterstützt, ich interpretiere das als Gegenaussage zu seinen Orlando-Aussagen, die lauteten "ich bin euer Freund".

Pence hat auch 2013, in der Zwischenzeit, als manche Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Ehen hatten und anderen nicht, in Indiana ein Gesetz unterschrieben, das gleichgeschlechtlichen Paaren mit Haftstrafe gedroht hat, wenn sie die Ehe schließen wollte. Und noch schlimmer: Pfarrer und Standesamtsmitarbeiter, die da mitgemacht haben, hätten auch ins Gefängnis kommen können. Was Pence Denken auch noch gut offenbart, ist ein Vorfall aus dem Jahr 2000. Da wollte er Gelder, die für Zwecke der HIV Prävention gedacht waren, für Konversionstherapien (Therapien zur angeblichen „Heilung“ von Homosexualität) umwidmen.

Das Neueste, hinter dem sich die Homophoben nun verstecken, ist Religious Freedom. Pence hat ein Religous Freedom Gesetz bereits in Indiana unterstützt, das es Arbeitgebern, Unternehmen, Vermietern, sogar medizinischen Einrichtungen erlaubt, LGBTs zu diskriminieren, wenn diese überzeugt sind, dass LGBTs gegen ihre religiösen Überzeugungen verstoßen. Das Gesetz ist aus dem Geist "weil es jetzt so viele LGBT-Gesetze gibt, müssen wir die armen Christen unterstützen, denen das gegen den Strich geht". Diese Religious Freedom Gesetze existieren bislang nur auf Ebene der Bundesstaaten und die meisten von ihnen wurden mitterlweile auch wieder abgeschafft, weil große Unternehmen gesagt haben, wir steigen aus eurem Bundesstaat aus, wenn ihr so ein diskriminierendes Gesetz verabschiedet. Jetzt gibt es aber einen Entwurf auf der Bundesebene, für die ganzen USA, The First Amendment Defense Act, der genau das Gleiche für das ganze Land vorsieht.

Albrecht: Da steht also einiges auf dem Spiel, was LGBTIQs in der Vergangenheit erkämpft haben. Welche Errungenschaften sind noch bedroht?

Müller: Die gleichgeschlechtliche Eheschließung, die nicht per Gesetz eingesetzt wurde, sondern vom obersten Gericht. Da ist jetzt die Möglichkeit, dieses Recht wieder zu kassieren. Und die Konservativen wollen genau das. Trump hat gesagt, er wird sehr konservative Richter nominieren. Aktuell ist eine Richterposition offen, die Trump besetzten wird. Aber dem obersten Gericht gehören viele alte Menschen an, es werden daher sicherlich in absehbarer Zeit noch mehr Stellen neu zu besetzen sein. Wenn ein weiterer oberster Richter, der progressiv ist, durch einen Konservativen ersetzt wird, ist das Kräfteverhältnis empfindlich nach rechts verschoben. Auch wenn die gleichgeschlechtliche Ehe vielleicht nicht wieder generell verboten wird, ist es dann zum Beispiel möglich, dass gesagt wird, wenn ein einzelner Bundesstaat wie Indiana, sagt, bei uns dürfen Schwule und Lesben nicht heiraten, dass dieser Bundesstaat das dann, mit Erlaubnis des obersten Gerichts darf.

Albrecht: Wie empfindest Du die Stimmung gegenüber LGBTIQs in den Vereinigten Staaten?  

Müller: Es hat sich in den letzten 20 Jahren sehr, sehr viel getan in Sachen LGBTI-Rechte. Auch bei der Einstellung der Bevölkerung. Befragungen zeigen, dass heute die überwältigende Mehrheit das Recht von geleichgeschlechtlich Liebenden anerkennt, sich in eine Ehe oder eheähnliche Beziehung zu begeben. Ich denke nicht, dass das von heute auf morgen wieder weg sein wird. Aber was Trump ermöglicht hat, mit seiner Rede von "Stop political correctness", mit seinem "genug davon, wir sollen so reden dürfen, wie wir reden wollen": Damit hat er den Rassisten, aber auch den Homophoben und den Sexisten, die Freiheit gegeben, das zu sagen, was sie vielleicht die letzten 20 Jahre gedacht haben, aber sich nicht getraut haben zu sagen. Ich denke, es wir mehr Hassaussagen, mehr Hassschriften und auch mehr Hasstaten also Hatecrimes geben in den nächsten Monaten und Jahren. Das steht für mich außer Frage. Aber ich denke auch, dass sich die Gesamtgesellschaft nicht komplett wieder zurückdrehen wird. Das ist meine Hoffnung. Viele versuchen hier irgendwie Vergleiche zu ziehen: 2016 USA und Anfang der 1930er Jahre Deutschland. Und es gibt Parallelen, ja, aber ich denke die Presse und andere öffentliche Organe, die gegen eine neue Regierung des Hasses agieren werden, sind in den heutigen USA stärker als damals am Ende der Weimarer Republik. Aber dass der Hass viel stärker wird, glaube ich schon. Sowohl bei Aussagen in Facebook, als auch in Leserbriefen oder auf FOX News, dieser sehr konservativen Kabelfernseh-Nachrichtensendung, da wird man Sachen gegen Schwule und Lesben hören, die man die letzten 10, 20 Jahre nicht so gehört hat.

Ich denke noch mal schwieriger wird es bei Trans-Rechten. Die Transbewegung hatte erst in den letzten fünf Jahren überhaupt die Möglichkeit anzufangen sich durchzusetzen. Obama hat diese Bewegung ja sehr stark unterstützt mit seiner Anweisung, dass beispielsweise Schulen trans-gerechte Toiletten einrichten müssen. Und da gab es auch schon vor der Wahl eine Gegenbewegung. Ähnlich wie in den 1990er Jahren, wo wirklich sehr lautstark von den Konservativen gegen die Schwulen gewettert wurde. Die Hauptköpfe der Republikaner tun das heute nicht mehr, aber sie wettern gegen die neuen Regeln für Trans-Menschen. Manche Republikaner sagen: "Deine Tochter ist nicht mehr sicher in der Toilette, weil jeder Junge sagen kann, ich bin trans und ich kann jetzt ins Frauenklo. Ein Mann wird Deine Mädchen im Mädchenklo vergewaltigen". Da wird nicht versucht, sich in das sehr traumatische Leben eines Trans-Menschen zu begeben, sondern wirklich nur Angstmacherei betrieben.

Albrecht: Wir haben jetzt die Außenansicht betrachtet, der Blick auf LGBTIQs. Wie ist die Innenansicht? Wie ist die Stimmung innerhalb der US-LGBTIQ-Bewegungen?

Müller: Die Menschen dort fühlen sich glaube ich etwas aufgescheucht. Und das ist nicht unbedingt was Negatives. Ich denke, in den letzten Jahren unter Obama, seit das oberste Gericht die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare angeordnet hat, gab es bei der jüngeren Generation so ein Gefühl von, jetzt haben wir alles erreicht, jetzt brauchen wir nichts mehr. Ich glaube diese Wahl und die Bewegung, die hinter dieser Wahl steht, diese populistische, rassistische, homophobe, sexistische Bewegung hinter Trumps-Wahlsieg, hat die LGBTIQ-Gruppen wirklich aufgescheucht und mit neuem Leben gefüllt. Auch mit neuem Lebenszweck. Die Angst ist da, aber gleichzeitig auch sehr stark die Bereitschaft etwas zu tun. Stärker als vor ein, zwei Jahren als so ein Gemütlichkeitsgefühl eingesetzt hat. Ich glaube, wir haben es in der Bewegung gerade weniger mit einer Starre zu tun. Viel mehr begreift die Bewegung die Situation als eine Aufforderung was zu tun.

Albrecht: Und was wird die LGBTIQ-Bewegungen konkret tun?

Müller: Öffentlichkeitsarbeit, sehr viel. Öffentlichkeitsarbeit, wo diese Gruppen sowohl die neue Regierung als auch die Abgeordneten, die ja – obwohl die meisten Republikaner sind – ein Gegenpol zum Präsidenten sein sollen, über die Medien, über soziale Netzwerke unter Druck halten und sagen: "wir sehen was ihr tut, wir gucken euch zu". Dann eine Stärkung der bestehenden Meinungsbildung darüber, dass sich in den letzten 20 Jahren sehr viel Positives getan hat und dass man das nicht verlieren will. Es kann auch sein, dass es zum Teil wieder so etwas wie ActUp gibt. Das war eine sehr wichtige Sache in den 1980er Jahren. Das war ja eine Gruppe, die HIV und AIDS thematisiert hat, während der Reagan-Zeit, wo Reagan und seine ganze Regierung, außer dem Gesundheitsminister nicht über AIDS sprechen wollten. Die ActUp-Gruppe hat dieses Thema dann ins nationale Bewusstsein gebracht mit Protesten, auch ganz verrückten Protesten, beispielweise in Kirchen. Ich glaube auch die CSDs, die Gay Pride Parades, werden eine ganz neue Bedeutung finden. Die letzten 20 Jahre waren das ja eigentlich nur noch Volksfeste. In Zukunft werden sie wirklich wieder einen politischen Zweck haben. Mitte Januar soll der Million-Woman-March stattfinden in Washington. Und da werden nicht nur viele Frauen sein, sondern auch viele Schwule. Auch von meinen Freunden wollen viele dabei sein, als ein starkes Signal an die Regierung und auch an die Gesellschaft, das zeigt: "Wir sind hier, wir sind weiterhin hier, wir sind mächtig, wir haben viel Unterstützung und ihr müsst uns weiterhin ernst nehmen".

Albrecht: Wie haben die christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften auf den Wahlsieg Trumps reagiert?

Müller: Die ganz konservativen Evangelikalen, die haben gefeiert. Obwohl ich mir gar nicht vorstellen kann, wie die nachts ruhig schlafen können, wenn sie so einen Mann feiern, aber ich glaube für die sind die zwei wichtigsten Sachen auf der Welt Abtreibung abzuschaffen und den LGBT-Leuten das Leben schwer zu machen und dafür sehen sie jetzt die Richtigen an der Macht. Aber die Christen, mit denen ich zu tun habe, das sind die Progessiveren. Die Lutheraner, aus der Kirche aus der ich kommen, aber ich kenne auch Methodisten und Menschen bei der United Church of Christ, die sind wirklich entsetzt. In deren sozialen Netzwerk, etwa bei Facebook, da dominierte unter ihnen die Frage: "Wie sage ich es meiner Gemeinde? Was kann ich am Sonntag predigen, das in dieser Situation überhaupt einen Trost spenden kann?" Da war wirklich, sehr, sehr viel Entsetzen. Ich denke, dass die progessiven Kirchen, in den neuen Bewegungen gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen Homophobie eine sehr, sehr strake Rolle spielen können und auch spielen werden.

Albrecht: Gibt es ein Gebetsanliegen, das Du unseren Leser_innen mit auf den Weg geben möchtest?

Müller: Ganz wichtig ist es zu beten für die Menschen, die sich ausgegrenzt gefühlt haben, in den letzten Jahren, während der Zeit des progressiv werdenden Amerikas, während der Zeit von Obama. Die Menschen die jetzt gedacht haben, der Trump ist ihr Retter. Ich finde es wichtig dafür zu beten, dass diese Menschen sehen, dass nicht der Hass, sondern die Vielfalt und die Nächstenliebe die Antwort ist.

 

Markus Müller (49), ist verpartnert, lebt in Köln und organisiert Konferenzen für große IT-Unternehmen. Insgesamt lebte er über 20 Jahre in den USA. Kirchenpolitisch war er lange bei HuK e.V. aktiv, heute engagiert er sich in der Anglikanischen Gemeinde zu Köln.